Erstattungsüberhang und negativer Gesamtbetrag der Einkünfte

Ein Kirchensteuer-Erstattungsüberhang (Sonderausgaben nach § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG) ist dem Gesamtbetrag der Einkünfte hinzuzurechnen.

Die Erstattung von Kirchensteuer führt nach der gesetzlichen Regelung (§ 10 Abs. 4 b Satz 3 EStG) zu einem Erstattungsüberhang, wenn keine Verrechnungsmöglichkeit mit in demselben Veranlagungszeitraum gezahlter Kirchensteuer zur Verfügung steht. Inwieweit sich die als Erstattungsüberhang anzusetzende Kirchensteuererstattung in den Veranlagungszeiträumen der jeweiligen Zahlung steuermindernd ausgewirkt hat, ist unerheblich. Der Hinzurechnungsbetrag nach § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG erhöht nicht den Gesamtbetrag der Einkünfte (G.d.E.) i.S.v. § 2 Abs. 3 EStG (BFH, Urteil v. 12.03.2019, IX R 34/17).

Dem Zweck der Vorschrift entspricht es, dass Kirchensteuererstattungen, die im Erstattungsjahr nicht mit gleichartigen Zahlungen ausgeglichen werden können, quasi wie negative Sonderausgaben zu behandeln sind. Der Hinzurechnungsbetrag ist im Berechnungsschema an der Stelle zu berücksichtigen, an der die vorrangige Verrechnung eingreift und an der die Sonderausgaben zu berücksichtigen wären.

Verlustabzug "Beispiel Verlustrücktrag"

Nach § 10 d Abs. 1 Satz 1 EStG sind negative Einkünfte, die bei der Ermittlung des G.d.E. nicht ausgeglichen werden, bis zu einem Betrag von 1.000.000 EUR vom G.d.E. des unmittelbar vorangegangenen Veranlagungszeitraums vorrangig vor Sonderausgaben, außergewöhnlichen Belastungen und sonstigen Abzugsbeträgen abzuziehen (Verlustrücktrag, auf Antrag kann ganz oder teilweise von einem Rücktrag abgesehen werden). Die Tatbestandsmerkmale in § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG "bei der Ermittlung des G.d.E. nicht ausgeglichene negative Einkünfte" beziehen sich auf das Verlustentstehungsjahr, während sich die Merkmale "bis zu einem Betrag von", "Abzug vom G.d.E.", "vorrangig vor…" auf das Abzugsjahr beziehen.

Verwaltung neutralisiert Verlust vor Hinzurechnung

Beispiel: G.d.E. -50.000 EUR, Erstattungsüberhang aus Kirchensteuer 20.000 EUR (Vorsorgeaufwendungen werden zur besseren Darstellung nicht berücksichtigt). Die Darstellung im Steuerbescheid bei einem Einzelsteuerpflichtigen sieht wie folgt aus:

Summe der-/Gesamtbetrag der Einkünfte-50.000 EUR
Berücksichtigung als Verlustrücktrag/-vortrag50.000 EUR
ab unbeschränkt abzugsfähige Sonderausgaben, mindestens jedoch Sonderausgaben-Pauschbetrag-36 EUR
Erstattungsüberhang aus Kirchensteuern20.000 EUR
Einkommen/zu versteuerndes Einkommen

19.964 EUR

Im Rahmen einer neuen Entscheidung des FG München hat das Finanzamt die Auffassung vertreten, dass der negative G.d.E. als Verlust in das - im Urteilsfall - Vorjahr zurückzutragen ist. Durch die "Neutralisierung" dieses Verlustrücktrags habe der Verlustabzugsbetrag keine Auswirkung mehr auf das zu versteuernde Einkommen im Verlustentstehungsjahr. § 10d EStG sei vorrangig gegenüber der Verrechnung eines negativen G.d.E. mit einem Kirchensteuerer-Etattungsüberhang.

"Verrechnung und Verlustrücktrag?"

