Änderung eines bestandskräftig festgestellten Grundbesitzwerts
Bei der Bedarfsbewertung für Zwecke der Erbschaftsteuer kann der Steuerpflichtige nachweisen, dass der gemeine Wert des Grundstücks niedriger als der vom Finanzamt ermittelte Wert ist. Als Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts kann auch ein zeitnah erzielter Kaufpreis des Grundstücks dienen, wenn er im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommen ist (R B 198 Abs. 4 ErbStR 2011). Fraglich ist, ob der Kaufpreis aus einem Grundstücksverkauf zu einem unter dem nach den steuerlichen Bewertungsvorschriften ermittelten Grundstückswert liegenden Wert eine wertaufhellende Tatsache i. S. d. § 173 Abs. 1 Nr. 2 EStG bzw. ein rückwirkendes Ereignis i. S. d. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO darstellt. Bejaht man diese Frage, wäre eine Änderung des bestandskräftigen Bescheids über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Grundbesitzwerts für Zwecke der Erbschaftsteuer möglich.
Beispiel: Wesentlich niedrigerer Verkaufspreis
S hat von seiner verstorbenen Mutter Anfang 2015 ein Einfamilienhaus geerbt. Mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 12.1.2016 stellte das Finanzamt den Grundbesitzwert des Hauses für Zwecke der Erbschaftsteuer auf 150.000 EUR gesondert fest. Im Juli 2016 veräußert S die Wohnung für 100.000 EUR. Er beantragt die Änderung des Feststellungsbescheids, weil der Verkaufspreis wesentlich niedriger als der bestandskräftig festgestellte Grundbesitzwert ist.
Verwaltungsauffassung: Keine nachträgliche Änderung
Weist der Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert der wirtschaftlichen Einheit am Bewertungsstichtag niedriger ist als der nach den §§ 179, 182 bis 196 BewG ermittelte Wert, so ist dieser Wert anzusetzen (§ 198 Satz 1 BewG). Als Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts (Verkehrswert/Marktwert) kann nach Verwaltungsauffassung (R B 198 Abs. 4 ErbStR 2011) auch ein zeitnah erzielter Kaufpreis des Grundstücks dienen, wenn er im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zustande gekommen ist.
Ist der Verkauf des Grundstücks erst nach der abschließenden Entscheidung des für die Feststellung des Grundstückswerts zuständigen Amtsträgers erfolgt, kommt nach Meinung der Finanzverwaltung eine Änderung nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO nicht in Betracht (BayLfSt v. 12.3.2014, S 3229.1.1 - 1/2 St 34). Der nachträglich zustande gekommene Kaufpreis stellt auch kein rückwirkendes Ereignis nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO dar; unanfechtbar gewordene und nicht unter Vorbehalt der Nachprüfung ergangene Feststellungsbescheide können in derartigen Fällen nicht mehr geändert werden.
Praxis-Tipp: Unterschiedliche FG-Rechtsprechung
Dieser Ansicht der Finanzverwaltung ist das Thüringer FG jüngst gefolgt (Thüringer FG, Urteil v. 27.10.2015, 2 K 782/14, Az beim BFH II R 60/15). Bei einem Grundstücksverkauf zu einem unter dem nach steuerlichen Bewertungsvorschriften ermittelten Grundstückswert liegenden Kaufpreis ist der niedrigere Kaufpreis keine wertaufhellende Tatsache i. S. des § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO bzw. kein Beweismittel in Bezug auf den am Bewertungsstichtag bestehenden Verkehrswert. Eine Änderung des bestandskräftigen Feststellungsbescheids nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO kommt nicht in Betracht. Auch eine Änderung nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO wegen Eintritts eines rückwirkenden Ereignisses scheidet nach Meinung des Thüringischen FG aus.
Das FG Berlin-Brandenburg ist in einem ähnlichen Fall zu einem gegenteiligen Ergebnis gekommen (FG Berlin-Brandenburg, Urteil v. 24.3.2010, 3 K 3258/06 B). Es liegt daher auf der Hand, dass einschlägige Fällen offengehalten werden sollten, bis der BFH über die anhängige Revision entschieden hat.
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