Hinweisgeberschutz Praxisbeispiel

Das neue Hinweisgeberschutzgesetz (HinSchG) wird hierzulande erst von wenigen Unternehmen umgesetzt. Der Naturkosmetikhersteller Börlind gehört zu den ersten Unternehmen, die ein digitales Hinweisgebersystem eingerichtet haben. Wie das System auch die Mitarbeiterkommunikation verbessert, berichtet HR-Leiterin Simone Schrön.

Frau Schrön, Sie sind verantwortlich für Personalbelange und betraut mit dem Hinweisgeberschutz. Welche ersten Berührungspunkte hatten Sie zum Thema?

Ich hatte mitbekommen, dass da etwas kommen wird – doch das Thema war nur marginal präsent. Arbeitgeberverbände sind da auch eher zurückhaltend und raten den Firmen, erst einmal abzuwarten, bis das Gesetz tatsächlich kommt und was es einem dann abverlangt. Unser Geschäftsführer hatte Kontakt zu den Machern einer Cloud-Lösung für digitale Meldekanäle – so kam bei uns Schwung in die Sache. Wir lernten das System kennen und das öffnete uns die Augen dafür, was man als Unternehmen rechtzeitig machen kann.

Wie war Ihre erste Reaktion auf das Hinweisgeberschutzgesetz?

Bei Börlind wollen wir miteinander in alle Richtungen kommunizieren. Wir legen Wert auf einen strukturierten Austausch, stellen dafür Kommunikationsmodelle bereit und ermöglichen den Rahmen. Unser Credo ist es, offen und direkt zu kommunizieren, uns gegenseitig zuzuhören und aktiv Feedback zu betreiben – und das unabhängig von den Hierarchien. Wir gestalten die Unternehmenskommunikation vielfältig. Als dann die neue EU-Richtlinie ins Gespräch kam, gab es durchaus Skepsis: Kommt jetzt der Zwang zur Meckerplattform? Wird anonymes Kollegen-Blaming von nun an zur Alltagserscheinung? Wir haben uns über Jahre eine offene Kommunikation erarbeitet – werden dadurch ausschließlich negative Themen auf anonyme Weise an uns herangetragen?

Hinweisgeberschutz als Anlass, Kommunikationsstandards zu verbessern

Aber dann haben Sie Chancen darin erkannt?

Wir wollten uns treu bleiben und die EU-Richtlinie so umsetzen, dass sie uns nicht querschießt. Also haben wir die guten Gedanken in der Möglichkeit gesucht – und haben schnell erkannt, dass wir zwei Welten zusammenbringen können, gewissermaßen die Pflicht zur Kür machen. Mit dem Tool whistle.law war es machbar, unseren bisherigen Weg zu professionalisieren und zu digitalisieren und dabei gleichzeitig die Richtlinien zu erfüllen. Ohnehin wollten wir unsere interne Kommunikationsstrukturen digitalisieren, um Leute im Außendienst oder im Homeoffice mit ihrem Agenda-Setting direkter einzubinden.

Schrön, Simone

Sie haben das Thema Hinweisgeberschutz also genutzt, um Kommunikationsstandards zu optimieren?

Transparente Kommunikation ist Teil der Börlind-Unternehmenskultur. Die Menschen im Unternehmen kennen sich, tauschen sich regelmäßig aus – das ist Teil der DNA des Familienunternehmens und des Wertekonstrukts. Dass wir beispielsweise eine Duz-Kultur entwickelt haben oder unsere Belegschaft einladen, sich mit ihren Themen einzubringen, ist ein relevanter Aspekt der Entwicklungen als attraktives Unternehmen. Die EU-Richtlinie ist für uns eine schöne Ergänzung und hat uns dazu motiviert, neben dem persönlichen, telefonischen und direkten Feedback zusätzlich Themen über den digitalen Weg einzubringen.

Ziele des digitalen Meldekanals

Was wollen Sie mit dem digitalen Meldekanal erreichen?

Keine Organisation, kein Unternehmen ist perfekt. Wichtig sind aber Mittel und Wege, um das mitteilen zu können. So erfahren wir von Dingen, die einem bisher nicht bewusst waren – solche Hinweise sind wertvoll und nützlich. So kann man sich um etwas kümmern, Missstände abstellen, weiteren Schaden vermeiden. Das digitale Tool gibt es im Dashboard im Intranet und für Externe haben wir den Link für Hinweisgeber auf der Webseite installiert. Wir halten die Hemmschwellen gering, um mit uns in Kontakt zu treten.

