Mehraktige Erstausbildung trotz Vollzeittätigkeit

Vor Kurzem hat der BFH seine Rechtsprechungsgrundsätze zur kindergeldrechtlichen Erstausbildung für Fälle, in denen die einheitliche Erstausbildung mit daneben ausgeübter Erwerbstätigkeit von einer berufsbegleitend durchgeführten Weiterbildung (Zweitausbildung) abzugrenzen ist, fortentwickelt. Das FG Düsseldorf hat sich als erstes Finanzgericht mit der neuen BFH-Rechtsprechung beschäftigt.

Voraussetzungen nach § 32 Abs. 4 EStG

So lange sich ein Kind sich in einer erstmaligen Berufsausbildung oder in einem Erststudium befindet, kann es kindergeldrechtlich bis zum 25. Lebensjahr berücksichtigt werden. Nach Abschluss einer erstmaligen Berufsausbildung oder eines Erststudiums kann in Kind, welches für einen Beruf ausgebildet wird, nur noch weiter kindergeldrechtlich berücksichtigt werden, wenn es keiner schädlichen Erwerbstätigkeit (über 20 Stunden regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit) nachgeht.

Grundsätze aus der Rechtsprechung 

Liegen mehrere Ausbildungsabschnitte vor, können diese (kindergeldrechtlich) noch eine einheitliche Erstausbildung darstellen, wenn sie zeitlich und inhaltlich so aufeinander abgestimmt sind, dass die Ausbildung nach Erreichen des ersten Abschlusses fortgesetzt werden soll und das vom Kind angestrebte Berufsziel erst über den weiterführenden Abschluss erreicht werden kann. Die einzelnen Ausbildungsabschnitte müssen sich als integrativer Bestandteil eines einheitlichen Ausbildungsgangs darstellen. Insoweit kommt es vor allem darauf an, ob die Ausbildungsabschnitte in einem engen sachlichen Zusammenhang (z. B. dieselbe Berufssparte, derselbe fachliche Bereich) zueinander stehen und in engem zeitlichen Zusammenhang durchgeführt werden. An einer Ausbildungseinheit fehlt es dagegen, wenn die Aufnahme des zweiten Ausbildungsabschnitts eine berufspraktische Tätigkeit voraussetzt oder das Kind nach dem Ende des ersten Ausbildungsabschnitts eine Berufstätigkeit aufnimmt, die nicht nur der zeitlichen Überbrückung bis zum nächsten Beginn des weiteren Ausbildungsabschnitts dient. 

Aufbauend auf diesen Grundsätzen hat der BFH beispielsweise entschieden (Urteil vom 08.09.2016 - III R 27/15), dass das Tatbestandsmerkmal einer Berufsausbildung kein einschränkendes Erfordernis eines zeitlichen Mindestumfangs von Ausbildungsmaßnahmen enthält. Entscheidend sei vielmehr, dass es sich um Ausbildungsmaßnahmen handelt, die als Grundlage für den angestrebten Beruf geeignet sind. Werde dann die Ausbildung ernsthaft und nachhaltig, d.h. nicht lediglich im Rahmen einer "Pro-forma-Immatrikulation" betrieben, seien auch "Ausbildungsgänge (z. B. Abendschulen, Fernstudium), die neben einer (Vollzeit-)Erwerbstätigkeit durchgeführt werden", begünstigt. Daher hat der BFH z. B. auch dann eine Erstausbildung angenommen, wenn ein Kind nach ihrer Ausbildung zur Physiotherapeutin 30 Stunden pro Woche als angestellte Physiotherapeutin arbeitet und die Vorlesungen ihres Studiengangs "Bachelor of Science Physiotherapie" nur an durchschnittlich 5 Semesterwochenstunden, die blockweise an einigen Wochenenden während des Semesters durchgeführt wurden, besucht. 

Fortentwickelte Rechtsprechung

Seine Rechtsprechungsgrundsätze hat der BFH (Urteil vom 11.12.2018 - III R 26/18) aber nun für die o. a. Fälle fortentwickelt. Dabei hat er zu verstehen gegeben, dass sich soweit aus der bisherigen Rechtsprechung etwas anderes ergeben hat, hieran nicht mehr festgehalten wird. An einer einheitlichen Erstausbildung kann es danach fehlen, wenn das Kind nach Erlangung des ersten Abschlusses in einem öffentlich-rechtlich geordneten Ausbildungsgang eine Berufstätigkeit aufnimmt und die daneben in einem weiteren Ausbildungsabschnitt durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen gegenüber der Berufstätigkeit in den Hintergrund treten. Ob die nach Erlangung des Abschlusses aufgenommene Berufstätigkeit die Hauptsache und die weitere Ausbildungsmaßnahme eine nebensächliche Weiterbildung in dem bereits aufgenommenen Berufszweig darstellt, ist anhand einer Gesamtwürdigung der Verhältnisse zu entscheiden. Hierfür sind z. B. folgenden Kriterien von Bedeutung:

  • Handelt es sich um zeitlich unbefristetes oder auf mehr 26 Wochen befristetes Arbeitsverhältnis?
  • Liegt eine vollzeitige oder nahezu vollzeitige Beschäftigung vor?
  • Setzt das Arbeitsverhältnis den ersten Berufsabschluss voraus?
  • Passt sich die Berufstätigkeit dem jeweiligen Ausbildungsplan an oder findet die Ausbildung neben der Berufstätigkeit statt?

So sprechen wohl die oben dargestellten Gesamtumstände der Physiotherapeutin gegen eine einheitliche Erstausbildung.

