Transforming-Brands-Minimalismus

In einer Welt, in der jeder Mensch im Durchschnitt 10.000 Dinge besitzt, stellt sich unweigerlich die Frage: Was brauchen wir noch mehr? Wir leben in einer Ära des Überflusses. Im Vergleich: Um 1900 besaßen Menschen oftmals nur 400 Dinge. Die These der minimalistischen Bewegung: Mehr als 100 Dinge braucht man nicht im Leben. Echt jetzt?

Ich habe vor kurzem den Film „100 Dinge“ gesehen. Einer der besten Filme, wie ich finde, den es im Kontext der Konsumsüchtigkeit gibt. Kurz zur Handlung: Die beiden Freunde Paul (Florian David Fitz) und Toni (Matthias Schweighöfer) sind süchtig nach materiellen Dingen. Während Paul auf Sneaker steht, liebt Toni technische Geräte, Accessoires und coole Klamotten. Auf einer Party, auf der die beiden Start-up Gründer den Verkauf ihrer Firma feiern, schließen sie – ziemlich betrunken – eine Wette ab: Sie verfrachten all ihre Besitztümer in eine Lagerhalle und folgen der Regel, an 100 aufeinander folgenden Tagen immer jeweils nur einen neuen Gegenstand herauszuholen. Dabei müssen sie Prioritäten setzen und erkennen so, was wirklich wichtig ist im Leben. Smartphone oder Unterhose? Die beiden erkennen dabei, dass sie durch ihren ständigen Konsum die Tatsache vertuschen möchten, dass ihnen im Leben etwas fehlt. Was hier als Komödie daherkommt, hat Grundlagen in unserer Gesellschaft: Es geht um individuelle Haltung, Statusglaube, Anspruchshaltung von Marketing und natürlich hat das Konsequenzen auf die Nachhaltigkeit.

Menschlich produzierte Masse vs. Biomasse

Ein im Wortsinn gewichtiges Kennzeichen des Anthropozän ist: Die Masse aller von Menschen hergestellten Produkte, Bauwerke und Infrastrukturen überstieg im Jahr 2020 erstmals das Gewicht der natürlichen Biomasse der Erde. Studien zufolge macht die Masse der weltweiten Vegetation etwa 90 Prozent der gesamten Biomasse aus. Der Mensch schlägt dahingegen nur mit 0,01 Prozent zu Buche. Was von Menschen gemacht wurde, nimmt jedoch rasant zu, mit einer Akkumulationsrate von 30 Gigatonnen pro Jahr. Jeder Mensch produziert pro Woche theoretisch so viel Material, wie er selbst wiegt.

Evolutionsbiologen argumentieren, dass die Wurzeln des Massenkonsums in der menschlichen Geschichte liegen. Für unsere jagenden und sammelnden Vorfahren bedeutete mehr Besitz ein längeres und besseres Überleben. Der Biologe Robert Trivers stellt fest, dass wir uns zu Maximierungsmaschinen entwickelt haben, ohne einen eingebauten Stopp-Mechanismus. Wer drückt die Stopp-Taste für uns, wenn nicht wir selbst?

Besitzen oder nutzen?

Studien des WWF zeigen, dass sich in europäischen Haushalten durchschnittlich 50 ungenutzte Gegenstände befinden. Ein Blick in die eigenen vier Wände offenbart oft, dass viele Dinge selten genutzt werden. Oft sind diese das Resultat spontaner und unüberlegter Käufe. Der Soziologe Hartmut Rosa merkt an, dass wir oft Dinge kaufen, ohne sie zu konsumieren. Wir erwerben die Option, Dinge zu benutzen, konsumieren aber immer weniger, da Zeit und ständig neue interessante Optionen uns davon abhalten. Die durchschnittliche Nutzungsdauer von gekauften Gegenständen, wie zum Beispiel einer Bohrmaschine, liegt weit unter der maximal möglichen. Hier stellt sich die Frage nach dem Sinn: Besitzen oder mitbenutzen? Im Kontext der Circular Economy gibt es hunderte von Beispielen, wie etwa in der Architektur, Bau, Papierproduktion, Elektronik, wo sich Produkte herkömmlicher „take, make, waste“-Prägung in kreislauffähige Geschäftsmodelle entwickelt haben.

