Entscheidungsstichwort (Thema)

Minderung des Arbeitslosengeld II. mehrfache Meldeversäumnisse. Meldepflichten. Mitwirkungspflichten. Anwendbarkeit der §§ 60 ff SGB 1. wichtiger Grund. Gesundheitsgefährdung während der Corona-Pandemie bei Zugehörigkeit zur Risikogruppe aufgrund Vorerkrankung

 

Orientierungssatz

1. Die Regelung der Sanktion bei Meldeversäumnis gemäß § 32 SGB 2 verdrängt nicht die Mitwirkungsregelungen nach §§ 60 ff SGB 2. Auch die Obliegenheit zum persönlichen Erscheinen nach § 61 SGB 1 kann im SGB 2 eingefordert werden und bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 66 SGB 1 zu einer Leistungsentziehung führen.

2. Die Voraussetzungen der Leistungsentziehung nach § 66 SGB 1, dass infolge der fehlenden Mitwirkung "die Voraussetzungen der Leistungen nicht nachgewiesen sind", liegen nach drei Meldeversäumnissen aber nicht automatisch insofern vor, dass von einem Wegfall oder fehlendem Nachweis der Hilfebedürftigkeit ausgegangen werden darf.

3. Die infolge einer Adipositas während der Corona-Pandemie bestehende erhöhte Gefahr einer schwerwiegenden COVID-19-Erkrankung stellt einen wichtigen Grund im Sinne des § 32 Abs 1 S 2 SGB 2 dar.

 

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 29. Oktober 2020 gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 22. Oktober 2020 wird angeordnet.

2. Die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Antragstellers trägt der Antragsgegner.

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten im Rahmen eines Antrages auf einstweiligen Rechtsschutz um die Rechtmäßigkeit eines Entzugs des Arbeitslosengeldes II aufgrund eines Meldeversäumnissen im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II).

Der Antragsteller steht im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II. Zuletzt gewährte ihm der Antragsgegner Leistungen in Höhe von insgesamt monatlich 805,45 Euro (432,00 Euro Regelleistung und 373,45 Euro Kosten der Unterkunft und Heizung) für den Zeitraum 01. Februar 2020 bis 31. Januar 2021 mit Bescheid vom 14. Januar 2020.

Mit Schreiben vom 16. Juli 2020 lud der Antragsgegner den Antragsteller mit einfachem Brief zu einem Termin beim Jobcenter E. am Freitag den 24. Juli 2020 um 08:15 Uhr ein. In dem Einladungsschreiben ist ausgeführt, dass es sich um eine Einladung gem. § 59 SGB II i.V.m. § 309 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) handele. In dem Termin sollte laut Einladungsschreiben die aktuelle berufliche Situation des Antragstellers besprochen werden. Die Einladung erhielt unter dem Punkt Rechtsfolgebelehrung, Rechtsbehelfsbelehrung und weitere Hinweise folgende Ausführungen:

„(…) Rechtsfolgenbelehrung:

1. Eine Verletzung der Meldepflicht nach § 59 SGB II i.V.m. § 309 SGB III liegt vor, wenn Sie der Aufforderung Ihres zuständigen Jobcenters, sich persönlich zu melden oder zu einem ärztlichen oder psychologischen Untersuchungstermin zu erscheinen, nicht nachkommen.

2. Bei einer Verletzung der Meldepflicht wird das Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld um 10 Prozent des für Sie maßgebenden Regelbedarfs zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 20 SGB II

gemindert.

3. Minderung und Wegfall dauern grundsätzlich drei Monate und beginnen mit dem Kalendermonat nach Zustellung des entsprechenden Bescheides über die Sanktionen (§ 31b SGB II). Während dieser Zeit besteht kein Anspruch auf ergänzende Hilfen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (Sozialhilfe).

4. Durch Verletzung der o.g. Pflichten können sich ggf. Überschneidungen der Sanktionszeiträume ergeben (Beispiel: 10 Prozent Minderung aufgrund erster Verletzung der Meldepflicht vom 01.05. bis 31.07. und 10 Prozent Minderung aufgrund einer weiteren Verletzung der Meldepflicht vom 01.06. bis 31.08. --) Überschneidung vom 01.06. bis 31.07. mit insgesamt 20 Prozent Minderung). Der monatliche Minderungsbetrag darf auch bei mehreren Verletzungen der Meldepflicht 30 Prozent des maßgeblichen Regelbedarfs nicht überschreiten.

5. Minderungen wegen Meldepflichtsverletzungen können zu Minderungen nach § 31 SGB II hinzutreten.

Der monatliche Minderungsbetrag darf jedoch nicht 30 Prozent des maßgeblichen Regelbedarfs überschreiten. Minderungen sollen nicht eintreten, wenn diese zu einer außergewöhnlichen Härte führen würden. Erklärungen, den Mitwirkungspflichten nachträglich nachzukommen oder künftig ordnungsgemäß mitzuwirken, können unter Berücksichtigung des Einzelfalls, den Zeitraum der Minderung begrenzen.

6. Gemäß § 32 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 31b Abs. 1 S. 4 SGB II kann im Einzelfall bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten unter 25 Jahren der Sanktionszeitraum auf sechs Wochen verkürzt werden.

(…)“

Da der Antragsteller den Termin nicht wahrnahm, hörte der Antragsgegner den Antragsteller mit Datum vom 19. August 2020 wegen des unentschuldigten Fernbleibens von dem o.g. Termin zu einer Sanktion i.H.v. 10% der für ihn maßgeblichen Regelleistung an. Mit Bescheid vom 21. September 2020 kürzte der Antragsgegner die Leistungen des Antragstellers um 10% für den Zeitraum von Oktober 2020 bis Dezember 202...

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