Wie KI die Arbeit in Steuerkanzleien neu definiert

Mit KI schaltet die Digitalisierung der Steuerbranche einen Gang höher. Abläufe werden schneller, besser, effizienter. Doch wie wird KI heute in Steuerkanzleien konkret eingesetzt und was bedeutet das für die Steuerberater? Wir haben uns in der Branche umgehört und interessante Einblicke zusammengetragen.

Während in der Vergangenheit Aktenordner, manuelle Dateneingaben und stundenlange Recherchen zum Alltag einer Steuerkanzlei gehörten, eröffnet der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) heute völlig neue Möglichkeiten. Von der automatisierten Belegverarbeitung über intelligente Datenanalysen bis hin zur vorausschauenden Steuerplanung – KI verändert nicht nur die Effizienz interner Abläufe, sondern damit indirekt auch die Qualität der steuerlichen Beratung.

Wie Kanzleien die Potenziale der Technologie optimal nutzen können, ohne die persönliche Beratung aus den Augen zu verlieren, zeigt zum Beispiel die Kanzlei WINHELLER. In ihren Videos, die über Social Media und YouTube verbreitet werden, setzt die Kanzlei häufig einen KI-gestützen Avatar ein.

WINHELLER: KI gestützte Videos

Durch den Avatar ist die Kanzlei in den digitalen Medien flexibel und kann wichtige rechtliche und steuerliche Informationen schnell seinen Followern zur Verfügung stellen. Die Informationen stammen weiterhin von der Kanzlei. Bei der Präsentation hilft aber die KI. „So sparen wir Zeit und das Team kann sich auf die Beratung unserer Mandanten konzentrieren, statt Zeit vor der Kamera zu verbringen“, sagt Florian Demmler, Marketing-Leiter bei WINHELLER. Die Qualität der Kanzlei-Videos bleibt dem Experten zufolge mit dem Avatar immer gleich hoch. „Er ist zudem Tag und Nacht sowie remote einsetzbar.“ Auf TikTok hat die Kanzlei jedoch festgestellt, dass Inhalte mit echten Personen dort meist besser ankommen. Daher arbeitet die Kanzlei nicht nur mit Avatar-Videos, sondern auch mit anderen Formaten. „Die Mischung machts“, sagt Demmler.

Doch nicht nur für Videos wird KI eingesetzt. Viele Mitarbeitende der Kanzlei nutzen KI in unterschiedlichsten Formen: Zum Beispiel im Marketing zur Generierung von Bildern und Texten oder auch in der Rechts- und Steuerberatung zum Beispiel für die Zusammenfassung von großen Schriftsätzen oder die Recherche von passenden Fundstellen.

Für eine erste schnelle rechtliche oder steuerliche Grobeinschätzung werden in der Kanzlei nun meist nicht mehr Google oder die bekannten rechtlichen und steuerlichen Datenbankanbieter genutzt, sondern beispielsweise Perplexity oder ChatGPT. „Natürlich bedarf es weiterhin einer Überprüfung der über KI ausgeworfenen Ergebnisse. Meist sind die Ergebnisse auch nur so gut, wie die Fragen, die wir stellen“, sagt Demmler. Sich tiefer mit der jeweiligen Angelegenheit zu befassen, kommt man in der Kanzlei also auch mit KI nicht herum. Demmlers Fazit bisher: „Wir kommen mit KI schneller zum Ziel.“

Pandotax: Automatisierung von Routineaufgaben

Ein weiteres großes Anwendungsfeld für KI in Steuerkanzleien sind die internen Abläufe. Die Pandotax Steuerberatungsgesellschaft automatisiert mit Künstlicher Intelligenz beispielsweise ihre Routineaufgaben. Für Vorarbeiten und Vorschläge für die Fibu wird KI ebenso eingesetzt, wie für Analysen und Optimierungen. „Durch die Analyse von Mustern in den Daten können potenzielle Risiken und Chancen frühzeitig erkannt werden“, erläutert Dirk Wendl, Steuerberater und Geschäftsführer der Pandotax Steuerberatung. Auch für steuerliche Fragestellungen nutzt die Kanzlei KI-gestützte Lösungen (u.a. Taxy.io). Die Mandantenkommunikation wird ebenfalls mit KI-Lösungen erleichtert (milia.io), inklusive Ablage- und Erinnerungssystem. „Insbesondere bei wiederholenden und stupiden Aufgaben ist die Erleichterung sehr greifbar, trotzdem muss noch kontrolliert werden“, sagt Wendl. „Und das erfordert einen höheren Wissensstandard der Mitarbeitenden.“

