Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. vereinfachtes Verfahren für den Zugang zu sozialer Sicherung aus Anlass der COVID-19-Pandemie. Bedarfe für Unterkunft und Heizung. Fingierung der Angemessenheit der tatsächlichen Aufwendungen für die Dauer von sechs Monaten. Umzug in eine unangemessene Unterkunft ohne Zusicherung des Grundsicherungsträgers

 

Orientierungssatz

1. § 67 Abs 3 S 1 SGB 2 findet auch dann Anwendung, wenn weder die Hilfebedürftigkeit noch der Umzug direkt auf die Corona-Pandemie zurückzuführen sind (vgl LSG Celle-Bremen vom 29.9.2020 - L 11 AS 508/20 B ER = ZFSH/SGB 2020, 718).

2. Weder dem Wortlaut noch den Gesetzesmaterialien lässt sich entnehmen, dass die Sonderregelung nur für bereits seit längerem bewohnte Wohnungen gelten soll (vgl LSG Celle-Bremen vom 29.9.2020 - L 11 AS 508/20 B ER aaO).

 

Tenor

Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger unter Abänderung des Bescheides vom 05.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2021 für die Zeit vom 01.02.2021 bis 31.07.2021 weitere vorläufige Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 335,21 € pro Monat zu gewähren.

Der Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Übernahme höherer Kosten der Unterkunft (KdU) durch den Beklagten in der Zeit vom 01.02.2021 bis 31.07.2021.

Er ist im Jahr 1960 geboren worden und bezieht seit längerem Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Bis zum 31.01.2021 lebte er in einer Mietwohnung in H. und bezog Leistungen vom Jobcenter der Stadt H. Am 10.11.2020 unterzeichnete er einen ab 01.01.2021 laufenden Arbeitsvertrag bezüglich einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung als Sachbearbeiter (Buchhaltung und Controlling) bei einer Arbeitgeberin in I. Zudem wurde mit der Arbeitgeberin am gleichen Tag ein Vertrag hinsichtlich der Überlassung einer Werkdienstwohnung mit der Größe von 55 m² in I. ab 01.02.2021 geschlossen. Die vom Kläger zu zahlende Gesamtmiete belief sich laut Vertrag auf 840 € pro Monat (700 € Kaltmiete und 140 € Nebenkosten).

Bereits vor Vertragsabschluss hatte der Kläger beim (für I. örtlich zuständigen) Beklagten wegen der Genehmigung des Umzuges angefragt. Mit Bescheid vom 04.12.2020 lehnte der Beklagte die Zusicherung der Übernahme der vollen KdU ab. Für eine Wohnung in I. seien bei einer Person maximal KdU in Höhe von insgesamt 487,91 € angemessen und übernahmefähig (381 € Kaltmiete, 39 € kalte Nebenkosten, sowie 67,91 € Heizkosten bei Nutzung von Heizöl). Die vom Kläger gewünschte Wohnung sei damit unangemessen teuer.

Mit Bescheid vom 05.01.2021 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit vom 01.02.2021 bis 31.07.2021. Die Vorläufigkeit wurde mit zunächst berücksichtigten Unterhaltszahlungen des Klägers begründet, deren tatsächliche Erbringung nachzuweisen sei, sowie mit einem noch nicht abschließend feststellbaren Erwerbseinkommen. Als KdU wurden 504,79 € pro Monat berücksichtigt (381 € Kaltmiete, 39 € kalte Nebenkosten, sowie 84,79 € Heizkosten). Die Bewilligungshöhe belief sich für Februar auf 1.374,57 €, hinsichtlich der weiteren Monate auf jeweils 24,57 €.

Der Kläger legte Widerspruch gegen diese Entscheidung ein. In Reaktion auf die Covid-19- Pandemie sei der Zugang zu Leistungen der Grundsicherung vereinfacht worden. Die Regelung in § 67 Abs 3 Satz 1 SGB II umfasse unter anderem die befristete Anerkennung der tatsächlichen KdU und finde auch Anwendung, wenn die Hilfebedürftigkeit unabhängig von der Pandemie eingetreten sei. Hierzu liege auch bereits eine gerichtliche Entscheidung vor (Verweis auf LSG Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 29.09.2020 - L 11 AS 508/20 B ER). Es seien daher die tatsächlichen KdU zu übernehmen und nicht nur die angemessenen.

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Bescheid vom 18.01.2021 zurück. Der angegriffene Ausgangsbescheid entspreche den gesetzlichen Bestimmungen.

Der Kläger hat am 08.02.2021 Klage beim Sozialgericht H. erhoben. Zur Begründung wiederholt er sinngemäß seinen Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Bescheid vom 05.01.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.01.2021 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 01.02.2021 bis 31.07.2021 weitere vorläufige Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 335,21 € pro Monat zu gewähren.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er verweist auf seinen bisherigen Vortrag.

Das Gericht hat den Beklagten unter Hinweis auf die vom Kläger bereits im Widerspruchsverfahren benannte gerichtliche Entscheidung gebeten, seine Rechtsauffassung zu überdenken.

Der Beklagte hat an seinem Rechtsstandpunkt festgehalten. Die Corona-Sonderregelung des § 67 Abs. 3 SGB II zur Übernahme der tatsächlichen Kosten für Unterkunft und Heizung sei auf den Fall des Klägers nicht anzuwenden. Die Regelung sei geschaffen worden, da die schnell zunehmend...

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