Erste Tätigkeitsstätte bei Zeit- und Leiharbeitern

Die Beantwortung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen Zeitarbeiter bzw. Leiharbeiter eine erste Tätigkeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 4 EStG haben können, führt in der Praxis häufig zu Schwierigkeiten.

Leiharbeitnehmer haben regelmäßig wegen fehlender Dauerhaftigkeit keine erste Tätigkeitsstätte. Nach Verwaltungsauffassung gelten jedoch Ausnahmen, wenn der Einsatz des Leiharbeitnehmers von Beginn an länger als 48 Monate dauern soll, mit einer Übernahmezusage verbunden ist oder bis auf Weiteres (d. h. ohne Befristung) erfolgt.

BFH zur einer geänderten Tätigkeitsstätte bei einem befristeten Arbeitsverhältnis

Der BFH hat mit Urteil vom 10.4.2019 (VI R 6/17) wie folgt entschieden: War der Arbeitnehmer im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses bereits einer ersten Tätigkeitsstätte zugeordnet und wird er im weiteren Verlauf einer anderen Tätigkeitsstätte zugeordnet, stellt diese keine erste Tätigkeitsstätte mehr dar, so dass ab diesem Zeitpunkt wieder die Dienstreisegrundsätze Anwendung finden.

Im Streitfall war der Kläger seit 2012 bei einer GmbH (Verleiher) als Helfer beschäftigt. Nach dem Arbeitsvertrag konnte er bundesweit eingesetzt werden. Er war damit einverstanden, anderen Firmen zur Arbeitsleistung überlassen zu werden. Der Verleiher behielt sich vor, aus betrieblichen Gründen Umsetzungen und Versetzungen vorzunehmen. Das Leiharbeitsverhältnis war zunächst bis 30.11.2012 befristet und wurde mehrfach um mehrere Monate verlängert. Bis Oktober 2012 war der Kläger bei einer AG (Entleiher) im Werk Y eingesetzt. Auf schriftliche Weisung des Verleihers war er anschließend für die AG im Werk X tätig. Da der Kläger Im Streitjahr 2014  ausschließlich bei der AG im Werk X eingesetzt war beantragte er die Berücksichtigung seiner Fahrtkosten zur AG (Entleiher) als Reisekosten im Rahmen einer Auswärtstätigkeit mit 0,30 EUR je gefahrenem km.

Das Finanzamt setzte jedoch lediglich die Entfernungspauschale (0,30 EUR je Entfernungskilomete) an, da keine Auswärtstätigkeit vorliege, weil der Kläger dem Entleihbetrieb dauerhaft zugeordnet gewesen sei. Das FG gab der Klage mit der Begründung statt, in der Anweisung des Verleihers, "bis auf Weiteres" für die AG im Werk X tätig zu sein, liege keine dauerhafte Zuordnung zu diesem Entleihbetrieb.

Voraussetzungen einer dauerhaften Zuordnung laut BFH

Nach den Regelbeispielen in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG ist von einer dauerhaften Zuordnung auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet (Alt. 1), für die Dauer des Dienstverhältnisses (Alt. 2) oder über 48 Monate hinaus (Alt. 3) an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll. Fehlt eine eindeutige Festlegung auf eine Tätigkeitsstätte, ist nach § 9 Abs. 4 Satz 4 EStG eine erste Tätigkeitsstätte die Einrichtung, an der der Arbeitnehmer dauerhaft typischerweise arbeitstäglich tätig werden soll oder je Arbeitswoche zwei volle Arbeitstage oder mindestens ein Drittel seiner vereinbarten regelmäßigen Arbeitszeit tätig werden soll. Im Streitfall liegt weder eine unbefristete Zuordnung (Alt. 1) vor, noch kommt die Zuordnung für die Dauer des Dienstverhältnisses (Alt. 2) in Betracht.

