Anonyme Anzeige bleibt anonym
Grundsätzliches
Ein Akteneinsichtsrecht existiert im finanzgerichtlichen Verfahren (§ 78 FGO) und im Rahmen eines (Steuer-) Strafverfahrens (§ 147 StPO).
Die Regelungen der Abgabenordnung sehen hingegen kein Akteneinsichtsrecht vor. Während des Besteuerungsverfahrens kann die Finanzbehörde nach pflichtgemäßem Ermessen im jeweiligen Einzelfall Akteneinsicht gewähren.
Unabhängig davon haben nach Art. 15 DSGVO Personen einen datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch, Informationen über verarbeitete personenbezogenen Daten zu erhalten. Kopien der personenbezogenen Daten sind zur Verfügung zu stellen (Art. 15 Abs. 3 DSGVO). Diese Datenauskunftsrecht wird durch Art. 23 DSGVO i.V.m. § 32c AO jedoch eingeschränkt. Ein Datenauskunftsrecht besteht beispielsweise dann nicht, wenn die ordnungsgemäße Erfüllung der in der Zuständigkeit der Finanzbehörde liegenden Aufgaben gefährdet würde und die Interessen der Finanzbehörden an der Nichterteilung der Information die Interessen der betroffenen Person überwiegt (§ 32a Abs. 1 Nr. 1 AO).
Vom BFH zu klärende Frage
Der BFH musste die Frage entscheiden, ob die Finanzbehörde Auskunft über eine anonyme Anzeige zu erteilen hat oder deren Inhalt zur Verfügung stellen muss.
Sachverhalt: Anonyme Anzeige und Akteneinsicht
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt verhielt sich folgendermaßen:
- Im Café der Klägerin fand im Anschluss an eine anonyme Anzeige eine Kassen-Nachschau statt. Steuerstrafrechtliche oder ordnungsrechtliche Vorwürfe erwuchsen hieraus ebenso wenig wie steuerliche Nachforderungen. Es wurden aber formale Kassenführungs- und Aufzeichnungsmängel festgestellt.
- Die Klägerin begehrten vom FA erfolglos die Übersendung einer Kopie der anonymen Anzeige, hilfsweise die Mitteilung ihres Inhalts.
- Die Klägerin vermutete, dass eine ehemalige Mitarbeiterin hinter der anonymen Anzeige stecken könnte, die sie auch schon bei anderen Stellen angeschwärzt hatte, und wollten gegen diese ggf. zivilrechtlich oder durch eine Strafanzeige vorgehen.
- In Kenntnis der langjährigen restriktiven Rspr. des BFH zum Recht auf Akteneinsicht beriefen sich die Klägerin auch auf ihre Rechte aus § 15 DSGVO.
- Das Finanzamt lehnte sowohl den Antrag auf Akteneinsicht als auch den Antrag auf Auskunft nach der DSGVO über den Inhalt der anonymen Anzeige ab.
FG Berlin-Brandenburg: Kein Anspruch auf Akteneinsicht bei anonymer Anzeige
Das FG Berlin-Brandenburg (Urteil v. 25.9.2024, 16 K 16096/23) lehnte den Antrag auf Akteneinsicht ab und verneinte zudem einen Anspruch auf Übersendung der Kopie der anonymen Anzeige nach der DSGVO.
Entscheidung: Kein Anspruch auf Akteneinsicht bei anonymer Anzeige
Der BFH hat die Revision sowohl gegen die Ablehnung des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruch als auch gegen die Ablehnung eines Akteneinsichtsrechts als unbegründet zurückgewiesen. Der BFH begründet dies im Wesentlichen wie folgt:
Ermessensentscheidung über den Antrag auf Akteneinsicht
Ein Anspruch auf Akteneinsicht besteht nach der AO nicht. Gleichwohl kann das Finanzamt im Einzelfall nach pflichtgemäßem Ermessen Akteneinsicht gewähren (Rz. 42). Im Entscheidungsfall wurde die Akteneinsicht aber ermessensfehlerfrei abgelehnt.
Bei Gewährung der Akteneinsicht aufgrund behördlicher Ermessensentscheidung muss das Steuergeheimnis gewahrt werden (Rz. 44). Wegen der Beachtung des Steuergeheimnisses ist i.d.R. davon auszugehen, dass die Ablehnung einer Akteneinsicht nicht fehlerhaft ist (Rz. 45), obwohl ein Offenbarungsinteresse besteht.
Das Interesse eines Steuerpflichtigen auf Kenntnisnahme einer gegen ihn gerichteten, in den Steuerakten der Finanzbehörde befindlichen anonymen Anzeige (Offenbarungsinteresse) ist im Rahmen der behördlichen Ermessensentscheidung über den Antrag auf Akteneinsicht gegen die kollidierenden Geheimhaltungsinteressen des Anzeigeerstatters abzuwägen. Beim Abwägungsprozess ist auch das Interesse der Finanzverwaltung an einer gleichmäßigen und gesetzmäßigen Besteuerung zu berücksichtigen, wobei die Finanzverwaltung auf „Insider-Kenntnisse“ angewiesen ist.
Die Finanzverwaltung hat bei dem einzelfallabhängigen Abwägungsprozess die begehrte Akteneinsicht ermessensfehlerfrei abgelehnt (Rz. 49-53).
Kein datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch
Beinhaltet eine anonyme Anzeige Informationen, die einen Steuerpflichtigen persönlich betreffen, liegen für ihn insoweit personenbezogene Daten (Art. 4 Nr. 1 DSGVO) vor, die grundsätzlich vom Tatbestand des datenschutzrechtlichen Auskunftsanspruchs (Art. 15 Abs. 1 DSGVO) erfasst sind. Ein Auskunftsanspruch hierüber besteht in unionsrechtlich zulässiger Weise jedoch nicht, weil die ordnungsgemäße Erfüllung die Aufgaben der Finanzbehörde gefährden würde (Rz. 63 ff.).
Praxisfolgen
Die BFH-Entscheidung unterscheidet zwischen
- dem Antrag auf Akteneinsicht und
- dem Auskunftsrecht nach der DSGVO.
Der Antrag auf Akteneinsicht ist im Besteuerungsverfahren eine behördliche Ermessensentscheidung.
Das Auskunftsrecht nach der DSGVO ist gesetzlich geregelt, wird aber nach Auffassung des BFH unionsrechtlich zulässig durch Art. 23 DSGVO i.V.m. § 32c AO (Gefährdung der Aufgabenerfüllung der Finanzverwaltung) eingeschränkt.
Der BFH setzt sich in der Rezensionsentscheidung intensiv mit der Ermessensentscheidung auf Akteneinsicht auseinander. Zumindest dann, wenn sich die Anzeige als „Sturm im Wasserglas“ erweist, kann die Akteneinsicht ermessensgerecht abgelehnt werden.
Auch die vieldiskutierte Möglichkeit, an die Inhalte der anonymen Anzeige über die DSGVO heranzukommen, war nicht erfolgreich.
BFH, Urteil v. 15.7.2025, IX R 25/24; veröffentlicht am 25.9.2025
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