Der Kläger dagegen war der Auffassung, dass der negative G. d. E. mit dem Erstattungsüberhang aus Kirchensteuer zu verrechnen ist. Grundsätzlich erfolge die Ermittlung des zu versteuernden Einkommens gemäß § 2 EStG. Aus der Berechnungsformel der Finanzverwaltung ergebe sich, dass der G.d.E. u. a. mit Erstattungsüberhängen zu verrechnen sei. Diese Verrechnungsmöglichkeit habe auch der BFH in seinem Urteil vom 12.03.2009 (s. o.) bestätigt. Die Regelungen zum Verlustabzug in § 10d EStG stünden einer derartigen Verrechnung nicht entgegen, da hiervon nur das Verlustabzugsjahr und nicht das Verlustentstehungsjahr betroffen sei.

Der Kläger geht demnach davon aus, dass der Erstattungsüberhang auch mit einem negativen G. d. E. zu verrechnen ist (und sich dann hier folglich kein positives zu versteuerndes Einkommen ergibt) und zwar auch dann, wenn - wie hier die 50.000 EUR - in voller Höhe (z.B.) ins Vorjahr zurückgetragen werden.

FG München teilt die Auffassung des Klägers

Das FG München teilt diese Auffassung (Urteil v. 22.9.2020, 12 K 1937/19). Die Vorgehensweise des Finanzamts zur Neutralisierung des negativen G.d.E. verstoße gegen § 10 Abs. 4b Satz 3 EStG. Der Hinzurechnungsbetrag erhöht zwar nach der Rechtsprechung nicht den G.d.E., sondern ist im Berechnungsschema erst an späterer Stelle, quasi wie negative Sonderausgaben zu berücksichtigen. Das Gesetz knüpft jedoch nach dem ausdrücklichen Wortlaut an den "Gesamtbetrag der Einkünfte" an. Dieser G.d.E. kann auch negativ sein. Der (anschließende) Rechenschritt des Finanzamts "Berücksichtigung als Verlustrücktrag/-vortrag" stehe demnach bereits im Widerspruch zum Gesetzeswortlaut. Auch aus den Regelungen zum Verlustrücktrag ergäbe sich nicht, dass ein negativer G.d.E. im Verlustentstehungsjahr zu neutralisieren ist. Da § 10d Abs. 1 Satz 1 EStG nur eine Berücksichtigung der entstandenen Verluste im Vorjahr bewirkt, jedoch keine Aussage dazu trifft, welche Auswirkungen ein Verlustrücktrag auf das Verlustentstehungsjahr hat, verbleibt es im Verlustentstehungsjahr beim negativen G.d.E.

BFH: Aussage zur Verrechnung mit negativem G.d.E.  

Ein besonderes Augenmerk ist in diesem Zusammenhang auf eine Aussage des BFH zu legen. In seinem hier angesprochenen Urteil hat er ausgeführt, dass auch der Fall eintreten kann, dass der Hinzurechnungsbetrag (Erstattungsüberhang) im Erstattungsjahr eine Erhöhung der Einkommensteuer nicht auslöst, wenn ein hoher negativer G. d. E. vorliegt. Dieser Fall wäre aber nicht denkbar, wenn ein Verlustrücktrag bzw. ein Verlustvortrag im Verlustentstehungsjahr zu neutralisieren wäre, so das FG.

Nichtzulassungsbeschwerde eingelegt

Dem FG ist m. E. bezüglich der Verrechnung zuzustimmen. Ob dann aber weiterhin der komplette negative Gesamtbetrag der Einkünfte für einen Verlustvor-/rücktrag zur Verfügung steht, wird vermutlich nun der BFH entscheiden. Die Revision wurde zwar nicht zugelassen, das beklagte Finanzamt hat aber verständlicherweise Nichtzulassungsbeschwerde (IX B 60/20) eingelegt. In vergleichbaren sollte ein Ruhen des Einspruchsverfahrens aus Zweckmäßigkeitsgründen nach § 363 Abs. 2 AO angeregt werden.