Ein Prinzip der Impact Business Modelle ist nutzen statt besitzen. Es gibt viele Gründe, Dinge zu teilen, anstatt sie zu besitzen. Seltene Güter können ausgeliehen werden, was nicht nur finanzielle Mittel freisetzt, sondern auch die Lebensqualität erhöht und den Ressourcenverbrauch reduziert.

WWF Sinnfrage Share Economy

Wie werden Marken zum Teil der Lösung

Der Ruf nach einer nachhaltigeren Form des Konsums und Lebensweise ist allgegenwärtig und prägt Diskurse auf verschiedenen Ebenen. Die Haltungen von Unternehmen immer mehr und schneller zu skalieren wirken wie aus der Zeit gefallen. Dennoch sind sie allgegenwärtig und prägen die Werte unserer Gesellschaft, die bisher kaum Verantwortung für unseren Planeten übernimmt. Im Gegenteil gilt es doch bisher alle Ressourcen zum eignen Vorteil zu nutzen und keine Einschnitte am eigenen Egoismus vorzunehmen.

Allein der Blick auf die immer schwereren und größeren Autos sorgt außer bei Automobilkonzernen und SUV-Fahrern für Kopfschütteln. Das durchschnittliche Leergewicht, so der ADAC, erhöhte sich seit 1974 von 800 Kilogramm auf mehr als 1600 Kilogramm. Noch schneller stiegen die Motorleistung und die Höchstgeschwindigkeit. Die Modelle erzielen heute mit durchschnittlich 245 PS eine durchschnittliche Höchstgeschwindigkeit von 217 km/h. Ein Wahnsinn, den niemand braucht, unter einem Verkehrsminister, der nicht das Klima schützt, sondern als Fanboy fossiler Lobbyisten eine nachhaltige Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaft verhindert.

Transforming Brands als Game Changer

Marketing muss sich ändern, um nicht Dinge zu bewerben, die niemand braucht, für Produkte die gar kein Problem lösen. Es gibt Vorbilder verantwortungsvoller Unternehmen. Zum Beispiel Patagonia, bekannt mit ihrem Purpose „We are in business to save our home planet”, und ihrer Kampagne zum Black Friday 2011 „Don‘t buy this Jacket”. Oder die Meldung von Antje von Dewitz bei der Vorstellung des Nachhaltigkeitsberichtes von Vaude im August dieses Jahres, in der sie mitteilte, dass das Unternehmen 2022 erstmals das Wachstum vom Ressourcenverbrauch entkoppelt hat: Bei einem Umsatzwachstum von 13 Prozent konnte Vaude die Gesamtemissionen um 5 Prozent reduzieren.

Die Bewegung zu einer gemeinschaftlichen Konsumkultur und einer nachhaltigeren Lebensweise ist nicht nur wünschenswert, sondern notwendig, um die Zukunft der auf diesem Planeten lebenden Spezies zu sichern. Was wir dafür brauchen, sind Transforming Brands, also Marken, die sich selbst transformieren und die dadurch Verbrauchern helfen, sich zu transformieren. Weg von höher, schneller und immer mehr. Hin zu frugalen Innovationen, sprich weniger von allem und nur das, was wirklich zählt. Hin zu mehr Reparatur und weniger Wegwerfen. Hin zu planetarem Design, zu Kreisläufen und weniger „take, make, waste“.

Es ist notwendig in unseren Unternehmen neu zu denken, neu zu handeln und ein Impact Business Design zu entwickeln. Damit können Marken vom Teil des Problems zum Teil der Lösung werden. Und vielleicht sind es am Ende genau die 100 Dinge, die uns wichtig sind für ein erfülltes Leben. Less is more. Was meinst Du?

Schlagworte zum Thema:  Marketing, Nachhaltigkeit, Innovation, Arbeitgeber