Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Anfechtungsklage. Vorliegen eines Verwaltungsakts. Grundsicherung für Arbeitsuchende. Aufforderung an den Leistungsberechtigten zur Beantragung einer vorzeitigen Altersrente. fehlende Ermessensausübung. Folgenbeseitigungsanspruch. Verpflichtung des Grundsicherungsträgers zur Rücknahme des im Wege der Ersatzvornahme gestellten Rentenantrags

 

Orientierungssatz

1. Die nach § 5 Abs 3 S 1 SGB 2 an den Leistungsberechtigten gerichtete Aufforderung des Grundsicherungsträgers, umgehend eine Altersrente zu beantragen, stellt einen Verwaltungsakt iS des § 31 S 1 SGB 10 dar.

2. Nicht nur die Stellung des Antrags an Stelle des Leistungsberechtigten steht im Ermessen des Grundsicherungsträgers, sondern schon die Aufforderung bedarf einer Ermessensentscheidung (vgl LSG Essen vom 1.2.2010 - L 19 B 371/09 AS ER und LSG Darmstadt vom 24.5.2011 - L 7 AS 88/11 B ER).

3. Der Grundsicherungsträger ist verpflichtet, einen nach § 5 Abs 3 S 1 SGB 2 gegenüber dem Rentenversicherungsträger gestellten Antrag zurückzunehmen, wenn die zuvor gegenüber dem Leistungsberechtigten erfolgte Aufforderung, einen Rentenantrag zu stellen, rechtswidrig ist.

 

Tenor

1. Der Bescheid vom 07.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2012 wird aufgehoben.

2. Der Beklagte wird verurteilt, den mit Schreiben vom 04.10.2012 bei der G gestellten Antrag auf vorrangige Altersrente gegenüber der H zurückzunehmen.

3. Der Beklagte hat dem Kläger seine notwendigen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich dagegen, dass der Beklagte für ihn einen Antrag auf vorrangige Altersrente gestellt hat.

Der am H geborene Kläger steht bei dem Beklagten im Bezug von Arbeitslosengeld II. Laut einer Renteninformation der I vom 28.06.2011 wird der Kläger die Regelaltersgrenze am 09.06.2014 erreichen.

Mit Bescheid vom 07.09.2011 forderte der Beklagte den Kläger auf, umgehend eine Altersrente zu beantragen. In diesem Bescheid wies der Beklagte den Kläger darauf hin, dass ihm nach § 5 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ein Antragsrecht zustehe, wenn die Antragstellung durch den Kläger nicht umgehend erfolge.

Mit Schreiben vom 28.09.2011 teilte der Kläger dem Beklagten mit, dass er den Antrag wegen der zu erwartenden Rentenhöhe laut Renteninformation vom 28.06.2011 nicht stellen werde.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12.03.2012 wies der Beklagte den Widerspruch des Klägers (Schreiben vom 28.09.2011) zurück.

Dagegen hat der Kläger am 03.04.2012 bei dem Sozialgericht Hannover Klage mit der Begründung erhoben, dass ein Rentenbezug für ihn mit erheblichen und unzumutbaren Nachteilen verbunden wäre. Er wäre aus dem Rechtskreis des SGB II ausgeschlossen und könnte keine Eingliederungshilfen erhalten. Außerdem habe der Beklagte von seinem Ermessen keinen Gebrauch gemacht. Der Kläger hat beantragt, den Bescheid vom 07.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2012 aufzuheben.

Mit Schreiben vom 04.10.2012 hat der Beklagte bei der J nach § 5 Abs. 3 SGB II für den Kläger einen Antrag auf vorrangige Altersrente gestellt. Die K hat bisher über diesen Antrag nicht entscheiden können, weil der Kläger seinen Mitwirkungspflichten nicht nachgekommen ist.

Der Kläger beantragt nunmehr,

1. den Bescheid vom 07.09.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.03.2012 aufzuheben und

2. den Beklagten zu verurteilen, den mit Schreiben vom 04.10.2012 bei der L gestellten Antrag auf vorrangige Altersrente gegenüber der M zurückzunehmen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten haben vorgelegen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der darin enthaltenen Vorgänge sowie auf den Inhalt der Gerichtsakten zum hiesigen Aktenzeichen und zum Aktenzeichen S 68 AS 4116/12 ER ergänzend Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

Der Kläger hat die ursprüngliche Anfechtungsklage wirksam nach § 99 Abs. 3 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) um einen Leistungsantrag erweitert.

1. Die Anfechtungsklage ist zulässig.

Der angefochtene Bescheid vom 07.09.2011 ist ein Verwaltungsakt im Sinne von § 31 SGB X. Insbesondere enthält er eine Regelung. Eine Regelung ist jede einseitige durch eine Behörde vorgenommene Begründung, Aufhebung, Änderung oder bindende Feststellung eines subjektiven Rechts oder einer Pflicht des Adressaten (Waschull, in: Diering/Timme/Waschull, SGB X, 3. Auflage 2011, § 31, Rn. 27). Die Aufforderung nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II ist Voraussetzung für das Antragsrecht des Beklagten und schränkt das Recht des Klägers, alleine über seinen Rentenanspruch zu disponieren, ein. Der Bescheid vom 07.09.2011 hat auch nicht dadurch seine Wirkung verloren, dass der Beklagte mit dem Schreiben an die N vom 04.10.2012 von seinem Antragsrecht Gebrauch gemacht hat. Die Aufforderung nach § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II entfaltet Wirkung über die Stellung des Antrags hinaus. Rechtsfolge von § 5 Abs. 3 Satz 1 SGB II ist eine gesetzliche Prozessstandschaf...

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