Pflegeleistungen aus dem persönlichen Budget

Eine Leistung ist nicht bereits dann in die Berechnung der Sozialgrenze des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. n UStG einzubeziehen, wenn die Gegenleistung aus dem Persönlichen Budget (§ 29 SGB IX) bestritten wird. Etwas anderes gilt jedoch, wenn ein Budgetnehmer mit einem in der Vorschrift genannten Kostenträger als Budgetgeber eine individuelle Zielvereinbarung abgeschlossen hat sowie ein Gesamtplan des Budgetgebers vorliegt, in denen jeweils der Leistungserbringer namentlich genannt wird.

Hintergrund: Gesetzliche Regelung

Nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG a.F. (jetzt: § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. n UStG) sind steuerfrei die mit dem Betrieb von Einrichtungen zur Betreuung oder Pflege körperlich, geistig oder seelisch hilfsbedürftiger Personen eng verbundenen Leistungen, die von Einrichtungen erbracht werden, bei denen im vorangegangenen Kalenderjahr die Betreuungs- oder Pflegekosten in mindestens 25 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialversicherung, den Trägern der Sozialhilfe, den Trägern der Eingliederungsbeihilfe nach § 94 SGB IX oder der für die Durchführung der Kriegsopferversorgung zuständigen Versorgungsverwaltung einschließlich der Träger der Kriegsopferfürsorge ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind.

Betreuungs- und Pflegeleistungen, die aus dem "Persönlichen Budget" bestritten werden

Die Beteiligten stritten im Urteilsfall darüber, ob Leistungen der Klägerin, die der jeweilige Leistungsempfänger aus seinem Persönlichen Budget i.S.v. § 29 SGB IX bezahlt, umsatzsteuerfrei sind.

  • Die Klägerin ist eine GmbH. Zum 1.1.2020 ist sie unternehmerisch tätig geworden, indem sie den Geschäftsbetrieb der A übernommen hat. Um den Leistungsberechtigten in eigener Verantwortung ein möglichst selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, werden auf Antrag der Leistungsberechtigten Leistungen zur Teilhabe durch die Leistungsform eines Persönlichen Budgets gewährt (§ 29 Abs. 1 Satz 1 SGB IX), und zwar als Geldleistung, bei laufenden Leistungen monatlich (§ 29 Abs. 2 Satz 1 SGB IX).
  • Die von der Klägerin betreuten Menschen mit Behinderung (Budgetnehmer) stellten einen Antrag bei dem für sie zuständigen Leistungsträger (Budgetgeber) auf Auszahlung eines Persönlichen Budgets. In der daraufhin vom Budgetnehmer mit dem Budgetgeber abgeschlossenen individuellen Zielvereinbarung wurde die Klägerin als Leistungserbringerin namentlich genannt und wurden unter anderem sowohl die Höhe des Persönlichen Budgets als auch die Mittelverwendung festgehalten.
  • Nach § 121 SGB IX erstellte der Budgetgeber außerdem einen Gesamtplan zur Steuerung, Wirkungskontrolle und Dokumentation des Teilhabeprozesses, den er dem Budgetnehmer zur Verfügung stellte. Auch in den Gesamtplänen wird die Klägerin namentlich erwähnt. Die Klägerin ist verpflichtet, dem Budgetgeber mitzuteilen, welche ihrer Mitarbeiter den Budgetnehmer begleiten, und übermittelt entsprechende Ausbildungsnachweise.
  • Bis einschließlich 2019 wurde das Persönliche Budget der von A unterstützten Budgetnehmer direkt auf ein Konto der A überwiesen. Das Finanzamt (FA) sah deshalb nach Durchführung einer Außenprüfung die Leistungen der A als umsatzsteuerfrei an.
  • Seit dem Jahr 2020 (Streitjahr) wird das Persönliche Budget an die Budgetnehmer ausgezahlt, die die ihnen als Persönliches Budget vom Budgetgeber überwiesenen Geldmittel im Rahmen der getroffenen Zielvereinbarung frei verwenden. Am Ende jedes Bewilligungszeitraums sind vom Budgetnehmer die betreffenden Rechnungen vorzulegen, um dem Kostenträger die Prüfung zu ermöglichen, ob das Persönliche Budget in voller Höhe ausgeschöpft wurde oder ob ein Teil zurückerstattet werden muss.
  • Die Klägerin ging davon aus, dass ihre Leistungen im Streitjahr, wie zuvor die Leistungen der A, ebenfalls nach § 4 Nr. 16 Buchst. l UStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung (a.F.) umsatzsteuerfrei seien und wies in ihren Rechnungen an die Budgetnehmer unter Verweisung auf diese Steuerbefreiung keine Umsatzsteuer offen aus.
  • Nachdem die Klägerin dem FA im Juli 2020 mitgeteilt hatte, dass sie von der Steuerfreiheit der von ihr erbrachten Leistungen ausgehe, forderte das FA sie auf, eine Umsatzsteuererklärung für das Streitjahr einzureichen. In der Erklärung erklärte die Klägerin ihre Umsätze als steuerbar und steuerpflichtig. Dabei rechnete sie die Umsatzsteuer aus den vereinnahmten Beträgen heraus. Anschließend erhob sie Sprungklage, der das FA zustimmte.

Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts und beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Umsatzsteuer auf 0,00 EUR herabzusetzen. Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Entscheidung: Umsätze sind steuerfrei

Der BFH hält die Revision für begründet, hebt die Vorentscheidung auf und gibt der Klage statt. Die Umsätze der Klägerin sind, was das FG bei seiner Urteilsfindung noch nicht berücksichtigen konnte, aufgrund der späteren Rechtsprechung des BFH steuerfrei.

Zwar keine unmittelbare Anerkennung der Klägerin

Unionsrechtlich beruhte die Vorschrift des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. l UStG a.F. auf Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL. Danach befreien die Mitgliedstaaten "eng mit der Sozialfürsorge und der sozialen Sicherheit verbundene Dienstleistungen und Lieferungen von Gegenständen, einschließlich derjenigen, die durch Altenheime, Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder andere von dem betreffenden Mitgliedstaat als Einrichtungen mit sozialem Charakter anerkannte Einrichtungen bewirkt werden". Es ist Sache des innerstaatlichen Rechts jedes Mitgliedstaats, die Regeln aufzustellen, nach denen Einrichtungen die erforderliche Anerkennung gewährt werden kann.

§ 4 Nr. 16 Buchst. l UStG a.F. hält sich im Rahmen dieses Ermessens, wenn er die Steuerbefreiung davon abhängig macht, dass bei der betreffenden Einrichtung die Betreuungskosten in mindestens 25 % der Fälle von den gesetzlichen Trägern der Sozialhilfe ganz oder zum überwiegenden Teil vergütet worden sind.

Ausgehend davon hat das FG zu Recht angenommen, dass keine unmittelbare Anerkennung der Klägerin vorliegt. Die Klägerin erhielt ihre Zahlungen nicht in mindestens 25 % der Fälle unmittelbar von den in § 4 Nr. 16 Buchst. l UStG a.F. genannten gesetzlichen Trägern, sondern von den Leistungsempfängern.

Außerdem sind nur die Umsätze von anerkannten und nicht auch die von nicht anerkannten Einrichtungen befreit, wenn der betreffende Mitgliedstaat das ihm eingeräumte Ermessen eingehalten hat. Ist die Klägerin als andere Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung vom Mitgliedstaat Deutschland anerkannt, sind ihre Umsätze steuerfrei. Ist sie nicht als andere Einrichtung mit vergleichbarer Zielsetzung anerkannt, sind ihre Umsätze steuerpflichtig. Einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL oder die UN-BRK ist in dieser Unterscheidung nicht zu erkennen.

Aber mittelbare Anerkennung möglich

Allerdings kann auch bei der Erbringung von Leistungen, die aus dem persönlichen Budget vom Budgetnehmer bezahlt werden, eine mittelbare Anerkennung durch eine explizite Entscheidung des das Budget gewährenden Trägers vorliegen. Die Vorentscheidung ist deshalb aufzuheben. Der V. Senat des BFH hat zu der Frage, ob Leistungen, die aus dem Persönlichen Budget bestritten werden, mit Urteil v. 19.12.2024, V R 1/22 unter Anschluss an die Rechtsprechung des Senats (BFH, Urteil v. 24.2.2021, XI R 30/20 (XI R 11/17), BStBl II 2023, 792; EuGH, Urteil v. 8.10.2020, C-657/19) entschieden, dass nach § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k bzw. l UStG a.F. Leistungen steuerfrei sind, die "vergütet worden sind", was nur voraussetzt, dass der zuständige Träger die erbrachten Leistungen kennt und die Kosten hierfür – wenn auch nur mittelbar – tragen will. Dies ist aber nur dann der Fall, wenn die Kostenübernahme – auch in Bezug auf die Person des Leistungserbringers  auf einer expliziten Entscheidung des Kostenträgers beruht. Auch in der Bereitschaft zur Vergütung einer Leistung einer dem Sozialversicherungsträger bekannten Person liegt daher eine Anerkennung als vergleichbare Einrichtung mit sozialem Charakter.

Daher sind auch aus dem Persönlichen Budget bestrittene Leistungen für die Bemessung der Mindestvergütungsquote des § 4 Nr. 16 Satz 1 Buchst. k, l, m oder n UStG a.F. zu berücksichtigen, wenn eine explizite Entscheidung auch in Bezug auf die Person des Leistungserbringers durch einen in dieser Vorschrift genannten Träger vorliegt.

Resümee

Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG liegt im Streitfall bei den von der Klägerin betreuten Budgetnehmern jeweils eine vom Budgetnehmer mit dem Budgetgeber geschlossenen individuelle Zielvereinbarung vor, in der die Klägerin als Leistungserbringerin namentlich genannt wird. Außerdem wird nach den tatsächlichen Feststellungen des FG in einem Gesamtplan des Budgetgebers nach § 121 SGB IX die Klägerin namentlich erwähnt. Es liegt daher hinsichtlich aller Budgetnehmer, denen ein Persönliches Budget unter Einschaltung der Klägerin gewährt wurde, eine explizite Entscheidung des zuständigen Trägers im Sinne des § 4 Nr. 16 Buchst. l UStG a.F. vor. Die Sozialgrenze ist damit überschritten und die an die Budgetnehmer ausgeführten Umsätze der Klägerin sind steuerfrei.

BFH, Urteil v. 30.4.2025, XI R 25/24; veröffentlicht am 18.9.2025

Alle am 18.9.2025 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen




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