BFH

Klageerhebung per Telefax vor Zugang des Erstregistrierungsbriefs für das beSt


Klageerhebung per Telefax vor Zugang des Erstregistrierungsbriefs

Wenn ein Steuerberater in der Übergangszeit zwischen der erstmaligen Anwendbarkeit der gesetzlichen Regelungen über das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (1.1.2023) und dem späteren tatsächlichen Erhalt des für ihn bestimmten Erstregistrierungsbriefs eine Klage noch per Telefax erhebt, kann eine solche Klage jedenfalls unter den Voraussetzungen einer Wiedereinsetzung zulässig sein (Anschluss an den Beschluss des BVerfG v. 23.6.2025, 1 BvR 1718/24).

Rechtsfrage

Ist ein Steuerberater bereits vor Erhalt des von der Bundessteuerberaterkammer (BStBK) zu erstellenden Registrierungsbriefs zur Nutzung des besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs – beSt – nach § 52d Satz 2 FGO verpflichtet, weil er die Möglichkeit gehabt hätte, eine vorzeitige Registrierung („Fast lane“) zu beantragen?

Sachverhalt: Steuerberatungsgesellschaft erhebt Mitte Januar 2023 Klage per Fax

  • Der Kläger begehrte im Klageverfahren einen Investitionsabzugsbetrag (IAB) für einen zu eröffnenden Gewerbebetrieb. Seine damalige Prozessbevollmächtigte (P), eine Steuerberatungs-GmbH, erhob am 18.1.2023 per Telefax Klage gegen die Einspruchsentscheidung des Finanzamts (FA).
  • Das FG wies den Kläger mit Schreiben vom 20.1.2023 darauf hin, dass die Klageerhebung wegen Nichtbeachtung der Anforderungen des § 52d FGO unwirksam sei. Steuerberater könnten am vorgezogenen Registrierungsverfahren („Fast Lane“) teilnehmen. Dies sei durch die P nicht erfolgt.
  • Der Kläger legte daraufhin am 31.1.2023 die „Kammermitteilungen 4/2022“ der für P zuständigen Steuerberaterkammer vor. Darin heißt es: „Die BStBK macht darauf aufmerksam, dass die Berufsträger/innen erst mit Erhalt des Registrierungsbriefes der BStBK dazu verpflichtet sind, ihr beSt zu nutzen. Diese Briefe werden ab Januar 2023 in einzelnen Tranchen verschickt. Laut aktueller Planungen sind bis April 2023 alle Berufsträger/innen angeschrieben.“
  • Aus den Ermittlungen des FG ergibt sich, dass P am 20.1.2023 die vorgezogene Registrierung bei der zuständigen Steuerberaterkammer beantragt hatte. Der entsprechende Registrierungsbrief wurde am 17.2.2023 versandt und ging am 20.2.2023 bei P ein. Deren Geschäftsführer befand sich zu diesem Zeitpunkt noch bis zum 23.2.2023 im Urlaub und führte die Erstanmeldung unmittelbar danach durch. Am 28.2.2023 übermittelte P schließlich einen Schriftsatz über das beSt an das FG, in dem es u. a. heißt: "Ich bitte aus folgenden Gründen die Klage … zu berücksichtigen".

FG hat Klage als unzulässig abgewiesen

Das FG sah die Klage als unzulässig an, weil sie nicht in der durch § 52d FGO vorgeschriebenen Form erhoben worden sei. „Spätestens“ ab dem 1.1.2023 habe P ein sicherer Übermittlungsweg zur Verfügung gestanden. Das beSt sei seit dem 1.1.2023 grundsätzlich funktionsbereit gewesen. Lediglich die Erstregistrierung der P habe gefehlt. Soweit die BStBK und die für P zuständige Steuerberaterkammer öffentlich die Auffassung vertreten hätten, eine aktive Nutzungspflicht bestehe erst ab dem Erhalt des Registrierungsbriefs, könne dies den Kläger nicht entlasten.

