Erste Tätigkeitsstätte eines versetzten Beamten

In welchen Fällen eine erste Tätigkeitsstätte i.S.v. § 9 Abs. 4 Satz 1 bis 3 EStG vorliegt, ist im Einzelfall oft schwer zu beantworten. Diese Frage stellt sich auch bei der Versetzung eines Beamten.

Das Niedersächsische FG hat zum Ort der ersten Tätigkeitsstätte eines versetzten, und nach der Versetzung "bis auf Weiteres" an eine andere Behörde abgeordneten Beamten entschieden.

Der Fall beim Niedersächsischen FG

Der Kläger ist Finanzbeamter und wurde nach bestandener Laufbahnprüfung an das Finanzamt für Großbetriebsprüfung A versetzt und gleichzeitig bis auf Weiteres an das Finanzamt B abgeordnet. Besuche im Finanzamt für Großbetriebsprüfung fanden nur an einzelnen Tagen, z. B. zur Hospitation statt. Im Jahr 2016 war der Kläger im Rahmen dieser Hospitationen an 4 Tagen im Finanzamt für Großbetriebsprüfung und im Jahr 2017 für 3 Tage.

Für die Streitjahre 2016 und 2017 beantragt der Kläger die Fahrtkosten von seiner Wohnung zum Finanzamt B nach Reisekostengrundsätzen zu berücksichtigen, da sich aufgrund der Versetzung seine erste Tätigkeitsstätte beim Finanzamt für Großbetriebsprüfung A befinde.

Argumentation des Klägers

Aufgrund der Abordnung an das Finanzamt B sei dort keine erste Tätigkeitsstätte begründet worden. Weder liege eine dauerhafte Zuordnung i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 1 und 2 EStG zum Finanzamt B durch Versetzung vor noch sei von einer solchen Zuordnung gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG auszugehen. Er habe weder unbefristet für die Dauer des Dienstverhältnisses oder für einen Zeitraum von über 48 Monaten hinaus beim Finanzamt B tätig werden sollen.

Auffassung des Finanzamts: Zuordnung ohne Befristung

Das Finanzamt vertrat jedoch die Auffassung, dass durch die Abordnung an das Finanzamt B eine dienstrechtliche Festlegung im Sinne des § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG und eine dauerhafte Zuordnung zu einer ortsfesten betrieblichen Einrichtung vorliege. Die Abordnung "bis auf Weiteres" sei als Zuordnung ohne Befristung zu verstehen und daher als dauerhaft anzusehen. Da die gesetzlichen Voraussetzungen des § 9 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 EStG vollumfänglich erfüllt seien, stelle das Finanzamt B die erste Tätigkeitsstätte dar.

Entscheidung des Niedersächsischen FG

Das Niedersächsische FG (Urteil v. 14.6.2022, 13 K 82/21) hat entschieden, dass die erste Tätigkeitsstätte des Klägers in der Zeit ab dem 1.9.2016 das Finanzamt B war. Die Aufwendungen für die Fahrten zum Finanzamt B seien dementsprechend durch die Kilometerpauschale nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG abgedeckt.

Das FG hat die Auffassung vertreten, dass der Kläger nach einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts für den Zeitraum ab 1.9.2016 nicht eindeutig einer Tätigkeitsstätte zugeordnet werden könne. Eine Zuordnung des Finanzamts für Großbetriebsprüfung A als erste Tätigkeitsstätte scheitere nach einer umfassenden Würdigung des Sachverhalts daran, dass der Kläger dort nicht entsprechend tätig geworden sei. 

Die durch den Kläger erbrachten Tätigkeiten im Finanzamt für Großbetriebsprüfung reichen nicht aus, um hier wenigstens von einem geringen Umfang der Tätigkeiten auszugehen. Überhaupt beschränkte sich die Tätigkeit bei dem Finanzamt für Großbetriebsprüfung A im Streitzeitraum nach den eigenen Angaben des Klägers auf wenige Tage im Jahr, in denen im Wesentlichen Hospitationen oder Schulungen durchgeführt wurden. Ausweislich der durch den Kläger vorgelegten Unterlagen war dieser im Jahr 2016 nur an insgesamt vier Tagen und im Jahr 2017 an drei Tagen im Finanzamt für Großbetriebsprüfung.

Keine eindeutige dienstrechtliche Festlegung

Im vorliegen Fall habe die Bestimmung der ersten Tätigkeitsstätte mangels eindeutiger dienstrechtlicher Festlegung nach § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG zu erfolgen. Danach war erste Tätigkeitsstätte des Klägers das Finanzamt B. Wie man der damaligen Abordnungsverfügung vom 22.8.2016 und auch den durch den Kläger in der mündlichen Verhandlung überreichten Unterlagen zum OFD-Pilotprojekt entnehmen könne, sei das Projekt klar darauf angelegt gewesen, dass eine Tätigkeit als Finanzbeamter in den 4 Jahren der Ausbildung im Ergebnis ausschließlich im "Heimatfinanzamt" stattfinden sollte.

Beim Finanzamt für Großbetriebsprüfung A waren lediglich Besuche und Hospitationen vorgesehen, die den Charakter eines bloßen Kennenlernens kaum überschritten haben. Auch der Nachwuchsprüferlehrgang habe seinen Schwerpunkt in der Wissensvermittlung und nicht in einer eigentlichen Arbeitstätigkeit als Finanzbeamter gehabt.  

Revisionsverfahren beim BFH anhängig

Das FG hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zugelassen, da sich der BFH mit der Frage der ersten Tätigkeitsstätte im Rahmen einer beamtenrechtlichen Versetzung und anschließenden Abordnung noch nicht befasst habe (Az beim BFH VI R 15/22). In vergleichbaren Fällen sollten Betroffene unter Hinweis auf das o.a. Revisionsverfahren gegen die ablehnenden Bescheide der Finanzämter Einspruch einlegen. Die Einsprüche ruhen dann nach § 363 Abs. 2 AO kraft Gesetzes bis zur Entscheidung durch den BFH.