Verfahrensgang

SG Altenburg (Urteil vom 31.05.1996)

 

Tenor

Auf die Berufungen der Kläger werden dieUrteile desSozialgerichts Altenburg vom31. Mai 1996 sowie die Bescheide der Beklagten vom 8. Juni 1995 in Gestalt der Widerspruchsbescheide vom 21. September 1995 aufgehoben und die Beklagte verurteilt, den Klägern ab dem 1. April 1995 bis zum 30. September 1996 jeweils ein monatliches Pflegegeld in Höhe von DM 105,00 und für die Zeit ab 1. Oktober 1996 jeweils ein monatliches Pflegegeld von 400,00 DM zu zahlen.

Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten der Kläger für die 1. und 2. Instanz zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Kläger begehren von der Beklagten ein monatliches Pflegegeld für Pflegebedürftige der Pflegestufe I für die Zeit vom 1. April 1995 bis zum 30. September 1996 noch in Höhe von je 105,00 DM und ab dem 1. Oktober 1996 in monatlicher Höhe von je 400,00 DM.

Die am … und … geborenen Kläger leiden an Phenylketonurie (PKU). Bei der PKU handelt es sich um eine angeborene Erkrankung des Aminosäurenstoffwechsels. Durch unzureichende Aktivität des Enzyms Phenylalanin/Hydroxylase kommt es zu einem fehlenden Abbau von Phenylalanin im Organismus. Die Folge hieraus ist eine massive Phenyialanin-Erhöhung und Tyrosin-Erniedrigung im Blut, in Geweben und im Gehirn. Unbehandelt oder zu spät behandelt fuhrt die PKU zu Myelinisierungsstörungen des Gehirns und somit zu hochgradigem Schwachsinn, Krampfanfällen und Verhaltensstörungen. Seit der Einführung des Neugeborenenscreenings ist es möglich, die PKU noch vor dem Auftreten von Symptomen zu diagnostizieren und eine rechtzeitige Therapie einzuleiten (strenge phenylalaninarme diätetische Therapie). Nur unter diesen Umständen und bei optimaler Durchführung der diätetischen Therapie gelingt es, eine annähernd normale körperliche und geistige Entwicklung der an PKU erkrankten Kinder zu erzielen.

Auf Grund der PKU wurde in der Person der Kläger ein Grad der Behinderung von 30 sowie der Nachteilsausgleich „H” für hilflos festgestellt (Bescheide des Amtes für Soziales und Familie Gera vom 14. Februar 1991).

Für die Zeit von April 1991 bis Ende September 1996 erhielten die Kläger vom beigeladenen Landkreis Pflegegeld, zuletzt ab April 1995 auf der Grundlage von Art 51 des Pflegeversicherungsgesetzes in Höhe von jeweils 295,00 DM monatlich.

Die Kläger beantragten am 1. März 1995 Leistungen aus der Pflegeversicherung in Form von Geldleistungen. Die Mutter der Kläger begründete die Anträge im wesentlichen damit, daß ein wöchentlicher Zeitaufwand für beide an PKU erkrankten Kinder von allein ca. 10 Stunden täglich erforderlich sei, um die für die Kläger geeigneten Nahrungsmittel zu beschaffen und herzustellen (Backen). Für die Diät eigneten sich Obst und Gemüse. Ungeeignet seien Milchprodukte, Fleisch und Wurst Brot, Kuchen, Plätzchen und Brötchen mußten mit eiweißarmen Mehl gebacken werden, das über den Versandhandel bestellt werden müsse. Es sei auch möglich, die – sehr teuren – Backwaren bei größeren Diätbäckereien zu bestellen. Einige Diätnahrungsmittei müßten aber bestellt werden. Die Suche nach eiweißfreien Süßigkeiten sei oft mühsam. Man müsse verschiedene Großmärkte – mit unterschiedlichem Erfolg – aufzusuchen. Jedes Nahrungsmittel müsse täglich abgewogen und der Eiweißgehalt schriftlich festgehalten werden. Die zulässige Eiweißmenge, die die Kläger pro Tag essen dürften, dürfe nicht überschritten, aber auch nicht unterschritten werden. Der Teil der Mahlzeiten, der von den Klägern nicht aufgegessen werde, müsse wieder abgewogen und der entsprechende Eiweißwert verrechnet werden. Die Kläger müßten ein Eiweißersatzpulver dreimal täglich zu sich nehmen. Hierbei sei eine strenge Kontrolle erforderlich, weil dieses Pulver einen schlechten Geschmack habe und Kinder dazu neigten, sich vor der Einnahme des Pulvers zu drücken. Beim Kochen bestehe ein täglicher Zeitaufwand von 4 Stunden, meistens erfolge eine getrennte Zubereitung von Diät und normaler Kost. An PKU erkrankte Kinder müßten, auch wenn sie größer seien, ständig beaufsichtigt werden. Da ein Naschen für ihre geistige Entwicklung Folgen habe, hatten die Eltern hier eine große Verantwortung. Die an PKU erkrankten Kinder, so auch die Kläger, seien zwar im allgemeinen sehr vernünftig und fragten bevor sie etwas essen würden. Aber es gebe auch Phasen, in denen sie einen Heißhunger auf alles Verbotene hätten.

Das von der Beklagten eingeholte Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) kam nach einer Untersuchung in häuslicher Umgebung am 23. März 1995 unter anderem zu folgenden Feststellungen: zwei bis dreimal monatlich Blutkontrolle in Jena, drei bis viermal in Erfurt ärztliche Betreuung; medikamentöse Versorgung: dreimal täglich, Seltrans peroral, dreimal täglich Pflege durch Angehörige, mindestens 14stündige wöchentliche Pflege durch die Mutter der Kläger, Hilfebedarf beim Duschen/Baden wöchentlich zweimal, kein Hilfebedarf im Bereich der Ernährung (mundgerechte Zubereitung...

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