Entscheidungsstichwort (Thema)

Vertragspsychotherapeut. Antrag auf Arztsitzverlegung. "entgegenstehende Versorgungsgründe iSv § 24 Abs 7 Ärzte-ZV. eingeschränkter Beurteilungs- und Ermessensspielraum der Zulassungsgremien. Beurteilung der konkreten Versorgungssituation zur Gewährleistung der Niederlassungsfreiheit. kein alleiniger Vergleich der Versorgungsgrade der streitgegenständlichen Planungsbereiche. Empfehlungen in einer Vereinbarung des Gemeinsamen Landesgremiums nicht rechtsverbindlich. Praxisräume für Gruppentherapie und Nähe zur Wohnung keine besonders gewichtigen Versorgungsgründe für eine Sitzverlegung

 

Orientierungssatz

1. Für die Zulassungsgremien ist bei der Prüfung des unbestimmten Rechtsbegriffs "entgegenstehende Gründe der vertragsärztlichen Versorgung" nach § 24 Abs 7 Ärzte-ZV idF vom 22.12.2011 ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungs- oder Ermessensspielraum eröffnet. Es besteht grundsätzlich ein Anspruch auf die Genehmigung der Sitzverlegung, wenn Versorgungsgründe nicht entgegenstehen.

2. Der Beurteilungsspielraum hinsichtlich der entgegenstehenden Versorgungsgründe ist für die Gremien eröffnet bei der Beurteilung der Versorgungssituation und der Beurteilung der Relevanz von Gesichtspunkten der Versorgungssituation. Dabei ist zur Gewährleistung der Niederlassungsfreiheit eine konkrete Betrachtungsweise geboten (vgl BSG vom 10.5.2000 - B 6 KA 67/98 R = BSGE 86, 121 = SozR 3-5520 § 24 Nr 4, SG Marburg vom 24.11.2014 - S 12 KA 531/14 ER).

3. Die Prüfung entgegenstehender Versorgungsgründe ist allein mit dem Vergleich der Versorgungsgrade der streitgegenständlichen Bezirke nicht beendet. Dies ist nur dann der Fall, wenn keine weiteren Gesichtspunkte ersichtlich sind oder eine Konkretisierung mit unverhältnismäßigem Aufwand verbunden ist, wie etwa zur Ermittlung valider Zahlen auf Ortsteilebene.

4. Empfehlungen in einer Vereinbarung des Gemeinsamen Landesgremiums nach § 90a SGB 5 (hier: die Berechnung des Vertragspsychotherapeuten-Versorgungsgrades iSd §§ 17ff Bedarfsplanungs-Richtlinie (juris: ÄBedarfsplRL) bezogen auf die Verwaltungsbezirke Berlin) sind nicht rechtsverbindlich.

5. Praxisräume für Gruppentherapie und Nähe zur Wohnung sind keine besonders gewichtigen Gründe für eine Arztsitzverlegung, insbesondere wenn zudem keine Standortkontinuität gewahrt wird.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 03.08.2016; Aktenzeichen B 6 KA 31/15 R)

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2. bis 6., die diese selber zu tragen haben.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um eine Verlegung des Vertragspsychotherapeutensitzes der Beigeladenen zu 1.

Die Beigeladene zu 1. wurde mit Beschluss des Zulassungsausschusses vom 26.10.2012 mit hälftigem Versorgungsauftrag für den Praxissitz P. in B.-N. (Ortsteil B.) zur vertragspsychotherapeutischen Versorgung zugelassen.

Mit Schreiben vom 7.8.2013 beantragte sie die Verlegung ihres Praxissitzes zum 1.10.2013 in die F.-W.-Str., B.-T.-S. Zur Begründung gab sie u. a. an, dass sie in dem Haus wohne und dass der bisherige Praxisraum zu klein für Gruppentherapie sei.

Mit Beschluss vom 14.8.2013 lehnte der Zulassungsausschuss den Antrag ab.

Unter dem 9.10.2013 verabschiedete das Gemeinsame Landesgremium gemäß § 90a SGB V einen "Letter of Intent" zur “Versorgungssteuerung auf Ebene der 12 Berliner Verwaltungsbezirke im Rahmen der Bedarfsplanung auf Landesebene auf der Grundlage des Bedarfsplans 2013.

Dem Widerspruch der Beigeladenen zu 1. gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses half der Beklagte mit Beschluss vom 5.11.2013 ab.

Die zu diesem Zeitpunkt von der Klägerin vorgelegten und vom Beklagten in seinem Beschluss ausdrücklich berücksichtigten Daten gemäß Bedarfsplanungs-Richtlinie (RL) bzw. "Letter of Intent" weisen einen Psychotherapeuten-Versorgungsgrad für N. von 83,7 % und für T.-S. von 344 % aus sowie für Berlin insgesamt von 194,7 % (Arztzahlen zum Stichtag 1.1.2013).

Zur Begründung seines Beschlusses gab der Beklagte Folgendes an: Es bestehe kein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum, auch nicht bezüglich der Gründe der vertragsärztlichen Versorgung aus der Rechtsgrundlage, § 24 Absatz 7 Zulassungsverordnung-Ärzte. Allerdings müssten die Gründe gegenüber dem Recht auf freie Berufsausübung gewichtiger sein. Die Gründe würden die Bedarfsplanung und die konkrete Versorgung der Patienten gemäß § 70 Absatz 1 SGB V betreffen. Ausgehend hiervon sei festzustellen, dass die Zahlen der Versorgung in Bezug auf Fachärzte für Psychotherapeuten darauf hindeuten würden, dass die nach § 70 Absatz 1 Satz 1 SGB V geforderte gleichmäßige Versorgung der Versicherten im Verhältnis zwischen den Bezirken N. und T.-S. nicht gegeben sei. Der Beklagte habe auch bisher mit Blick auf den Bedarfsplan 2013 in Übereinstimmung mit dem Zulassungsausschuss Sitzverlegungen nicht genehmigt, wenn diese von weniger gut versorgten Stadtbezirken und Stadtrandlagen in besser versorgte Innenstad...

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