Form des Nachweises einer dauernden Berufsunfähigkeit

Ein Veräußerungsfreibetrag kann gewährt werden, wenn im Zeitpunkt der Veräußerung oder Aufgabe eine dauernde Berufsunfähigkeit vorliegt. Es stellt sich die Frage, ob zum Nachweis der dauernden Berufsunfähigkeit nur die Vorlage eines Bescheides des Rentenversicherungsträgers oder auch eine amtsärztliche Bescheinigung ausreicht.

Sofern Steuerpflichtige das 55. Lebensjahr vollendet haben oder im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauernd berufsunfähig ist, können sie für einen Veräußerungsgewinn aus einem Betrieb auf Antrag einen einmaligen Veräußerungsfreibetrag nach § 16 Abs. 4 EStG erhalten.

Vorliegen von Berufsunfähigkeit

Gemäß § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI ist ein Versicherter berufsunfähig, wenn dessen Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung im Vergleich zur Erwerbsfähigkeit von körperlich, geistig und seelisch gesunden Versicherten mit ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten auf weniger als 6 Stunden täglich gesunken ist.

Nachweis nach Auffassung Finanzverwaltung

Zur Form des Nachweises der dauernden Berufsunfähigkeit enthält das Gesetz keine Bestimmung. Die Finanzverwaltung (R 16 Abs. 14 i. V. m. R 34.5 EStH 2011) und das FG Rheinland-Pfalz (Urteil v. 16.9.2008, 2 K 2140/07) vertreten die Auffassung, dass der Nachweis nur über entsprechende Bescheide der Sozialversicherungsträger oder über amtsärztliche Bescheinigungen geführt werden kann. Begründet wird diese Auffassung damit, dass wegen des eindeutigen Verweises auf das Sozialversicherungsrecht in § 16 Abs. 4 und § 34 Abs. 3 EStG die Vorlage nichtamtlicher Unterlagen – wie z. B. eine fachärztliche Bescheinigung – als alleiniger Nachweis nicht ausreicht.

Fall beim FG Mecklenburg-Vorpommern

Im Rahmen eines Klageverfahrens vor dem FG Mecklenburg-Vorpommern veräußerte die Klägerin ihren Friseursalon. Es stellt sich im Zusammenhang mit der Veräußerung die Frage, ob eine dauernde berufsunfähig nachgewiesen wurde. Es lag ein Schreiben der Deutschen Rentenversicherung Nord (DRV) vor, wonach die Klägerin aufgrund dauerhafter Leistungseinschränkungen und fehlender gesundheitlicher Eignung für die maßgebliche Tätigkeit als mitarbeitende Friseurin Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben bewilligt wurden. Für eine leistungsgerechte berufliche Neuorientierung wurde eine Umschulung zur Sozialversicherungsfachangestellten, Fachrichtung Krankenversicherung bewilligt.

Zusätzlich ging aus einem Gutachten der DRV zur sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung hervor, dass sie Klägerin bis auf Weiteres in ihrem bisherigen Beruf als Friseurmeisterin lediglich in einem zeitlichen Umfang von täglich 3 bis unter 6 Stunden tätig sein konnte. Weiterhin wurde festgestellt, dass die Dauer der Leistungsminderung voraussichtlich nicht weniger als 3 Jahre andauere, jedoch eine Besserung infolge einer hüftendoprothetischen Versorgung nicht unwahrscheinlich sei. Eine entsprechende Operation wurde durchgeführt, wobei sich aber nicht ergab, inwieweit diese zu einer tatsächlichen Verbesserung geführt hat. Die Klägerin wurde jedoch auch weiterhin für den Verweisungsberuf vorbereitet.  

Dem FG reichten diese Nachweise aus

Dem FG Mecklenburg-Vorpommern reichten diese Nachweise aus (Urteil v. 29.4.2021, 2 K 426/15). Entgegen der Ansicht der Verwaltung sei es nicht schädlich, dass die Klägerin keinen Bescheid der DRV vorgelegt hat, in welchem ausdrücklich die dauernde Berufsunfähigkeit im Sinne von § 240 Abs. 2 Satz 1 SGB VI festgestellt wurde. Das FG ist der Auffassung, dass sich ein derartiges formalisiertes Nachweisverlangen aus dem Gesetz ergeben muss. Andernfalls widerspreche dies dem geregelten Grundsatz der freien Beweiswürdigung (vgl. BFH, Urteil v. 11.11.2010, VI R 17/09, aber zu § 33 EStG).

Nach der Würdigung des Sachverhalts kam das FG somit zu dem Ergebnis, dass die Klägerin im sozialversicherungsrechtlichen Sinne dauerhaft berufsunfähig war. Maßgeblicher Anknüpfungspunkt zur Beantwortung der Frage, ob eine dauernde Berufsunfähigkeit vorliegt, ist zunächst die Bestimmung des bisherigen Berufes (sog. Hauptberuf). Erforderlich für den Eintritt von Berufsunfähigkeit ist ein Herabsinken der Erwerbsfähigkeit wegen Krankheit oder Behinderung auf ein Leistungsvermögen von weniger als 6 Stunden im Hauptberuf. Aus dem für die DRV erstellten ärztlichen Gutachten zur sozialmedizinischen Leistungsbeurteilung ginge hierzu eindeutig hervor, dass die letzte berufliche Tätigkeit lediglich in einem täglichen Zeitraum von 3 bis unter 6 Stunden ausgeübt werden kann.

Es komme auch nicht darauf an, ob die Leistungsminderung eventuell durch ein Operation behoben werden könne, denn maßgeblich sei einzig, ob der Steuerpflichtige im Zeitpunkt der Veräußerung die (isolierten) Voraussetzungen des § 240 Abs. 1 Satz 1 SGB VI erfüllt hat. Die Voraussetzungen sah das FG als erfüllt an, sodass es unschädlich sei, dass seitens des Sozialversicherungsträgers keine explizite Feststellung einer Berufsunfähigkeit getroffen wurde.

Revisionsverfahren beim BFH anhängig

Die Revision wurde zugelassen, weil bislang höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde, ob auch für § 16 Abs. 4 EStG von einem formalisierten Nachweisverfahren abgesehen werden kann. Die Entscheidung des BFH (Az: X R 10/21) bleibt abzuwarten.