Input von den Menschen zu bekommen ist wertvoll – erst recht, wenn es um Dinge geht, die unangenehm sind oder man ungern hören will. Wir ermutigen dazu, auch Kritisches anzusprechen oder zu platzieren. Das muss der Geschäftsführung nicht immer gefallen, aber wir praktizieren einen konstruktiven Umgang. Nun beobachten wir den Nutzungsgrad: ebbt das wieder ab oder kommt mehr? Unser Ziel ist es, die Menschen immer wieder einzuladen, den Meldekanal und seine Möglichkeiten zu nutzen – wir wollen, dass das lebt.

Welche Erfahrungen haben Sie nach nunmehr einem Dreivierteljahr gemacht?

Die internen Themen, die über das System bei uns eingehen, sind bisher harmlos und zum Glück noch nichts, was das Gesetz als relevanten Hinweis definiert. Vielmehr sind es Aspekte, die unsere Beschäftigten gerne mal auf die Agenda setzen oder besprechen wollen. Bislang beschränken sich die über das neue System eingegangenen Hinweise auf Verbesserungsvorschläge. Manchmal geht es um Befindlichkeiten oder Dinge, die einfach mal im Betrieb angesprochen werden sollen.

Hinweisgeberschutzgesetz auf der Zielgeraden

Aktuell ist einiges in Bewegung, das Gesetz rückt in greifbare Nähe. Sie sind ja schon vorbereitet – merken Sie trotzdem etwas davon?

Das Thema Hinweisgeberschutz wird immer aggressiver an uns Personaler gespielt. Die Wahrnehmung unter Personalern und Verantwortlichen ist in den letzten Wochen gestiegen. Viele Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen kontaktieren uns und wollen von uns lernen, unsere Erfahrungen hören. Über Verbände und Foren werden wir als Best Practice angefragt, man sucht unseren Rat. Ihr habt da doch was… dann erzählen wir gerne, wie wir whistle.law nutzen. Nach dem Gesetzesabschluss werden wir vermutlich noch Anpassungen vornehmen. Aktuell sind wir sehr zufrieden mit dem System.


Hinweis der Redaktion, 12.05.2023:

Nachdem der Bundesrat dem Hinweisgeberschutzgesetz in seiner damaligen Fassung im Februar 2023 die Zustimmung verweigerte, konnten sich Bund und Länder jetzt auf einen Kompromiss einigen. Der Bundestag hat den geänderten Entwurf am 11. Mai 2023 verabschiedet. Der Bundesrat hat dem Gesetz am 12. Mai zugestimmt.

Eine zentrale Änderung im nun angenommenen Entwurf ist, dass das Gesetz auf die Pflicht, die Abgabe anonymer Meldungen zu ermöglichen, verzichtet. Dies gilt sowohl für interne als auch für externe Meldestellen. Es wird lediglich vorgegeben, dass die Stellen auch anonym eingehende Meldungen bearbeiten sollen.


Was raten Sie anderen Unternehmen?

Die Maßnahmen rund um den Meldeschutz frühzeitig umzusetzen, macht absolut Sinn. Ein richtiges Verhalten braucht aus meiner Sicht nicht immer ein Gesetz mit Strafkatalog. Ich rate jedem, sich jetzt schon um das Thema zu kümmern, aktiv zu werden und das Hinweisgebersystem zu implementieren. Für uns war das der beste Weg. Ohnehin wollten wir die Mitarbeiterkommunikation digitalisieren, noch transparenter machen, Lücken schließen. Weil wir das proaktiv gemacht haben, konnten wir dem Ganzen einen positiven und konstruktiven Rahmen geben und einen super Start hinlegen. Wenn ein Unternehmen so ein System rein im Zuge des Gesetzes einführt, stelle ich mir das schwieriger vor. Keiner sollte warten, bis er zum Meldesystem verdonnert wird. Wer darin die Chance begreift, seine Kommunikationswege zu verbessern, hat die Nase vorn.

Schlagworte zum Thema:  Whistleblowing, Compliance, Interne Kommunikation