Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. ehrenamtlicher Richter. wahrscheinliche Entlassung. vorläufige Anordnung über Heranziehung

 

Leitsatz (amtlich)

Wenn überwiegende Gründe für eine Entlassung eines ehrenamtlichen Richters nach § 18 Abs 3 SGG sprechen, eine endgültige Entscheidung aber noch nicht möglich ist, kann analog § 22 Abs 3 S 1 SGG eine vorläufige Entscheidung ergehen, dass dieser Richter bis zur endgültigen Entscheidung nicht als ehrenamtlicher Richter heranzuziehen ist.

 

Tenor

Es wird angeordnet, dass der Antragsteller bis zur endgültigen Entscheidung über die Entlassung nicht als ehrenamtlicher Richter heranzuziehen ist.

 

Gründe

I.

Der betroffene ehrenamtliche Richter (aus verfahrenstechnischen Gründen künftig Antragsteller) ist ehrenamtlicher Richter aus dem Kreis der Arbeitgeber. Seine laufende Amtsperiode dauert von 01.10.2014 bis 30.09.2019.

Anlässlich einer Ladung zur öffentlichen Sitzung am 29.06.2017 teilte der Antragsteller am 08.07.2017 per E-Mail mit, dass er an der Sitzung nicht teilnehmen könne, weil er für die nächsten drei Jahre in China sei. Der Versuch des Sozialgerichts, unter derselben E-Mail-Adresse weitere Informationen zu erlangen, blieb ohne Erfolg. Eine Antwort auf ein Schreiben des Gerichts an die bisherige Postanschrift in A-Stadt steht aus. Weitere Ermittlungen, z.B. über seinen (ehemaligen) Arbeitgeber, sind möglich.

II.

In entsprechender Anwendung von § 22 Abs. 3 Sozialgerichtsgesetz (SGG) wird hiermit vorläufig entschieden, dass der Antragsteller bis zur Entscheidung über die Entlassung nach § 18 Abs. 3 SGG nicht als ehrenamtlicher Richter heranzuziehen ist.

1. Ein ehrenamtlicher Richter kann gemäß § 18 Abs. 3 S. 1 SGG auf Antrag hin aus seinem Amt entlassen werden, wenn einer der Gründe nach § 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 SGG nachträglich eintritt. Nach § 18 Abs. 1 Nr. 5 SGG ist ein derartiger Grund gegeben, wenn der ehrenamtliche Richter glaubhaft macht, dass wichtige Gründe ihm die Ausübung des Amtes in besonderem Maße erschweren. Nach § 18 Abs. 3 Satz 2 SGG bedarf es eines Antrags nicht, wenn der ehrenamtliche Richter seinen Wohnsitz aus dem Bezirk des Sozialgerichts verlegt und seine Heranziehung zu den Sitzungen dadurch wesentlich erschwert wird. Nach dem System der Norm ist ein derartiger Umzug ein Unterfall von § 18 Abs. 1 Nr. 5 SGG.

Wenn der Antragsteller tatsächlich für drei Jahre in China ist, wäre seine Heranziehung zu den Sitzungen bis zum Ende seiner Amtsperiode praktisch unmöglich. Für die Amtsentbindung wäre bei dieser Entfernung zum Gerichtsbezirk gemäß § 18 Abs. 3 S. 2 SGG kein Antrag nötig. Dieser Sachverhalt ist aber noch nicht glaubhaft gemacht. Außerdem ist dem Antragsteller rechtliches Gehör zu gewähren. Zugleich drohen dem laufenden Geschäftsbetrieb erhebliche Nachteile. Die Ladung des Antragstellers würde mit hoher Wahrscheinlichkeit ohne Erfolg bleiben und es müsste kurzfristig auf Ersatzrichter zurückgegriffen werden. In der anstehenden Ferienzeit ist das Gelingen derartiger kurzfristiger Nachladungen nicht gesichert, so dass öffentliche Sitzungen zu platzen drohen.

2. Nach § 22 Abs. 3 SGG kann die zuständige Kammer anordnen, dass ein ehrenamtlicher Richter bis zur Entscheidung über die Amtsentbindung oder Amtsenthebung nicht heranzuziehen ist. Den Sachverhalt einer Entlassung nach § 18 Abs. 3 SGG erfasst diese Regelung nach ihrem Wortlaut nicht. Die Voraussetzungen einer analogen Anwendung liegen jedoch vor.

Voraussetzungen einer analogen Anwendung einer gesetzlichen Regelung auf einen Sachverhalt, der von der Norm nicht erfasst wird (“das Gesetz ist zu eng„), sind

-

der zu beurteilende Sachverhalt ist mit dem geregelten Sachverhalt vergleichbar,

-

nach Sinn und Zweck der Norm ist dieselbe rechtliche Bewertung angezeigt und

-

es besteht eine planwidrige Regelungslücke in der Norm

(vgl. BSG, Urteil vom 09.12.2016, B 8 SO 15/15 R, dort Rn. 15).

a) Der Sachverhalt einer Entlassung nach § 18 Abs. 3 SGG ist dem einer Amtsentbindung nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGG vergleichbar.

Eine Amtsentbindung nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGG kann erfolgen, wenn eine Voraussetzung für die Berufung eines ehrenamtlichen Richters nachträglich wegfällt, etwa ein Vertragsarzt seine Kassenzulassung zurückgibt oder ein Arbeitnehmer Beamter wird.

Eine Entlassung nach § 18 Abs. 3 SGG kann erfolgen, wenn nach der Ernennung zum ehrenamtlichen Richter einer der Ablehnungsgründe nach § 18 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 SGG eintritt, insbesondere durch Umzug der Wohnsitz aus dem Bezirk des Sozialgerichts verlegt wird und die Heranziehung zu den Sitzungen wesentlich erschwert wird, § 18 Abs. 3 S. 2 SGG.

In beiden Fallgruppen kann die Amtszeit des ehrenamtlichen Richters vorzeitig durch Beschluss beendet werden, weil sich in seinen persönlichen Verhältnissen nach der Berufung in das Amt Veränderungen ergeben haben. In beiden Fällen ist die Amtsbeendigung nicht zwingend. Auch bei der Amtsentbindung nach § 22 Abs. 1 S. 3 SGG besteht angesichts des eindeutigen Wortlauts Ermessen (so zutreff...

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