Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Liposuktionsbehandlung. Leistungskatalog. Genehmigungsfiktion. Zeitpunkt der Bekanntgabe. Kostenerstattung. Sachleistungsanspruch. Nichtanwendung der §§ 45, 47 SGB 10

 

Orientierungssatz

1. Liposuktionsbehandlungen stellen Leistungen dar, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskataloges der gesetzlichen Krankenversicherung liegen (vgl BSG vom 11.7.2017 - B 1 KR 1/17 R = SozR 4-2500 § 13 Nr 37 RdNr 22).

2. Eine Entscheidung iS von § 13 Abs 3a S 1 Alt 2 SGB 5 liegt erst im Zeitpunkt der Bekanntgabe vor.

3. Der Anspruch aus § 13 Abs 3a S 6 SGB 5 erstreckt sich nicht nur auf eine Erstattung der Kosten, sondern auch auf Sachleistungsansprüche.

4. Die Ablehnung der Leistung iS der §§ 45, 47 SGB 10 regelt weder ausdrücklich noch sinngemäß, weder förmlich noch inhaltlich eine Rücknahme oder den Widerruf der fingierten Genehmigung (vgl BSG vom 8.3.2016 - B 1 KR 25/15 R = BSGE 121, 40 = SozR 4-2500 § 13 Nr 33).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 26.02.2019; Aktenzeichen B 1 KR 20/18 R)

 

Tenor

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 19.10.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15.03.2017 verurteilt, die Kosten für die am 15.09.2016 beantragten Liposuktionsbehandlungen der Lipödeme an den Ober- und Unterschenkeln beidseits, an den Oberarmen beidseits, an der Hüfte beidseits sowie um/am Knie beidseits zu übernehmen.

Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Die Sprungrevision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Kostenübernahme für Liposuktionsbehandlungen.

Die 1979 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Am 15.09.2016 beantragte sie unter Bezugnahme auf einen Kostenübernahmeantrag von Herrn Dr. U, der über eine Kassenzulassung verfügt, die Durchführung von Liposuktionsbehandlungen bei der Diagnose Lipödem Stadium II. Seit Jahren leide sie an einem Lipödem, welches sich symmetrisch an den Ober- und Unterschenkeln beidseits, an den Oberarmen beidseits, an der Hüfte beidseits sowie um/am Knie manifestiert habe. Durch eine Umstellung der Ernährung, Diät oder Sport sei das Lipödem nicht korrigierbar. Manuelle Lymphdrainagen und komplexe Entstauungstherapie seien durchgeführt worden, würden aber nur kurzfristig das Sekundärsymptom der Ödembildung beeinflussen, während die Progredienz der Erkrankung unbeeinflusst bleibe. Daher entspreche eine Kombination von physikalischer Entstauungstherapie und operativer Liposuktion zur gezielten Reduktion der Fettvolumina dem Therapieoptimum. Es seien bei der Klägerin 4-5 Sitzungen erforderlich.

Mit Schreiben vom 16.09.2016 informierte die Beklagte die Klägerin über die Einschaltung des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK).

Der MDK kam mit Gutachten vom 30.09.2016 zu dem Ergebnis, dass keine Indikation für die begehrten Liposuktionsbehandlungen vorliege. Die Überlegenheit der Operation sei wissenschaftlich nicht zweifelsfrei bzw. mit eindeutiger Evidenz belegt.

Zudem weise eine Operation nicht unerhebliche Risiken auf. Im Übrigen seien konservative Therapien weiter erforderlich und es sei mit weiteren Folgeeingriffen zu rechnen. Mit Bescheid vom 19.10.2016, welcher der Klägerin am 22.10.2016 zuging, lehnte die Beklagte unter Bezugnahme auf das MDK-Gutachten den Antrag ab.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 07.11.2016 Widerspruch ein. Ihr stehe die beantragte Behandlung zu, weil die Genehmigungsfiktion eingetreten sei. Die Vermehrung von Fettzellen entspreche einer Krankheit, insbesondere bei ausgeprägter Form des Lipödems. Durch die stetig steigende unkontrollierbare Gewichtszunahme sei ihr eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nicht möglich. Konservative Behandlungsmethoden seien ausgeschöpft. Bei der Liposuktion handle es sich um eine Behandlungsmethode nach § 137c Abs. 3 Sozialgesetzbuch - Fünftes Buch - (SGB V), sodass eine Anerkennung durch den Gemeinsamen Bundesausschuss (GBA) nicht erforderlich sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2017 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Da noch keine abschließende Entscheidung des GBA vorliege, scheide ein Anspruch auf Kostenübernahme derzeit aus. Aus diesem Grund bestehe auch kein Anspruch unter dem Gesichtspunkt der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V, weil ein Anspruch über die Fiktion nicht weiterreiche als der Sachleistungsanspruch.

Mit ihrer am 05.04.2017 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren auf Kostenübernahme für die begehrten Liposuktionsbehandlungen weiter. Die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V sei eingetreten, weil keine rechtzeitige Bescheidung binnen fünf Wochen erfolgt sei. Das Bundessozialgericht (BSG) habe im Urteil vom 11.07.2017 (Az.: B 1 KR 1/17 R) klargestellt, dass es für die Einhaltung der Fristen des § 13 Abs. 3a SGB V auf die Bekanntgabe des Verwaltungsaktes ankomme. Die Rechtmäßigkeit der Fiktion werde zudem nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs beurteilt, so...

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