  • Eine Zuordnung ist unbefristet, wenn die Dauer nicht kalendermäßig oder auf andere Art bestimmt ist. Ist jedoch das Arbeitsverhältnis seinerseits befristet (hier das Arbeitsverhältnis zu dem Entleiher), kommt eine unbefristete Zuordnung zu einer ersten Tätigkeitsstätte im Rahmen dieses Arbeitsverhältnisses nicht in Betracht. Eine von § 9 Abs. 4 Satz 3 Alt. 1 EStG vorausgesetzte unbefristete Tätigkeit ist dann ausgeschlossen.
  • Eine Zuordnung nach § 9 Abs. 4 Satz 3 Alt. 2 EStG für die Dauer des Arbeitsverhältnisses liegt vor, wenn sie für die gesamte Dauer des Arbeitsverhältnisses Bestand haben soll. War der Arbeitnehmer allerdings im Rahmen eines befristeten Arbeitsverhältnisses bereits einer ersten Tätigkeitsstätte zugeordnet und wird er später einer anderen Tätigkeitsstätte zugeordnet, erfolgt diese zweite Zuordnung nicht mehr "für die Dauer des Arbeitsverhältnisses". Denn für die zweite Zuordnung steht fest, dass sie nicht, wie nach § 9 Abs. 4 Satz 3 Alt. 2 EStG vorausgesetzt, für die (gesamte) Dauer des Dienstverhältnisses gilt, sondern lediglich für die Dauer des verbleibenden Arbeits- oder Dienstverhältnisses. A wurde allerdings während seines einheitlichen Beschäftigungsverhältnisses nacheinander zwei verschiedenen Tätigkeitsstätten zugeordnet.

Hiervon ausgehend verfügte der Kläger nicht über eine erste Tätigkeitsstätte. Die Revision des Finanzamts wurde daher zurückgewiesen.

Erste Tätigkeitsstätte bei Leiharbeitern aber nicht ausgeschlossen

Bei einem befristeten Leiharbeitsverhältnis scheidet somit häufig eine erste Tätigkeitsstätte mangels entsprechender Zuordnung aus. Sie ist aber nicht grundsätzlich ausgeschlossen. Insbesondere steht der auf dem Direktionsrecht des Arbeitgebers beruhende Vorbehalt der jederzeitigen Umsetzung oder Versetzung im Arbeitsvertrag einer dauerhaften Zuordnung an sich nicht entgegen. Eine (dauerhafte) Zuordnung für die Dauer des Dienstverhältnisses i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 Alt. 2 EStG liegt aber nur vor, wenn für jede neue Zuordnung ein neues Arbeitsverhältnis abgeschlossen wird. Das ist allerdings bei einer bloßen Verlängerung des bisherigen befristeten Arbeitsverhältnisses nicht der Fall.

Niedersächsisches FG zu Zeitarbeiter in unbefristetem Arbeitsverhältnis

Das Niedersächsische FG hat mit Urteil vom 28.5.2020 (1 K 382/16) entschieden, dass Arbeitnehmer, die in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zu einem Zeitarbeitsunternehmen stehen, auch dann nur die Entfernungspauschale für ihre Fahrten zwischen Wohnung und Tätigkeitsstätte geltend machen können, wenn das Zeitarbeitsunternehmen mit dem jeweiligen Entleiher des Arbeitnehmers eine Befristung der Tätigkeit vereinbart hat.

Im Streitfall befand sich der Kläger in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zu dem Zeitarbeitsunternehmen A. Nach dem Arbeitsvertrag sollte der Kläger als überbetrieblicher Mitarbeiter bei Kunden von A eingesetzt werden, ohne dass dadurch ein Vertragsverhältnis zu dem jeweiligen Kunden begründet werden sollte. Eingesetzt war der Kläger dann vereinbarungsgemäß im Rahmen seines Arbeitsverhältnisses zu A ausschließlich und durchgängig als CNC-Fräser bei B. Das Leiharbeitsverhältnis des Klägers war nach den zwischen B (Entleiher) und A (Verleiher) geschlossenen Vereinbarungen befristet. Der weitere Einsatz des Klägers bei

B war also davon abhängig, dass B nach Ablauf der jeweiligen Frist mit A ein weiteres (befristetes) Leiharbeitsverhältnis begründete. Dies ist bis über das Streitjahr hinaus stets geschehen.

Im Streitjahr selbst war der Kläger zunächst für die Zeit vom 11. bis zum 30.9. und danach vom 1.10. bis zum 31.12. im Rahmen eines befristeten Leiharbeitsverhältnisses zwischen A und B tätig. Der Kläger machte für seine Fahrten von der Wohnung zu seinem Einsatzort bei B Werbungskosten nach Dienstreisegrundsätzen geltend. Das Finanzamt setzt jedoch für die Fahrten zwischen Wohnung und Einsatzort nur die Entfernungspauschale an, da der Kläger der Entleihfirma B dauerhaft zugeordnet gewesen sei.