Ein weiterer Vorteil aus seiner Sicht: Manche Aufgaben können sogar 24/7 erledigt werden, zum Beispiel indem Mandanten jederzeit digital auf die sie betreffenden Dokumente zugreifen können. Für seine Kanzlei plant Wendl den KI-Einsatz auszuweiten, „insbesondere zur Entlastung von Mitarbeitenden, Modellrechnungen und Rechtsrecherche in einem sich immer schneller wandelnden Umfeld.“

Fischer & Reimann: unsichtbare Tools und ChatGPT

Auch bei Fischer & Reimann hat Künstliche Intelligenz längst Einzug in das Kanzleileben genommen. Darunter sind vor allem unsichtbare Tools wie zum Beispiel der DATEV Automatisierungsservice, der einfach seinen Job macht, ohne aufzufallen. Aber natürlich wird auch hier ChatGPT genutzt, um beispielsweise Einspruchsschreiben oder Antworten für Mandanten vorzubereiten. „Letztendlich werden alle Tools genutzt, die mittelfristig einen Sinn ergeben und die für eine höhere Effizienz in der Kanzlei sorgen“, sagt Florian Fischer, Steuerberater und Geschäftsführer der Fischer & Reimann Steuerberatungsgesellschaft.

Der Einsatz von KI ist in der Kanzlei nicht geregelt. Jeder Mitarbeiter darf alle Tools nutzen, die ihm oder ihr sinnvoll erscheinen. Das bedeutet, man darf auch selbst Tools austesten und sie für gut oder auch für schlecht befinden. Wichtig ist Fischer jedoch, dass bei einer Anwendung eines Tools in der wöchentlichen Teamsitzung darüber gesprochen wird, damit alle anderen ebenfalls davon profitieren können. „Außerdem ist mir wichtig, dass nicht die KI, sondern der Mensch immer das letzte Wort hat“, sagt Fischer. Das bedeutet, dass alle Quellen, egal von welchem Tool sie erstellt wurden, noch einmal recherchiert und dass alle Schreiben oder E-Mails, die von einer KI erstellt wurden, vor Versand noch einmal von einem Menschen geprüft werden müssen.

EY: eigene KI-Plattform und Umsetzung des AI Act

Auch global agierende Steuerberatungsgesellschaften setzen auf KI. So war EY eine der ersten Steuerberatungsgesellschaften, die umfangreich in KI-Anwendungen investiert hat und ist nach eigenen Angaben weltweit eines der Unternehmen mit den meisten aktiven Microsoft 365 Copilot-Lizenzen. Bis zum Geschäftsjahr 2023 hat EY 1,4 Mrd. USD u.a. in die Entwicklung der hausinternen KI-Plattform „EY.ai“ investiert. Herzstück ist dabei die Anwendung EYQ, die verschiedene GenAI-Technologien über ein Large Language Model (LLM) vereint. Auf Basis dieser Anwendung können sich EY-Mitarbeitende hier in einem sicheren und geschützten Umfeld bei der Beantwortung einfacher steuerlicher Fragen unterstützen lassen oder auch umfangreiche Analysen einer großen Anzahl gleichartiger Dokumente (beispielsweise Verträge) durchführen. Es gibt auch Expertensysteme für diverse spezielle Rechtsgebiete, wenn Fragestellungen nur anhand vorab zentral ausgewählter Informationen untersucht werden sollen.