Entscheidung: Anspruch auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand

Der BFH hat entschieden, dass die Klage entgegen der Auffassung des FG zulässig war. Das FG hätte dem Kläger jedenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für die mangels Verfügbarkeit des beSt unverschuldete Versäumung der Klagefrist gewähren müssen.

Hinweis auf Entscheidung des BVerfG

Das BVerfG hat (bereits) im Beschluss vom 23.6.2025, 1 BvR 1718/24, zu einem mit dem Streitfall vergleichbaren Sachverhalt ausgeführt, das dort angefochtene klageabweisende Urteil verletze das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) jedenfalls deshalb, weil das dortige FG den gestellten Wiedereinsetzungsantrag nicht mit der gegebenen Begründung hätte ablehnen dürfen. Bei der Auslegung und Anwendung der vom Gesetzgeber im Rahmen seines Spielraums geschaffenen Rechtsschutzregeln dürften die Gerichte den Zugang zu den dem Rechtsuchenden eingeräumten Instanzen nicht in unzumutbarer Weise erschweren. Auch die Anforderungen an die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand dürften daher nicht überspannt werden.

Zum Jahreswechsel 2022/2023 sei eine komplexe Übergangssituation aufgetreten, nachdem entgegen der Vorgabe aus § 86d StBerG eine flächendeckende Freischaltung der Zugänge zum beSt nicht möglich gewesen und daher auch nicht erfolgt sei. Es sei naheliegend gewesen, dass Steuerberater den bis zum Beginn des Jahres 2023 durchgehend verlautbarten Äußerungen der BStBK, die Pflicht zur Nutzung des beSt beginne erst mit Erhalt des individuellen Registrierungsbriefs, Vertrauen entgegengebracht hätten. Die Möglichkeit einer vorgezogenen Registrierung im Wege eines „Fast Lane“-Verfahrens sei von der BStBK stets als freiwillig deklariert worden.

Folgerungen für den Streitfall

Nach diesen Maßgaben ist die Klage im Streitfall jedenfalls deshalb zulässig, weil dem Kläger zumindest Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der auf der fehlenden Verfügbarkeit des beSt beruhenden Versäumung der Klagefrist zu gewähren ist.

Kein Verschulden des Klägers

Den Kläger traf zunächst kein Verschulden an der Säumnis. Der Kläger war bis zum Ergehen des Hinweisschreibens des FG vom 20.1.2023 ohne Verschulden an der Einhaltung der Klagefrist gehindert. Der für ihn tätigen P war bis zum Ablauf der Klagefrist (19.1.2023) der für die Erstanmeldung am beSt zwingend erforderliche Registrierungsbrief noch nicht zugegangen. Ihr war daher eine Nutzung des beSt aus tatsächlichen Gründen nicht möglich.

Bei dieser Sachlage könnte ein Verschulden der P nur dann angenommen werden, wenn sie verpflichtet gewesen wäre, durch Nutzung des „Fast Lane“-Verfahrens aktiv auf ihre vorgezogene Registrierung hinzuwirken und sie außerdem einer solchen Verpflichtung schuldhaft nicht nachgekommen wäre. Jedenfalls Letzteres ist jedoch nicht der Fall. Dabei kann der Senat offenlassen, ob es eine Rechtspflicht zur Nutzung der „Fast Lane“ gab und aus welcher Norm diese abzuleiten sein könnte. Jedenfalls mussten die Steuerberater als Normadressaten des § 52d Satz 2 FGO vor der Veröffentlichung der ersten hierzu ergangenen BFH-Entscheidung am 4.5.2023 nicht wissen, dass einige BFH-Senate nach Abschluss der Erstregistrierungsphase die Auffassung vertreten würden, die Nutzung der „Fast Lane“ sei aus Rechtsgründen erforderlich gewesen.