FG: Kein Fall von Kettenabordnung

Das FG hat die Klage als unbegründet zurückgewiesen, da der Kläger im Streitjahr an seinem Einsatzort bei B seine erste Tätigkeitsstätte hatte, weil er diesem Einsatzort dauerhaft zugeordnet war. Entgegen der Auffassung des Klägers handelte es sich nach Auffassung des FG bei dem Einsatz des Klägers bei B nicht um einen Fall der Kettenabordnung.

Denn aus dem hier maßgeblichen Arbeitsverhältnis zwischen dem Kläger und A war der Kläger für einen Einsatz bei B eingestellt und ausschließlich dort eingesetzt worden. Dieser Einsatz war nach Würdigung der Gesamtumstände des Einzelfalls sowohl für den Kläger als Arbeitnehmer als auch für A als Arbeitgeber von vornherein so gestaltet, dass der Kläger bis auf Weiteres, also nicht befristet bei B eingesetzt werden sollte. Dies ergibt sich eindeutig aus den zwischen dem Kläger mit A getroffenen Vereinbarungen zu Beginn des Arbeitsverhältnisses. Denn es gab keinerlei besondere Regelungen zu etwaigen anderen Kunden von A oder anderen Einsatzorten des Klägers. Der Kläger konnte sich also, wie andere Arbeitnehmer, die nicht in Zeitarbeitsunternehmen beschäftigt sind, auf seine Beschäftigungssituation einstellen.

FG: Auf Befristung kommt es nicht an

Das zwischen A und B bestehende Leiharbeitsverhältnis war zwar befristet. Darauf kommt es aber nach Auffassung des FG - zumindest im Streitfall - nicht an. So hatte der BFH (Urteil v. 10.4.2019, VI R 6/17) ausgeführt, dass das Vorliegen eines befristeten Leiharbeitsverhältnisses die Annahme einer dauerhaften Zuordnung nicht ausschließe. Insbesondere stehe der dem Direktionsrecht des Arbeitsgebers geschuldete allgemeine Vorbehalt der jederzeitigen Umsetzung oder Versetzung im Arbeitsvertrag einer dauerhaften Zuordnung an sich nicht entgegen. Nach dem diesem BFH-Urteil zugrundeliegenden Sachverhalt kam es darauf allerdings deshalb nicht an, weil dort, anders als im hiesigen Streitfall, das zu beurteilende Arbeitsverhältnis bereits befristet war. Die Ausführungen des BFH waren dort also nicht für die Entscheidung tragend. Dennoch wendet der erkennende Senat diese Grundsätze auf den hiesigen Streitfall an.

Im Ergebnis hing der Einsatz des Klägers bei B zwar davon ab, dass B das Leiharbeitsverhältnis nach Ablauf der jeweils mit A vereinbarten Frist fortsetzte. Damit ging es dem Kläger aber nicht anders als einer Vielzahl von Arbeitnehmern, deren Einsatz z.B. von der Auftragslage des Arbeitgebers abhängt. Wie dargestellt ist es für die Annahme einer dauerhaften Zuordnung des Klägers zur ersten Tätigkeitsstätte bei B auch unerheblich, dass nach dem Arbeitsvertrag des Klägers mit A ein Einsatz bei anderen Kunden von A (theoretisch) möglich war. Auch hier unterscheidet sich das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht wesentlich von denjenigen Arbeitsverhältnissen, bei denen Arbeitgeber nicht ein Zeitarbeitsunternehmen ist.

Revisionsverfahren beim BFH anhängig

Die vom FG wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassene Revision wurde eingelegt und wird beim BFH unter dem Az. VI R 32/20 geführt. In diesem Verfahren muss der BFH die Frage klären, ob Arbeitnehmer, die in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis zu einem Zeitarbeitsunternehmen stehen auch dann nur die Entfernungspauschale für ihre Fahrten zwischen Wohnung und Tätigkeitsstätte geltend machen können, wenn das Zeitarbeitsunternehmen mit dem jeweiligen Entleiher des Arbeitnehmers eine Befristung der Tätigkeit vereinbart hat.

Betroffene sollten in vergleichbaren Fällen unter Hinweis auf das o.a. Revisionsverfahren den entsprechenden Bescheid durch einen Einspruch offenhalten und auf das Ruhen des Verfahrens kraft Gesetzes nach § 363 Abs. 2 AO verweisen.