Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitslosengeld II. Umgangsrecht mit minderjährigen getrennt lebenden Kind. kein Anspruch aus § 23 Abs 1 SGB 2 bzw § 28 Abs 1 S 2 SGB 12 analog. ergänzende Leistungen nach § 73 SGB 12. beauftragte Stelle iS des § 18 Abs 1 SGB 12. keine Hilfe für die Vergangenheit. Ausnahme. Anforderung an Kenntnis in § 105 Abs 3 SGB 10. Ermessen

 

Orientierungssatz

1. Die Kosten zur Ausübung des Umgangsrechts mit minderjährigen, getrennt lebenden Kindern für Leistungsbezieher nach dem SGB 2 (hier: Fahrtkosten) können nicht als Leistung nach dem SGB 2 gewährt werden. Weder kommt eine Darlehensbewilligung über § 23 Abs 1 S 1 SGB 2 noch eine analoge Anwendung des § 28 Abs 1 S 2 SGB 12 in Betracht.

2. Zur Übertragbarkeit des sozialhilferechtlichen Grundsatzes zum Umgangsrecht nach dem BSHG als persönliches Grundbedürfnis des täglichen Lebens auf das geltende Recht des SGB 12.

3. Wegen der besonderen Schwierigkeit, den Umgang mit dem eigenen Kind, das mit dem sorgeberechtigten Elternteil in einem entfernt liegenden Wohnort verzogen ist, über längere Zeit aufrecht zu erhalten, ist eine atypische Bedarfslage anzunehmen, die die Anwendung des § 73 SGB 12 rechtfertigt. In diesem Rahmen ermöglicht § 73 SGB 12 die Übernahme der Fahrtkosten, die der nicht sorgeberechtigte Elternteil aufwendet, um das Umgangsrecht wahrzunehmen (Anschluss an BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 14/06 R = SozR 4-4200 § 20 Nr 1).

4. Zu den vom Träger der Sozialhilfe beauftragten Stellen iS des § 18 Abs 1 SGB 12 ist nicht die Arbeitsgemeinschaft in § 44b SGB 2 zu zählen. Jedoch ergibt sich aus § 18 Abs 2 SGB 12 iVm § 16 SGB 1, dass sich der zuständige Sozialhilfeträger die Kenntnis der Arbeitsgemeinschaft zurechnen lassen muss.

5. Der sozialhilferechtliche Grundsatz, nach dem keine Hilfe für die Vergangenheit zu gewähren ist, gilt auch weiterhin für die antragsunabhängigen Leistungen des SGB 12; aus Gründen der Effektivität des Rechtsschutzes gilt dies jedoch nicht ausnahmslos.

6. Die Hilfe ist dann für die Vergangenheit zu gewähren, wenn die in Streit stehende Sozialhilfeleistung von dem insoweit nicht zuständigen Träger darlehensweise erbracht worden ist, der Hilfebedürftige zur Durchsetzung seines Anspruchs auf verlorenen Zuschuss ein Klageverfahren betreibt und vor dessen Abschluss das Darlehen bereits eingesetzt hat, weil die Bedarfsdeckung keinen Aufschub duldete.

7. Im Rahmen des Erstattungsanspruchs nach § 105 Abs 1 SGB 10 genügt für die Kenntnis von den Voraussetzungen der Leistungspflicht gem § 105 Abs 3 SGB 10 eine zugerechnete Kenntnis nicht; vielmehr kommt es stets auf eine tatsächliche Kenntnis an (vgl BVerwG vom 15.6.2000 - 5 C 35/99 = FEVS 51, 445).

8. Im Rahmen der Ermessensentscheidung sind vom Sozialhilfeträger grundsätzlich nur die Kosten für die jeweils preisgünstigste zumutbare Fahrgelegenheit zugrunde zu legen (vgl LSG Stuttgart vom 27.10.2006 - L 7 AS 4806/06 ER-B = EuG 2007, 503).

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob und in welchem Umfang der Kläger die Erstattung von Fahrtkosten verlangen kann, die ihm durch Besuche seines Sohnes in Ausübung seines Umgangsrechts entstanden sind.

Der x. geborene Kläger ist der Vater des am x. geborenen Kindes A., das in den vorliegend in Rede stehenden Monaten des Jahres 2006 mit seiner Mutter, der früheren Lebensgefährtin des Klägers, in A. lebte.

Am 20.7.2005 schloss der Kläger mit A.‚s Mutter vor dem Familiengericht eine vorläufige Umgangsvereinbarung, in der ihm das Recht zugestanden wurde, “den Umgang mit seinem Kind A.14-tägig an einem Wochentag für etwa 2 - 3 Stunden - gemäß vorheriger Absprache - wahrzunehmen". Diese Umgangsvereinbarung sollte ab 20.8.2005 für “etwa 6 Monate" gelten. Daneben sollten “weitere Umgangskontakte jeglicher Art (Telefongespräche, Briefe)" ausgeschlossen sein.

Am 28.12.2005 beantragte der Kläger, der für die Zeit ab 1.1.2005 laufende Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) bezieht, bei der Beklagten Leistungen zur Wahrnehmung seines Umgangsrechts und machte insoweit “bis auf Weiteres" einen Bedarf von monatlich 255,67 EUR geltend. Zur Begründung führte er aus, dass sich die Fahrtkosten für Hin- und Rückreise laut Auskunft der Deutschen Bahn AG pro Termin auf 118 EUR beliefen, so dass sich bei 13 Umgangsterminen in 6 Monaten ein Sonderbedarf von 255,67 EUR monatlich ergebe.

Nachdem er der Beklagten mitgeteilt hatte, dass ihm im Rahmen einer vorläufigen Umgangsregelung ein Besuchstermin am 13.1.2007 zugestanden worden sei, (zu dem der Kläger dann mit einem Mietwagen anreiste), erklärte sich die Beklagte mit Bescheid vom 4.1.2006 bereit, die “angemessenen" Kosten für diese Fahrt nach A. als Darlehen zu übernehmen. Die Kosten seien unter Ausnutzung sämtlicher Einsparmöglichkeiten so gering wie möglich zu halten. Für anschließende Besuchsfahrten sei eine Kostenübernahme jeweils immer gesondert zu beantragen.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 6.1.2006 Widerspruch ein, mit dem er die lediglich ...

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