„Wichtig zu betonen ist, dass ausnahmslos alle Anwendungen von KI datenschutzkonform sowie in einem geschützten EY-Umfeld stattfinden. Die KI-Tools sind nicht mit dem Internet verbunden und Chatverläufe werden nicht zum Training des KI-Modells verwendet“, sagt Yannic Waller, Consultant / National Office Tax, bei der EY Tax Steuerberatungsgesellschaft. „Unsere Mandanten können zudem die Anwendung von KI auch explizit ausschließen, verzichten im Gegenzug jedoch auf die Effizienzgewinne und möglicherweise geringere Beratungskosten.“

Für den Einsatz von KI bestehen bei EY verbindliche Richtlinien, die von allen Mitarbeitenden einzuhalten sind. Für einen verantwortungsvollen Umgang müssen die Mitarbeitenden auch verpflichtende Schulungen vor der Nutzung von KI-Tools absolvieren. Damit setzt EY bereits jetzt die Anforderungen des AI Act der EU um, nach der alle Mitarbeitenden, die KI in ihrem Arbeitsalltag nutzen, entsprechend geschult sein müssen. Darüber hinaus bietet EY seinen Mitarbeitenden umfangreiche zusätzliche Schulungsmöglichkeiten. „Gewinnbringende KI-Antworten hängen nämlich auch maßgeblich vom richtigen Umgang mit der KI ab, wie beispielsweise das korrekte Prompting“, so Waller.

KI-Ausblick: Mehr Chancen als Risiken, Attraktivitätsgewinn und konkrete Projekte

Die Steuerberatung unterliegt einem stetigen Wandel, da sich Gesetze und Verwaltungsanweisungen fortwährend ändern. Eine Herausforderung besteht nach Einschätzung von Waller daher in der Entwicklung spezialisierter KI-Modelle mit umfangreichem steuerlichem Fachwissen, das auch tagesaktuell ist und Erfahrungen aus der Beratungspraxis mitberücksichtigt. „Eine weitere Herausforderung sind die oft schwer verständlichen Normen mit Rückausnahmen und Verweise auf andere Normen. Hier ist die Fehlerquote teils noch zu hoch“, so Waller.

Chancen bieten sich dem Experten zufolge hingegen insbesondere in Bereichen mit ähnlichen oder gleichartigen Geschäftsvorfällen, die von einer KI automatisiert und übersichtlich aufbereitet werden können. Dies reduziert nicht nur die aufgewendete Arbeitszeit für diese Aufgaben, sondern senkt gleichzeitig die Fehlerquote. „Die eingesparten Kapazitäten stehen dann wieder für die Beurteilung komplexer Sachverhalte zur Verfügung, die eine KI (noch) nicht beantworten kann. Somit ist ein Steuerberater auch wieder im eigentlichen Sinne seiner Tätigkeit beratend tätig“, sagt Waller. Auch und gerade im Hinblick auf den Fachkräftemangel – die Arbeitslosenquote in der Steuerberatung betrug im Jahr 2024 für Deutschland 1,7 Prozent – liegt dem Experten zufolge in der KI-Nutzung ein möglicher Teil der Lösung diesem in Zukunft zu begegnen. „Die Vorteile von KI können jedoch nur vollumfänglich greifen, wenn Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Mandanten an einem Strang ziehen und entsprechenden Bedenken technologieoffen und lösungsorientiert begegnet wird“, so Waller.

Der Steuer- und Digitalisierungsexperte Fischer sieht es ähnlich: „Die größte Herausforderung in der Steuerberatung ist die fehlende Bereitschaft für Veränderungen. Wer sich Veränderungen verschließt, zum Beispiel durch fehlende Investitionen in IT-Lösungen oder durch fehlende Schulungen der Mitarbeiter, wird dauerhaft nicht am Markt bestehen.“ Insgesamt sieht Fischer aber mehr Chancen als Risiken. „Durch den Einsatz von KI wird unser Beruf immer attraktiver werden.“ Die repetitiven Tätigkeiten fallen weg. Stattdessen kommen neue spannende Beratungsaufgaben hinzu. „Wer das verstanden hat, wird auf Dauer erfolgreich sein.“

Man darf also davon ausgehen, dass sich nicht nur die Lösungen immer weiterentwickeln, sondern auch die Anwendungsfälle (in den digital-affinen) Steuerkanzleien weiter zunehmen. Bei WINHELLER ist das nächste KI-Projekt bereits sehr konkret. Es ist kanzleiintern der Einsatz von KI für den gesamten kanzleieigenen Datenbestand geplant, den man in den vergangenen 20 Jahren aufgebaut hat. „Das lange Suchen in alten Akten nach möglichen Mustern gehört dann der Vergangenheit an“, sagt Demmler. KI soll der Kanzlei helfen, ihren Datenbestand sehr schnell zu durchforsten und davon ausgehend beispielsweise geeignete Vertragsmuster oder Vorlagen zu entwerfen.


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