Widerlegbare Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht bei unentgeltlicher Bürgschaft
Rechtsfrage
Kann die Einkünfteerzielungsabsicht im Rahmen der Berücksichtigung eines Verlustes i. S. des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i. V. m. Satz 2 und Abs. 4 EStG damit verneint werden, dass zum Zeitpunkt des Forderungsübergangs nach § 774 BGB eine Erzielung von Kapitaleinkünften von vornherein ausgeschlossen ist?
Sachverhalt: Inanspruchnahme aus einer Bürgschaftserklärung
Streitig war, ob der Kläger wegen des Ausfalls einer Bürgschaftsregressforderung einen steuerbaren Verlust bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Jahr 2012 (Streitjahr) realisiert hat.
- Der Kläger hatte gegenüber der A Bank am 20.12.2010 eine Höchstbetragsbürgschaft für ein Darlehen der A Bank an die Z GmbH übernommen. Der Kläger war an der Z GmbH nicht beteiligt.
- Im Januar 2011 schloss der Kläger mit der Z GmbH eine Vereinbarung. Nach dem Vertrag gewährte er der Z GmbH ein verzinsliches Darlehen „durch Umwandlung“ des Darlehens der A Bank an die Z GmbH. Das Darlehen sollte mit 7 % p. a. verzinst werden. Es war analog den Darlehensbedingungen der A Bank in monatlichen Raten an den Kläger zurückzuzahlen. Zusätzlich sollte der Kläger eine Gewinn- und Verlustbeteiligung ab dem 1.1.2011 i. H. v. 10 % des Jahresergebnisses der Z GmbH erhalten. Die Dauer der Gewinn- und Verlustbeteiligung war bis zum 1.1.2016 vereinbart. In der Vereinbarung wurde auf die mit der A Bank vereinbarten Sicherheiten Bezug genommen.
- Am 26.1.2012 wurde dem Kläger die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft durch die A Bank angekündigt. Im Januar 2012 wurde über das Vermögen der Z GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Am 12.4.2012 kündigte die A Bank dem Kläger erneut die Inanspruchnahme aus der Bürgschaft (nunmehr einschließlich Zinsen und Mahngebühren) an. Der Kläger zahlte nach Anforderung an die A Bank am 20.4.2012 den geschuldeten Betrag. Er meldete am 19.3.2012 (wegen der Vereinbarung mit der Z GmbH aus dem Januar 2011) und am 2.5.2012 (wegen der auf ihn als Bürgen übergegangenen Darlehensforderung der A Bank gegen die Z GmbH) jeweils Forderungen zur Insolvenztabelle an.
Das Finanzamt (FA) lehnte für das Streitjahr 2012 eine Berücksichtigung des geltend gemachten Verlusts ab. Der Einspruch blieb ohne Erfolg. Das Finanzgericht hat die anschließende Klage abgewiesen. Der Ausfall der Bürgschaftsregressforderung habe nicht zu negativen Kapitaleinkünften geführt. Es fehle insoweit an der Einkünfteerzielungsabsicht des Klägers. Im Zeitpunkt des Übergangs der besicherten Darlehensforderung sei die Bürgschaftsregressforderung gegen die insolvente Z GmbH wertlos gewesen. Die Übernahme der Bürgschaft sei zudem unentgeltlich erfolgt. Ferner sei die Lebensgefährtin des Klägers im Streitjahr die damals noch nicht geschiedene Ehefrau eines Gesellschafters der Z GmbH gewesen. Der Kläger habe durch die Hingabe der Bürgschaft für den Betriebskredit der Familie seiner Lebensgefährtin die Fortführung des Familienunternehmens zumindest noch für eine Weile habe ermöglichen wollen.
Entscheidung: Einkünfteerzielungsabsicht widerlegbar zu vermuten
Der BFH hat das vorinstanzliche Urteil aufgehoben und den Streitfall zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen. Er kann auf Grundlage der getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen, ob der Kläger über die erforderliche Einkünfteerzielungsabsicht verfügt hat und falls ja, ob der Ausfallverlust bereits im Streitjahr realisiert worden ist.
Bürgschaftsregressforderung als sonstigen Kapitalforderung
Eine Bürgschaftsregressforderung gehört zu den sonstigen Kapitalforderungen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, deren Ausfall gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 und § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG zu einem steuerbaren Verlust führen kann. Zur Vermeidung von Wiederholungen verweist der Senat insoweit auf das BFH-Urteil v. 20.6.2023, IX R 2/22 (Rz 25 bis 30; unklar BMF, Schreiben v. 14.5.2025, BStBl I 2025, 1330, Tz. 58, 60).
Erfordernis der Einkünfteerzielungsabsicht im Zeitpunkt der Hingabe der Bürgschaft
Das Erfordernis der Einkünfteerzielungsabsicht gilt grundsätzlich für alle Einkunftsarten, allerdings unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Besonderheiten hinsichtlich der Einkünfteermittlung. Für die Einkünfte aus Kapitalvermögen, die dem gesonderten Tarif nach § 32d Abs. 1 EStG unterfallen, bedingen die Besonderheiten der Einkünfteermittlung eine tatsächliche (widerlegbare) Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht. Dies entspricht der mittlerweile gefestigten Rechtsprechung des BFH. Dem ist die Finanzverwaltung zwischenzeitlich grundsätzlich beigetreten (BMF-Schreiben v. 14.5.2025, BStBl I 2025, 1330, Tz. 125).