FG Düsseldorf nimmt Erstausbildung trotz Vollzeittätigkeit an 

Anhand der Gesamtumstände hat das FG Düsseldorf (Urteil vom 22.03.2019 - 7 K 2386/18 Kg) aktuell zugunsten des Klägers entschieden. Der Kläger hat eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten bei der Stadt absolviert. Nach der Prüfung wurde er mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden übernommen. Die Stadt meldete ihn zum nächstmöglichen Termin für einen weiteren Verwaltungslehrgang zum Verwaltungsfachwirt an. Ausweislich einer Schulbescheinigung bietet der Lehrgang eine vertiefende Weiterbildung für Fachkräfte der Verwaltung, die als Verwaltungsfachangestellte ausgebildet worden sind, um die Teilnehmer für eine qualifizierte Sachbearbeitung und die Übernahme von Führungsaufgaben zu befähigen. Der Unterricht wird Freitags sowie jeden zweiten Samstag erteilt. Zusätzlich findet in den Herbst- und Osterferien ganztägiger Blockunterricht statt.

Nach Auffassung des FG handelt es sich gemessen an diesen Anforderungen bei den Ausbildungen zum Verwaltungsfachangestellten und anschließend zum Verwaltungsfachwirt - trotz Aufnahme einer Vollzeittätigkeit und auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Ausbildung zum Verwaltungsfachwirt nur an bestimmten Wochentagen und als Blockunterricht in der Ferien stattgefunden hat - um eine einheitliche Ausbildung. Hierfür waren nach Gesamtwürdigung der Umstände folgende Kriterien ausschlaggebend:

  • Nach Zeugenaussagen war angestrebtes Berufsziel die Befähigung zur Ausübung einer Tätigkeit im gehobenen Dienst der Kommunalverwaltung; hierfür ist eine Ausbildung zum Verwaltungsfachwirt erforderlich.
  • Die Stadt hat kein duales Studium zum Erwerb des Abschlusses "Verwaltungsfachwirt" angeboten, so dass den Interessenten an einem derartigen Beruf nur der Weg über die Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten mit nachgelagerter Ausbildung zum Verwaltungsfachwirt bleibt.
  • Die Ausbildung zum Verwaltungsfachwirt hat sowohl im überwiegenden Interesse des Auszubildenden wie auch der ausbildenden Kommune gestanden. Zwar hat das Ausbildungsverhältnis zeitlich nicht den Umfang der Berufsausübung erreicht oder überschritten, das Beschäftigungsverhältnis war aber dem Ausbildungsverhältnis untergeordnet. Hierfür spricht insbesondere auch der Umstand, dass die Stadt das Kind selbst zur Ausbildung zum Verwaltungsfachwirt angemeldet hat. Dies dokumentiert deren maßgebliches Interesse an einer Weiter- und Höherqualifikation des Kindes. 

Aktualisierung: BFH reicht die Gesamtwürdigung nicht aus

Dem BFH hat die Gesamtwürdigung nicht ausgereicht (Urteil vom 19.02.2020 - III R 28/19) und die Sache ans FG Düsseldorf zurückverwiesen. Das FG habe zwar festgestellt, dass der Kläger nach Abschluss seiner Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten von seinem Arbeitgeber in ein Vollzeitarbeitsverhältnis übernommen wurde. Zu den dargelegten Rechtsprechungsgrundsätzen maßgeblichen Tatsachen, ob es sich um ein unbefristetes Beschäftigungsverhältnis handelte oder auf welchen Zeitraum sich eine etwaige Befristung bezog, verhalten sich die Entscheidungsgründe dagegen nicht.

Ebenso gehe das FG nicht darauf ein, ob der Kläger im Rahmen des Vollzeitarbeitsverhältnisses die durch den Abschluss zum Verwaltungsfachangestellten erlangte Qualifikation nutzte, um eine durch diese eröffnete Berufstätigkeit auszuüben. Insgesamt würde nicht deutlich, ob das FG diese Umstände überhaupt in seine Gesamtabwägung einbezogen hat und gegebenenfalls welches Gewicht es ihnen beigemessen hat.

Auch gehe das FG nicht genauer auf das Verhältnis der für die Ausbildung und der für die Erwerbstätigkeit aufgewandten Zeitanteile ein. Weiter sei auch nicht ersichtlich, inwieweit die Arbeitstätigkeit im Hinblick auf den Zeitpunkt ihrer Durchführung den im Verwaltungslehrgang durchgeführten Ausbildungsmaßnahmen untergeordnet war oder die Durchführung des Verwaltungslehrgangs sich an den Erfordernissen eines regulären Arbeitsverhältnisses orientierte sowie ob und in welcher Form dieser Umstand in die Gesamtwürdigung eingeflossen ist.

Schließlich werde auch nicht nachvollziehbar begründet, weshalb die Tatsache der Anmeldung durch die Stadt zum Verwaltungslehrgang für eine einheitliche Erstausbildung sprechen soll.

Aus Sicht des BFH dürfte es auch bei langjährig in ihrem Beruf tätigen Arbeitnehmern nicht unüblich sein, dass sie durch ihren Arbeitgeber zu typischen Fortbildungen angemeldet werden. Dem FG wird nun noch einmal die Gelegenheit gegeben, die notwendige Tatsachengrundlage zu vervollständigen und eine erneute Gesamtwürdigung vorzunehmen.

Schlagworte zum Thema:  Kindergeld, Kind, Ausbildung