Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch der Krankenkasse auf Rückerstattung der an eine Krankenhausapotheke für an Versicherte gelieferte individuell hergestellte Arzneimittel gezahlten Umsatzsteuer - Voraussetzungen einer wirksamen ergänzenden Vertragsauslegung

 

Orientierungssatz

1. Die Abgabe von Arzneimitteln an Versicherte durch eine Krankenhausapotheke nach § 129 SGB 5 kann aufgrund einer Vereinbarung gemäß § 129a SGB 5 erfolgen. Die Krankenhausapotheke ist dann berechtigt, zu Lasten der Krankenkasse ordnungsgemäß verordnete Arzneimittel abzurechnen, auf die Versicherte nach § 31 Abs. 1 S. 1 SGB 5 einen Leistungsanspruch haben. In der Vereinbarung kann u. a. geregelt werden, dass den Preisen und Entgelten die Umsatzsteuer hinzuzufügen ist, soweit sich aus den Vorschriften zur Preisberechnung nichts anderes ergibt oder die zuständige Finanzbehörde keine andere Regelung trifft.

2. Eine in diesem Zusammenhang erforderliche ergänzende Vertragsauslegung setzt zu ihrer Wirksamkeit nach § 157 BGB i. V. m. § 69 Abs. 1 S. 3 SGB 5 voraus, dass der Vertrag, mit dem die Beteiligten in privatautonomer Verantwortung ihre Interessen in Bezug auf einen Lebenssachverhalt geordnet haben, eine Regelungslücke i. S. einer planwidrigen Unvollständigkeit aufweist (BSG Urteil vom 9. 4. 2019, B 1 KR 5/19 R).

3. Das Instrument der ergänzenden Vertragsauslegung ist auf einen beiderseitigen Interessenausgleich gerichtet, der aus einer objektiv generalisierenden Sicht dem hypothetischen Parteiwillen beider Parteien Rechnung trägt (BGH Urteil vom 17. 10. 2019, I ZR 34/18).

4. Ergibt die ergänzende Vertragsauslegung, dass entsprechend einer ausdrücklichen Vereinbarung die Umsatzsteuer bei individuell hergestellten Arzneimitteln nicht beim liefernden Krankenhaus verbleiben soll, sondern als Vergütungsbestandteil entfällt, so besteht damit eine Rückzahlungsvereinbarung bei im Nachhinein zu Unrecht berechneter Umsatzsteuer. In einem solchen Fall ist der Krankenhausträger zur Rückerstattung von der Krankenkasse gezahlter Umsatzsteuer verpflichtet.

 

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 57.788,71 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.11.2018 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf 58.844,86 festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten noch über die Rückerstattung der von der Klägerin für individuell hergestellte Arzneimittel in den Jahren 2014 bis 2016 gezahlten Umsatzsteuer (USt).

Die Klägerin ist eine gesetzliche Krankenkasse. Die Beklagte betreibt in der Rechtsform einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts ein Universitätsklinikum, das ein zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenes Krankenhauses ist mit angeschlossener Krankenhausapotheke. Die klinikumseigene Apotheke (im Folgenden: Krankenhausapotheke) der Beklagten stellte individuell für Versicherte der klagenden Krankenkasse (KK) Arzneimittelzubereitungen her und gab sie an diese zur ambulanten Behandlung im Krankenhaus der Beklagten durch deren Krankenhausärzte ab.

Die Abgabe dieser Arzneimittel an die Versicherten der Klägerin erfolgte auf der Grundlage einer Vereinbarung gem. § 129a SGB V. Diese sog. "Rahmenvereinbarung über die Abgabe verordneter Arzneimittel durch die Krankenhausapotheke an Versicherte nach § 129" vom 19.01.2011 zwischen der Krankenhausgesellschaft S.-H. e. V. (KGSH) und den Landesverbänden der Krankenkassen A. N.W., I. Nord, Landwirtschaftliche Krankenkasse S.-H. und H., B. Landesverband N.W.und der Knappschaft sowie der Ersatzkassen B. GEK, T. Krankenkasse, K.-Allianz, HEK - H. Krankenkasse, hkk (Arzneimittelpreisvereinbarung, im Folgenden: AMPV 2011) normiert in ihren "Allgemeine Bestimmungen für die Preisbildung" in § 6 Absatz 1 AMPV:

"Den Preisen und Entgelten nach diesem Vertrag ist die Umsatzsteuer hinzuzufügen, soweit sich aus den Vorschriften zur Preisberechnung nichts anderes ergibt oder die zuständige Finanzbehörde keine andere Regelung trifft."

Zur Preisberechnung bei Rezepturen im Speziellen bestimmt § 7 Absatz 2 AMPV, dass prinzipiell der für den Tag der Abgabe maßgebliche preisgünstigste Apothekeneinkaufspreis gemindert um je nach Art der Rezeptur verschiedene Abschläge zu Grunde zu legen ist.

"Zu den so ermittelten Preisen ist zusätzlich ein Arbeitspreis in Höhe von • 59 EUR für zytostatikahaltige Lösungen und Lösungen mit monoklonalen Antikörpern, • 59 EUR für parenterale Ernährungslösungen, die im Rahmen einer Behandlung nach § 116b SGB V eingesetzt werden, • 29 EUR für antibiotika- und virustatikahaltige Lösungen, für parenterale Lösungen mit Schmerzmitteln sowie für parenterale Lösungen Folinatlösungen, jeweils bei einer Menge von ) 20 ml pro applikationsfertiger Einheit, abrechnungsfähig. Mit der Herstellungspauschale sind die Kosten für Verbrauchsmaterial, Entsorgung, Dokumentation und Applikationshilfen abgegolten (Ausnahmen sind in Anlage 4 geregelt)."

Auf den AMPV 2011 (Anlage B1 der Gerichtsakte) wird Bezug genom...

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