Entscheidungsstichwort (Thema)

Neustrukturierung der Versorgungsverwaltung im Freistaat Thüringen. Geeignetheit zur Vertretung in Angelegenheiten nach § 71 Abs 5 SGG

 

Orientierungssatz

1. Den Bundesländern ist es nach der Föderalismusreform unbenommen, die für die Durchführung der Kriegsopferversorgung und vergleichbare Aufgaben zuständigen Behörden selbst - und abweichend von den bundesgesetzlichen Bestimmungen des Gesetzes über die Errichtung der Verwaltungsbehörden der Kriegsopferversorgung (juris: KOVVwG) - zu regeln. Die Neustrukturierung der Versorgungsverwaltung im Freistaat Thüringen ist daher rechtens.

2. Die Regelung des § 71 Abs 5 SGG setzt nicht (mehr) voraus, dass die "Stelle", der die Aufgaben des Landesversorgungsamts übertragen worden sind, den Anforderungen des KOVVwG entspricht. Im Freistaat Thüringen kann die Versorgungsverwaltung im einem Rechtsstreit daher auch durch den Präsidenten des Landesverwaltungsamts vertreten werden.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung einer Schultergelenkserkrankung des Klägers als Folge zu Unrecht erlittener Haft.

Der Kläger beantragte im April 2000 die Gewährung einer Beschädigtenversorgung nach dem Ersten SED-Unrechtsbereinigungsgesetz. Während einer Haftzeit vom 12. bis 27. April 1962 sei er zwischen den Verhören beim Gang zur Toilette die Treppe hinabgestoßen worden und dabei auf die Schulter gestürzt. Infolgedessen könne er heute den rechten Arm im Schultergelenk nicht nach hinten bewegen, habe Schmerzen und Behinderungen beim Ankleiden und der Körperpflege. Weiterhin sei ihm bei dem Versuch, einen herabgefallenen Schlüsselbund aufzuheben, von einem Anstaltswärter auf den Daumen getreten worden; der Daumen der rechten Hand sei im Gelenk nunmehr steif. Vor der Haft hätten keine Vorschäden bestanden. Gleichzeitig legte der Kläger den Beschluss der Rehabilitierungskammer des Landgerichts Meiningen vom 16. Oktober 1995 vor, wonach er die Untersuchungshaft vom 12. bis 27. April 1962 zu Unrecht erlitten hat, sowie Auszüge aus seinen Sozialversicherungsausweisen von März 1964 bis April 1989 zu erfolgten Heilbehandlungen.

Versuche des Beklagten, medizinische Unterlagen aus der Zeit unmittelbar nach der Haft bei damals behandelnden Orthopäden, der Justizvollzugsanstalt, den Archiven verschiedener Gesundheitsämter, der Poliklinik F. sowie der Außenstelle Erfurt des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR zu erlangen, sind erfolglos geblieben. Der Beklagte holte einen aktuellen Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin W. ein und veranlasste sodann eine versorgungsärztliche Begutachtung durch Frau Dr. H. Sie stellte in ihrem Gutachten von September 2001 auf der Grundlage einer Untersuchung sowie aktueller Röntgenaufnahmen beider Schultern und beider Daumen eine Funktionseinschränkung des rechten Daumengrundgelenkes sowie eine Funktionseinschränkung beider Schultergelenke und einen Diabetes mellitus fest. Die Funktion der rechten Hand sei nur geringgradig beeinträchtigt. Die daraus folgende Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) betrage weniger als 25 vom Hundert (v. H.). Ein kausaler Zusammenhang der jetzt bestehenden Funktionseinschränkungen des rechten Schultergelenkes zum angeschuldigten Ereignis müsse anhand des vorliegenden Röntgenbefundes und der Funktionseinschränkung beider Schultergelenke verneint werden. Die Fakten sprächen für eine Schulterkontusion, die ohne morphologische Veränderungen ausheile. Die Veränderungen beider Schultergelenke seien nicht schädigungsbedingt. Der Diabetes mellitus sei keine Schädigungsfolge.

Im November 2001 teilte die Abteilung Rehabilitierung und Wiedergutmachung des (damaligen) Landesamts für Soziales und Familie auf Anfrage mit, dass aus den bisher erschlossenen Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von Ausschließungsgründen ersichtlich seien.

Der Beklagte erkannte sodann mit Bescheid vom 10. Januar 2002 als Schädigungsfolge im Sinne des § 21 des Strafrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes - StrRehaG - die Funktionseinschränkung des rechten Daumengrundgelenkes an. Diese Gesundheitsstörung bedinge keine MdE um wenigstens 25 v. H. Versorgungsbezüge könnten daher nicht gewährt werden. Die außerdem geltend gemachten Bewegungseinschränkungen des rechten Schultergelenkes seien nicht auf den geschilderten Sturz während der U-Haft zurückzuführen.

Seinen Widerspruch begründete der Kläger damit, dass er nach der Haftentlassung längere Zeit in ärztlicher Behandlung und mehrfach krankgeschrieben gewesen sei und unter den geltend gemachten Beschwerden über Jahrzehnte gelitten habe; im Übrigen bestehe eine Funktionseinschränkung nur im rechten, nicht aber im linken Schultergelenk. Der Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 19. Juni 2002 den Widerspruch zurück. Beide Schultergelenke wiesen eine Arthrose auf. In den Unterlagen der Poliklinik B. sei für den Zeitraum unmittelbar nach der Haftentlassung keine medizinische Behandlung einge...

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