Ob die Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht widerlegt ist, ist für Bürgschaftsregressforderungen im Zeitpunkt der Hingabe der Bürgschaft zu beurteilen (siehe hierzu BFH, Urteil v. 20.6.2023, IX R 2/22, BFHE 280, 531, Rz 31).
Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht auch für unentgeltlich übernommene Bürgschaft
Der Bürge übernimmt eine unentgeltliche Bürgschaft regelmäßig in der Erwartung, nicht in Anspruch genommen zu werden und hat unter fremden Dritten anzunehmende hinreichende geschäftliche Gründe für die Sicherheitengestellung in dieser Form. Der Bürge kann die Bürgschaftsregressforderung (theoretisch) nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG oberhalb seiner Anschaffungskosten an einen Dritten veräußern. Daneben erfassen § 20 Abs. 1 Nr. 1, § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, § 20 Abs. 2 Satz 2, § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG auch den Fall des Verlusts, wenn der Bürge nach einer Inanspruchnahme keinen vollständigen Regress beim Schuldner nehmen kann.
Dass bei fehlender Inanspruchnahme des Bürgen aus der unentgeltlichen Bürgschaft regelmäßig kein Totalgewinn erzielbar ist, sondern die Übernahme aus anderen wirtschaftlichen Beweggründen oder angestrebten Vorteilen des Bürgen erfolgt, stellt die Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht nicht in Frage. Die Einkünfteerzielungsabsicht für den Verlust aus dem Ausfall einer Bürgschaftsregressforderung ist bei einer unentgeltlichen Bürgschaftsübernahme unter fremden Dritten danach grundsätzlich erst dann widerlegt, wenn die Bürgschaft ohne jeden wirtschaftlichen Hintergrund hingegeben worden ist.
Rechtlicher Standpunkt des FG weicht hiervon ab
Das FG hat für die Widerlegung der Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht ausschließlich auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des gesetzlichen Forderungsübergangs nach Eintritt der Insolvenz der Z GmbH abgestellt. Es hat zudem keine Feststellungen getroffen, aus denen sich ableiten ließe, dass der Kläger im Zeitpunkt der Bürgschaftshingabe mit einer Inanspruchnahme rechnen musste.
Zwar hat das FG das Fehlen eines wirtschaftlichen Hintergrunds für die Bürgschaftsübernahme durch den Kläger geprüft und das besondere persönliche Beziehungsgeflecht zwischen dem Gesellschafter der Z GmbH als getrenntlebenden Ehemann der Lebensgefährtin des Klägers und dem Kläger als Motiv herangezogen. Insoweit tragen die Feststellungen des FG jedoch seine Würdigung nicht, dass die Hingabe der Bürgschaft durch den Kläger jeglichen wirtschaftlichen Hintergrund vermissen ließ. Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass seine Lebensgefährtin im Streitjahr zwar die getrenntlebende frühere Ehefrau eines Gesellschafters der Z GmbH gewesen sei. Es hätten jedoch bereits zu einem früheren Zeitpunkt Geschäftsbeziehungen des Klägers mit der Z GmbH bestanden, die trotz der Veränderungen im persönlichen Umfeld der Beteiligten auch im Streitjahr fortgeführt worden seien.
Segelanweisung des BFH
- Das FG wird anhand des vom Senat aufgezeigten Maßstabs nochmals zu prüfen haben, ob die Einkünfteerzielungsabsicht im Zeitpunkt der Bürgschaftshingabe fehlte, weil die hierfür eingreifende Vermutung ausnahmsweise mangels eines erkennbaren wirtschaftlichen Hintergrunds widerlegt ist. Für wirtschaftliche Beweggründe des Klägers zu diesem Zeitpunkt könnte der aus den Akten ersichtliche übrige Geschehensablauf sprechen. Der Kläger hat nämlich annähernd zeitgleich zur Hingabe der Bürgschaft die Vereinbarung im Januar 2011 mit der Z GmbH abgeschlossen.
- Sollte das FG die Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht im zweiten Rechtsgang als nicht widerlegt ansehen, wäre zu prüfen, ob der Ausfallverlust dem Kläger bereits im Streitjahr entstanden ist. Die dem Senat vorliegenden Akten legen nahe, dass der Insolvenzverwalter der Z GmbH bereits am 7.3.2012 gegenüber dem zuständigen Insolvenzgericht die Masseunzulänglichkeit für das Insolvenzverfahren der Z GmbH angezeigt hat. Danach kann in den Fällen der Masseunzulänglichkeit ein endgültiger Forderungsausfall bereits zu diesem Zeitpunkt anzunehmen sein.
BFH, Urteil v. 1.7.2025, VIII R 3/23; veröffentlicht am 4.9.2025
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