Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Klage gegen eine Entscheidung der Schiedsstelle nach § 80 SGB 12. Zulässigkeit der Anrufung der Schiedsstelle. Fehlen vorausgehender Verhandlungen. Bestimmung des Streitgegenstandes durch die Vertragsparteien. Ablehnung aller Anträge der Vertragsparteien auf Festsetzung einer höheren Vergütung

 

Orientierungssatz

1. Die Schiedsstelle ist nach § 77 Abs 1 S 3 SGB 12 verpflichtet, über die Gegenstände, über die keine Einigung erreicht worden ist, unverzüglich zu entscheiden, wenn sie ordnungsgemäß angerufen worden ist.

2. Die Ablehnung eines Antrags wegen fehlender vorausgehender Verhandlungen ist rechtswidrig. Für die Zulässigkeit der Anrufung der Schiedsstelle genügt es, dass zwischen den Beteiligten eine angestrebte Vereinbarung über die Höhe der Vergütung für einen bestimmten Zeitraum nicht zustande gekommen ist.

3. Die Schiedsstelle muss sich bei ihrer Entscheidung an den durch die Parteien vorgegebenen Streitgegenstand halten (vgl BSG vom 23.7.2014 - B 8 SO 2/13 R = BSGE 116, 227 = SozR 4-3500 § 77 Nr 1).

4. Lehnt die Schiedsstelle alle von den Vertragsparteien gestellten und auf Festsetzung einer höheren Vergütung gerichteten Sachanträge unterschiedslos ab, ist dies keine Entscheidung über streitige Gegenstände.

5. Eine Nichtentscheidung über zwischen den Parteien streitige Gegenstände widerspricht zudem der Aufgabe der Schiedsstelle als Vertragshilfeorgan.

 

Normenkette

SGB XII § 77 Abs. 1 Sätze 3-4, 6, § 75 Abs. 3, § 80; SGB X §§ 9, 37 Abs. 2; SGG § 29 Abs. 2 Nr. 1, § 51 Abs. 1 Nr. 6a, § 54 Abs. 1, §§ 87, 99 Abs. 3, § 197a Abs. 1 S. 1; ThürAGSGB XII § 2; ThürAGSGB XII § 4 Abs. 4 Nr. 1; ThürSchiedsVO-SGB XII § 6 Abs. 1; ThürSchiedsVO-SGB XII § 10; ThürAGSGB XII-DVO; VwGO § 154 Abs. 1, § 155 Abs. 2; GKG § 2 Abs. 1, § 52 Abs. 3, § 63 Abs. 2 S. 1

 

Tenor

Die Beschlüsse der Schiedsstelle vom 27. Oktober 2015 werden aufgehoben.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Klägerin und die Gerichtskosten zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird endgültig auf 5.000 Euro festgesetzt.

 

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Rechtmäßigkeit eines Schiedsspruchs nach § 80 SGB XII über einen Antrag auf Festsetzung der Vergütung einer von der Klägerin betriebenen Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) im zweiten Halbjahr 2014 streitig. Daneben wird auch die Gebührenfestsetzung für dieses Verfahren angefochten.

Die Klägerin betreibt Einrichtungen zur Eingliederungshilfe i.S.d. § 13 SGB XII im Freistaat Thüringen. Betroffen ist hier die Werkstatt für behinderte Menschen (WfbM) in St. (WfbM). Mit Zustimmung der Planungskommission vom 1. Oktober 2012 wird neben der im Eigentum der Klägerin befindlichen Hauptwerkstatt mit 84 Plätzen, deren Neubau mit Mitteln des BMA (heute BMAS) und des TMSFG gefördert wurde, ein angemieteter Außenbereich in T. mit 16 Plätzen betrieben. Davon werden 76 Plätze zum Arbeitsbereich (AB) und 24 Plätze zum Berufsbildungsbereich (BBB) gezählt. Laut Prüfvermerk vom 20. August 2014 waren tatsächlich 116 Plätze belegt, 96 im AB, 20 im BBB.

Für die WfbM richtete sich die Vergütung nach der Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarung vom 20. Juni 2008. Die Leistungsvereinbarung setzt eine Kapazität von 84 Plätzen (60 im AB und 24 im BBB) fest und enthält Festlegungen für die personelle Ausstattung u.a. wie folgt: Nr. 1 Werkstattleitung, Leiter je WfbM 1, Leiter Zweigwerkstatt (mindestens 60 Plätze) 1; Nr. 3 Arbeitsvorbereiter je WfbM 1, je Zweigwerkstatt ab 60 Plätzen 1; Nr. 7 Hausmeister ab 120 Plätze (bei Werkstätten unterhalb einer Kapazität von 120 Plätzen - 1:120, bei Kapazitäten über 120 Plätzen - Entscheidung im Einzelfall) 1; Nr. 7 ZDL/Bufdi auf 24 Plätze 1. In der immer wieder angepassten Vergütungsvereinbarung war ab 12. August 2013 unverändert ein Entgelt von insgesamt 44,90 Euro/BT festgesetzt.

Mit Schreiben vom 12. Mai 2014 forderte die Klägerin selbst und mit Schreiben vom 3. Juli ihr bevollmächtigter Rechtsanwalt den Beklagten zu Neuverhandlungen der Vergütung für 2014 auf; insbesondere unter Berücksichtigung der Tariferhöhung und der Sachkostensteigerung sei ein Satz von 55,26 Euro/BT zu vereinbaren. Mit Schreiben vom 4. September 2014 bot der Beklagte für den Zeitraum 1. September 2014 bis 30. Juni 2015 eine Vergütung von 46,98 Euro/BT an.

Daraufhin beantragte die Klägerin unter dem 14. Oktober 2014 die Festsetzung der Vergütung durch die Schiedsstelle auf Grundlage der Leistungsvereinbarung von 2008 in Höhe von 55,26 Euro/BT ab 1. Juli 2015, hilfsweise ab Eingang bei der Schiedsstelle, bis 31. Dezember 2014. Die Verhandlungen seien gescheitert.

Dem trat der Beklagte entgegen. Der Zeitraum werde bis 31. Dezember 2015 begrenzt. Der richtige Beginn sei problematisch, da bei ihr der Antrag auf Neuverhandlungen erst am 8. Juli 2014 und die dazugehörigen Unterlagen erst am 30. Juli 2014 eingegangen seien.

Der Schiedsstellenvorsitzende wies in der Folge mit mehreren Schreiben darauf hin, dass keine Begründung des Antrages der...

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