Den gesetzlichen Grundlagen für das beSt und den Registrierungsprozess ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass der einzelne Steuerberater verpflichtet gewesen wäre, schon vor Erhalt des Registrierungstokens (des Registrierungsbriefs) aktiv auf eine vorgezogene Registrierung hinzuwirken. In Übereinstimmung damit hatte die BStBK den Steuerberatern mitgeteilt, die „Fast Lane“ sei lediglich als freiwilliges Angebot zu verstehen. Es stellt demnach kein „Verschulden“ i. S. des § 56 Abs. 1 FGO dar, wenn P sich auf diese Informationen der für die Errichtung des beSt zuständigen öffentlich-rechtlichen Berufskammern verlassen hat.

Jedenfalls im Streitfall war die „Fast Lane“ zudem nicht geeignet, innerhalb der einmonatigen Klage- oder Rechtsmittelfrist einen bisher nicht bestehenden Zugang zum beSt zu eröffnen. So ist vorliegend vom FG festgestellt worden, dass das Beschreiten der „Fast Lane“ in diesem Verfahren einen vollen Monat gedauert und damit genauso lang wie der Lauf einer Klagefrist hat. Eine derart langsame „Fast Lane“ wäre von vornherein ungeeignet gewesen, nach Zugang einer Einspruchsentscheidung noch während der laufenden Klagefrist die Möglichkeit zur Nutzung des beSt zu schaffen.

Weitere Voraussetzungen des § 56 FGO ebenfalls erfüllt

Wenn davon auszugehen sein sollte, dass mit dem Hinweisschreiben des FG vom 20.1.2023 eine Sorgfaltspflicht dahin begründet wurde, unverzüglich über die „Fast Lane“ einen Zugang zum beSt zu beschaffen, so ist P dem jedenfalls nachgekommen. P hat unverzüglich nach Erhalt dieses Schreibens die vorgezogene Registrierung beantragt. Ferner hat der Kläger gegenüber dem FG am 31.1.2023 – und damit innerhalb der Zwei-Wochen-Frist – auf die Äußerungen der für P zuständigen regionalen Steuerberaterkammer hingewiesen, die sich mit den vom BVerfG herangezogenen Verlautbarungen der BStBK decken, und dies durch Vorlage der entsprechenden Kammermitteilung glaubhaft gemacht. Das FG hat dieses Vorbringen zutreffend als Wiedereinsetzungsantrag ausgelegt.

Der Kläger hat auch die versäumte Rechtshandlung nachgeholt. Zwar konnte dies nicht innerhalb der zweiwöchigen Antragsfrist (§ 56 Abs. 2 Satz 1, 3 FGO) geschehen, da P trotz eines von ihr gestellten „Fast Lane“-Antrags auch bis zum Ablauf der Antragsfrist noch nicht über den erforderlichen Erstregistrierungsbrief verfügte. Nach dem Zugang des Erstregistrierungsbriefs am 20.2.2023 hat P aber mit dem nunmehr über das beSt und damit ordnungsgemäß übermittelten Schriftsatz vom 28.2.2023 zum Ausdruck gebracht, dass das Klageverfahren wegen der Einkommensteuer 2019 betrieben werden soll. Darin ist die Nachholung der möglicherweise versäumten Rechtshandlung zu sehen.

Sache nicht spruchreif

Das FG hat – aufgrund seiner Auffassung, die Klage sei bereits unzulässig – keine Feststellungen zu der Frage getroffen, ob die Voraussetzungen für eine Gewährung des vom Kläger begehrten IAB erfüllt sind. Aus diesem Grund ist der Rechtsstreit an die Tatsacheninstanz zurückzuverweisen.

BFH, Urteil v. 6.8.2025, X R 13/23; veröffentlicht am 4.9.2025

Alle am 4.9.2025 veröffentlichten Entscheidungen des BFH mit Kurzkommentierungen


Schlagworte zum Thema:  Klage , Steuerberater
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