BFH ermöglicht höheren Abzug außergewöhnlicher Belastungen

Abweichend von der bisherigen Praxis wird lediglich der Teil des Gesamtbetrags der Einkünfte, der den gesetzlichen Grenzbetrag übersteigt, mit dem jeweils höheren Prozentsatz belastet.  

Hintergrund: Zumutbare Belastung bei Krankheitskosten

Der verheiratete Steuerberater S erzielte im Streitjahr 2006 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als rentenversicherungspflichtiger Arbeitnehmer. Er leistete Beiträge an eine berufsständige Versorgungseinrichtung, die als Sonderausgaben anerkannt wurden (Regelpflichtbeitrag sowie freiwillige Beiträge von jeweils 12.285 EUR abzüglich Arbeitgeberzuschuss von 5.106 EUR). Außerdem erklärten die Eheleute 4.148 EUR Krankheitskosten als außergewöhnliche Belastungen.

Das FA berücksichtigte die Krankheitskosten nach Abzug der zumutbaren Belastung von 2.073 EUR noch mit 2.069 EUR und die Beiträge an das Versorgungswerk im Rahmen der Sonderausgabenhöchstbetragsberechnung. S sah darin eine Ungleichbehandlung im Vergleich zu Beamten, da bei diesen die Bemessungsgrundlage der zumutbaren Anteils der außergewöhnlichen Belastung geringer sei. Da Beamte keine Altersvorsorgebeiträge leisteten, sei ihr Bruttogehalt niedriger als das von Angestellten. Für die Bemessungsgrundlage der zumutbaren Belastung werde jedoch bei Angestellten der Gesamtbetrag der Einkünfte nicht um die Altersvorsorgebeiträge entsprechend gekürzt. Bei gleichem Nettoeinkommen entstehe daher eine höhere zumutbare Belastung als bei Beamten. Das FG verneinte einen Gleichheitsverstoß und wies die Klage ab.     

Entscheidung: Gestufte Ermittlung der zumutbaren Belastung

Zwangsläufig erwachsende Aufwendungen – hier: Krankheitskosten – werden nur insoweit berücksichtigt, als sie die zumutbare Belastung (§ 33 Abs. 3 EStG) übersteigen. Denn dem Steuerbürger wird entsprechend seiner Leistungsfähigkeit zugemutet, einen Teil der außergewöhnlichen Belastung selbst zu tragen. Die Prozentsätze – zwischen 1 % und 7 % des Gesamtbetrags der Einkünfte - berücksichtigen, dass Steuerbürger mit einem höheren Gesamtbetrag der Einkünfte leistungsfähiger und damit entsprechend belastbarer sind.

Die Finanzverwaltung und auch die Rechtsprechung gingen bisher davon aus, dass sich die zumutbare Belastung insgesamt nach dem höheren Prozentsatz richtet, sobald der Gesamtbetrag der Einkünfte eine der in § 33 Abs. 3 EStG genannten drei Stufen überschreitet. An dieser Berechnung hält der BFH nicht mehr fest. Die Vorschrift (§ 33 Abs. 3 EStG) ist vielmehr so zu verstehen, dass nur der Teil des Gesamtbetrags der Einkünfte, der den jeweiligen Grenzbetrag übersteigt, mit dem höheren Prozentsatz belastet wird. Denn die Regelung stellt nicht auf den "gesamten Gesamtbetrag der Einkünfte", sondern nur auf den "Gesamtbetrag der Einkünfte" ab. Der gesetzliche Prozentsatz bezieht sich daher nur auf den Gesamtbetrag der Einkünfte in der Spalte der Tabelle, in der sich die jeweilige Prozentzahl befindet. Der Gesetzeswortlaut bietet keine Grundlage dafür, den höheren Prozentsatz auch auf den Teil des Gesamtbetrags der Einkünfte anzuwenden, der der niedrigeren Stufe angehört.

Diese am Wortlaut der Norm ausgerichtete Auslegung entspricht auch dem Gesetzeszweck. Es begegnet keinen Bedenken, dass dem Steuerbürger mit steigendem Gesamtbetrag der Einkünfte zugemutet wird, einen höheren Prozentsatz der Einkünfte für zwangsläufige Aufwendungen einzusetzen. Das muss jedoch schrittweise geschehen. Die bisherige Auslegung führte zu nicht leistungsgerechten Grenzsteuersätzen. Denn bei nur geringfügiger Überschreitung der Grenzbeträge wurden die zusätzlichen Beträge voll versteuert und nach Steuern verblieb ein geringeres Einkommen als bei Einkünften knapp unterhalb des Grenzbetrags. Der BFH anerkannte daher im Streitfall - unter Abänderung des angefochtenen ESt-Bescheids - dementsprechend zusätzlich zu berücksichtigende außergewöhnliche Belastungen und hob das entgegenstehende FG-Urteil auf.

Hinweis: Keine Ungleichbehandlung von Beamten und Arbeitnehmern

Der Gesamtbetrag der Einkünfte (51.835 EUR) überstieg den Grenzbetrag der letzten Staffel bei einem oder zwei Kindern (51.130 EUR). Dementsprechend beträgt die zumutbare Belastung nach der bisherigen Auffassung 4 % von 51.835 = 2.073 EUR. Nach der neuen Methode ist wie folgt zu rechnen: 1. Staffel (15.340 x 2 %): 306,80 EUR + 2. Staffel (51.130 EUR ./. 15.340 EUR = 35.790 EUR x 3 %): 1.073,70 EUR + 3. Staffel (51.835 EUR ./. 51.130 EUR = 705 EUR x 4 %): 28,20. Das ergibt eine zumutbare Belastung von 1.408,70 EUR. Somit sind bei Krankheitskosten von 4.148 EUR zusätzlich 664 EUR als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.

Die von S gerügte Ungleichbehandlung von rentenversicherungspflichtigen Arbeitnehmern und Beamten weist der BFH mit der Begründung zurück, der Anknüpfungspunkt sei mit dem Gesamtbetrag der Einkünfte für alle Steuerpflichtigen gleich. Im Übrigen lägen die Unterschiede, die sich jenseits der einkommensteuerlichen Belastung erst aus dem Zusammenspiel mit den Normen des Besoldungs-, Versorgungs- und Sozialversicherungsrechts ergäben, außerhalb der verfassungsrechtlich maßgeblichen Vergleichsperspektive.

Schließlich verweist der BFH auf seine Rechtsprechung zur Verfassungsmäßigkeit der Minderung der außergewöhnlichen Belastung um die zumutbare Belastung in Krankheitsfällen (BFH, Urteil v. 2.9.2015, VI R 32/13, Haufe Index 8805781, BStBl 2016 II S. 151). Gegen dieses Urteil wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt (Az. BVerfG 2 BvR 180/16). Im Hinblick auf die verfassungsrechtliche Problematik wurden Veranlagungen insoweit nur vorläufig durchgeführt (BMF, Schreiben v. 11.4.2016, Haufe Index 9231325, BStBl 2016 I S. 450; v. 20.1.2017, Haufe Index 10245595, BStBl 2017 S. 66). Nachdem jedoch das BVerfG die Verfassungsbeschwerde nicht angenommen hat (BVerfG v. 23.11.2016, 2 BvR 180/16, nicht veröffentlicht) dürfte sich die Problematik für die Praxis erledigt haben. Weitere Rechtsbehelfe erscheinen derzeit aussichtslos
BFH, Urteil v. 19.1.2017, VI R 75/14, veröffentlicht am 29.3.2017

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