Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe. Übergang des Anspruchs nach dem Tode des Berechtigten auf einen ambulanten Pflegedienst. Bindung an die Entscheidung der Pflegekasse bei Hilfe zur Pflege. Kenntnisgrundsatz. verfassungskonforme Auslegung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zu den nach dem Tode des Berechtigten gemäß § 19 Abs 6 SGB 12 auf den Leistungserbringer übergehenden Ansprüchen zählt auch der Anspruch auf Übernahme der Kosten für einen ambulanten Pflegedienst.

2. Die Bindung des Sozialhilfeträgers an die Entscheidung der Pflegekasse über das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit entbindet den Sozialhilfeträger nicht von der Verpflichtung, einer ihm vermittelten Kenntnis schon vor Ergehen einer Entscheidung der Pflegekasse Rechnung zu tragen.

 

Orientierungssatz

Wird die Verurteilung zur Leistung nur dem Grunde nach begehrt und muss der Leistungsträger infolge der Verurteilung einen neuen Verwaltungsakt erlassen, so ist im Anwendungsbereich des SGG nicht die Verpflichtungsklage, sondern die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage die statthafte Klageart.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 19.07.2011; Aktenzeichen B 8 SO 19/11 B)

 

Tenor

1. Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 31.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17.11.2006 dem Grunde nach verurteilt, an die Klägerin die angemessenen Kosten für die von der Klägerin in der Zeit vom 18.04.2006 bis zum 05.06.2006 geleistete Pflege des Herrn A. B., geboren am … 1950, unter Berücksichtigung der bereits von der Pflegekasse geleisteten Zahlungen von 921,00 € monatlich zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 2.090,16 € festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Vergütung von Pflegedienstleistungen, welche sie gegenüber dem mittlerweile verstorbenen Herrn A. B. erbracht hat.

Die Klägerin betreibt einen ambulanten Pflegedienst. Am 13.04.2006 schloss sie einen Pflegevertrag mit Herrn B., in welchem sie sich verpflichtete, ab diesem Datum ambulante Pflegedienstleistungen in der Wohnung des Herrn B. zu erbringen. Diesen Vertrag brachte die Klägerin am 18.04.2006 der Beklagten zur Kenntnis. Herr B. war zu diesem Zeitpunkt vermögenslos und bezog Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende in Form von Arbeitslosengeld II.

Am … 2006 verstarb Herr B.. Mit Schreiben vom 30.06.2006 an die Pflegekasse bei der AOK Rheinland/Hamburg, bei welcher der Verstorbene pflegeversichert war, teilte der mit der Begutachtung der Pflegebedürftigkeit des Herrn B. beauftragte Medizinische Dienst der Krankenversicherung Nord mit, anhand der vorliegenden Unterlagen sei davon auszugehen, dass bei Herrn B. von April 2006 bis zu dessen Tod die Voraussetzungen der Pflegestufe II vorgelegen hätten. Die Pflegekasse sagte der Klägerin daraufhin unter dem 21.08.2006 zu, sie werde sich für den Zeitraum vom 01.04.2006 bis zum 05.06.2006 an den Pflegekosten bis zu einem Gesamtaufwand von 921,- Euro im Monat beteiligen.

Mit Schreiben vom 25.09.2006 erhob die Klägerin bei der Beklagten Anspruch auf die Vergütung der geleisteten häuslichen Pflege des Herrn B. und kündigte an, entsprechende Rechnungen zu übersenden. Am 30.10.2007 stellte die Klägerin der Beklagten für die Monate April und Mai 2006 insgesamt 2.090,16 Euro für gegenüber Herrn B. erbrachte Pflegedienstleistungen in Rechnung. In den Rechnungsbeträgen waren die Leistungen der Pflegekasse in Höhe von 921,- Euro monatlich bereits berücksichtigt.

Mit Bescheid vom 31.10.2006 lehnte die Beklagte die Gewährung der begehrten Leistungen ab. Zur Begründung führte sie aus, nach § 62 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) sei die Entscheidung der Pflegekasse auch bei der Bewilligung von Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII zugrunde zu legen. Da das Ergebnis der Begutachtung der Pflegebedürftigkeit erst nach dem Tod des Herrn B. vorgelegen habe, habe eine Bewilligung von Leistungen nach dem SGB XII nicht mehr erfolgen können. Nach § 19 Abs. 6 SGB XII erhielten nach dem Tode eines Leistungsberechtigten nur Einrichtungen und Pflegegeldempfänger Leistungen, ambulante Pflegedienste seien nicht erwähnt. Eine Übernahme der vorgelegten Rechnungen sei daher nicht möglich.

Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 06.11.2006 Widerspruch, mit dem sie geltend machte, entgegen der Ansicht der Beklagten sei der Anspruch des Herrn B. auf sie übergegangen. Zwar habe der Gesetzgeber unglückliche und missverständliche Formulierungen gewählt, nach historischer, systematischer und teleologischer Auslegung des § 19 Abs. 6 SGB XII und der Vorgängernorm des § 28 Abs. 2 Bundessozialhilfegesetz alter Fassung (BSHG a. F.) ergebe sich jedoch, dass auch ambulante Pflegedienste vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst seien.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 17.11.2006 zurück. Der in § 17 Abs. 1 Satz 2 SGB XII normierte Grundsatz, dass ein Anspruch auf Hilfe zur Pflege nicht übertragbar sei, werde nur in den Fällen des § 25 SGB XII und des § 19 Abs. 6 ...

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