Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragsärztliche Versorgung. Verzicht. Betrieb einer Dialyseeinrichtung in einer Nebenbetriebsstätte

 

Orientierungssatz

1. Zur gerichtlichen Feststellung, ob bzw. in welchem Umfang der Betrieb einer Dialyseeinrichtung in einer Nebenbetriebsstätte rechtmäßig ist.

2. Für die Beurteilung eines Verzichts im Vertragsarztrecht gelten die allgemeinen Grundsätze des Verwaltungsrechts; § 46 SGB 1 ist nicht einschlägig. Ein Verzicht ist danach möglich, wenn eine Rechtsposition im Interesse des Begünstigten begründet wurde, also zu seiner Verfügung steht, und keine vorzugswürdigen öffentlichen Interessen entgegen stehen (vgl BSG vom 26.2.1986 - 9a RVs 4/83 = BSGE 60, 11 = SozR 3870 § 3 Nr 21 juris RdNr 14).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 04.11.2021; Aktenzeichen B 6 KA 14/20 R)

 

Tenor

1. Es wird festgestellt, dass die Beigeladene zu 1) nicht über eine Genehmigung zur Durchführung von Versorgungsaufträgen i.S.d. Anlage 9.1 BMV-Ä in der H.-straße in A-Stadt verfügt.

2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 7. zu 1/7, die Beklagte und die Beigeladene zu 1 als Gesamtschuldner mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 7. zu 6/7.

3. Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin greift den Betrieb einer Dialyseeinrichtung in einer Nebenbetriebsstätte der Beigeladenen zu 1 in der H.-straße im saarländischen A-Stadt an.

Die Klägerin betreibt eine Dialysepraxis in A-Stadt, deren Infrastruktur auf die kontinuierliche Versorgung von mindestens 200 Patienten mit allen Arten und Formen von Blutreinigungsverfahren ausgelegt ist. Sie bietet auch LC-Dialysen an. Die Klägerin verfügt derzeit über drei bestandskräftige, besondere Versorgungsaufträge im Sinne von Anlage 9.1 BMV-Ä und über mindestens 20 (im Rechtssinne) freie Dialyseplätze. Die Klägerin war zum Zeitpunkt der Klageerhebung eine Berufsausübungsgemeinschaft („BAG“) von drei Fachärzten für Innere Medizin mit Schwerpunkt Nephrologie, welche zur vertragsärztlichen Versorgung zu- und am Vertragsarztsitz A-Straße, A-Stadt, niedergelassen sind. Zum 1.4.2018 ging die Klägerin im Wege der Gesamtrechtsnachfolge kraft Gesetzes in der neu gegründeten „A.“, welche durch ihren Geschäftsführer Dr. G. vertreten wird, auf.

Die Beigeladene zu 1 verfügte ab Gründung über einen besonderen Versorgungsauftrag, ihre Zulassung erfolgte für einen Vertragsarztsitz in D-Stadt. Alleingesellschafterin der Beigeladenen zu 1 ist die Arbeitsgemeinschaft Heimdialyse e.V. (im Folgenden: „AG H.“).

Dr. Bo. und Dr. St. unterhielten in Form einer BAG unter Vertragsarztsitz in D-Stadt eine Dialysehauptbetriebsstätte, zu welcher auch unter anderem eine Nebenbetriebsstätte speziell für LC-Dialysen in der H.-straße in A-Stadt gehörte. Die Nebenbetriebsstätte war unter der Geltung von Anlage 9.1 BMV-Ä auf der Grundlage von Übergangsvorschriften mit Bescheid der Beklagten vom 23.10.2003 genehmigt worden (Bl. 54 d.A.). Dabei wurde der Bescheid inhaltsgleich doppelt erstellt und an jeden der beiden Partner adressiert. Mit Schreiben vom 23.3.2011 teilte Dr. St. der Beklagten mit, er beabsichtige die Zusammenarbeit mit Dr. Bo. zu beenden und seine Praxis nach St. I. zu verlegen, zugleich beantragte er die Genehmigung zur Übernahme eines besonderen Versorgungsauftrages für seine neue Praxis (Bl. 56 d.A.). Auch zeigte er dem Zulassungsausschuss für Ärzte die Beendigung der BAG zum 1.10.2011 an und beantragte die Verlegung seines Vertragsarztsitzes zu diesem Datum in die S. Straße in St. I.

Mit Bescheid vom 31.5.2011 erteilte die Beklagte Dr. St. einen besonderen Versorgungsauftrag für seine neue Dialyseeinzelpraxis in St. I. (Bl. 58 d.A.).

Hinsichtlich der Nebenbetriebsstätte in der H.-Straße teilte die BAG Dres. Bo. und St. der Beklagten mit Schreiben vom 18.8.2011 Folgendes mit (Bl. 59 d.A.):

„unter Bezugnahme auf Ihr Schreiben vom 12.7.2011 überreichen wir anbei eine Aufstellung der Patienten, die in unserem Standort in A-Stadt dialysiert werden. Wir wären Ihnen dankbar, wenn die Genehmigung für den Standort A-Stadt um 10 Jahre verlängert werden könnte.

Ab dem 1.10.2011 wird die Einzelpraxis Dr. St. (Jobsharing mit Frau Dr. W.) die Versorgung der Patienten in A-Stadt übernehmen.

Der Standort in B-Stadt soll nicht weiter genutzt werden.“

Unterzeichnet wurde das Schreiben sowohl von Dr. Bo. als auch Dr. St.

Mit Schreiben vom 5.9.2011 an die AG H. führte die Beklagte aus, dass die seinerzeitige Genehmigung für die Praxisstätte in A-Stadt nach Anhang 9.1.5 Abs. 3 erster Abschnitt erteilt worden sei und deshalb keine Befristung enthalte (Bl. 60 d.A.). Diesbezüglich stellte das L. in seinem Urteil vom 15.3.2017 (B 6 KA 35/16 R, juris, Rn. 22) fest, dass es sich nicht um einen Genehmigungsbescheid gehandelt habe, da die Beklagte keinen Regelungswillen kundgetan habe.

Die Klägerin ging gegen den Betrieb von Dr. St. in St. I. und A-Stadt vor. Hinsichtlich der Betriebsstätte in A-Stadt verklagte sie Dr...

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