Entscheidungsstichwort (Thema)

Krankenversicherung. Explantation unsachgemäß hergestellter Brustimplantate. Rückforderung der Eigenbeteiligung. Rechtsgrundlage. Ermessen. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Rechtsgrundlage für das Rückforderungsbegehren einer nach § 52 Abs 2 SGB 5 gezahlten Eigenbeteiligung an den Behandlungskosten der Explantation unsachgemäß hergestellter Brustimplantate ist der allgemeine Folgenbeseitigungsanspruch.

2. Zu den Tatbestandsvoraussetzungen des § 52 Abs 2 SGB 5.

3. Das in § 52 Abs 2 SGB 5 enthaltene Tatbestandsmerkmal "in angemessener Höhe" räumt der Krankenkasse auf der Rechtsfolgenseite ein Auswahlermessen ein. Bei dessen Ausübung hat die Krankenkasse auch die finanzielle Belastbarkeit des Versicherten zu berücksichtigen. Die Heranziehung von § 33 Abs 3 S 1 EStG bei der Festsetzung der Höhe der Eigenbeteiligung stellt hierbei einen geeigneten Anknüpfungspunkt dar.

4. § 52 Abs 2 SGB 5 ist sowohl hinsichtlich der Auswahl körpermodifizierender Eingriffe als auch hinsichtlich der divergierenden Rechtsfolgen in § 52 Abs 1 und Abs 2 SGB 5 mit dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art 3 Abs 1 GG) vereinbar.

5. Das ersatzweise Einbringen neuer Implantate nach Explantation fehlerhaft hergestellter Brustimplantate zählt nicht zum Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung, wenn bereits die erstmalige Implantation rein ästhetischen Zwecken diente.

 

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Beteiligung der Klägerin an den Kosten für die Explantation unsachgemäß hergestellter Brustimplantate sowie die Erstattung von Kosten für die Implantation neuer Brustimplantate.

Die am 2. Oktober 1984 geborene Klägerin ist pflichtversichertes Mitglied der beklagten Krankenkasse. Sie ist alleinerziehende Mutter eines 2010 geborenen Kindes und stand bis zum 26. November 2012 im Bezug von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Seither übt sie eine Erwerbstätigkeit aus. Die daraus erzielten monatlichen Bruttoeinkünfte betrugen im November 2012 225,17 Euro und im Dezember 2012 1.351,00 Euro.

Die Klägerin unterzog sich am 27. April 2004 in Alicante (Spanien) einer Operation zur ästhetischen Brustvergrößerung (Mammaaugmentationsplastik). Ausweislich des in der Verwaltungsakte der Beklagten enthaltenen “Implantation Slips„ wurden ihr durch den dort ansässigen Arzt Dr. D. E. A. V. beidseits Brustimplantate (Volumen jeweils 270 ml) des französischen Herstellers Poly Implant Prothèse (PIP) eingesetzt.

Anfang 2010 war bekannt geworden, dass die meisten seit 2001 erzeugten Brustimplantate dieses und eines niederländischen Herstellers (Rofil Medical Nederlands B.V.) nicht mit dem ursprünglich - für medizinische Zwecke - vorgesehenen und dafür spezifizierten Silikongel, sondern illegal mit einem minderwertigen Industriesilikon gefüllt sind. Industriesilikon unterliegt mit Blick auf seine Eignung und Biokompatibilität als Implantatmaterial nicht denselben strengen Qualitätsanforderungen wie medizinisches Silikon. Es soll unter anderem ein erhöhtes Risiko für Rissbildungen bergen, die zum Austritt des Industriesilikons führen können. In der Folge wurde zudem bekannt, dass aus den betroffenen Implantaten auch ohne Rissbildung vermehrt und im Zeitverlauf zunehmend Silikon austreten kann (sog. “Ausschwitzen„ oder “gel bleeding„). Wegen des hohen Risikos einer Ruptur waren Vertrieb und Verwendung der PIP-Brustimplantate bereits ab dem 29. März 2010 europaweit untersagt worden. Am 23. Dezember 2011 empfahl das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zur Vermeidung weitergehender Gesundheitsgefahren zunächst eine Explantation bei erkennbar geschädigten Brustimplantaten. Mit Empfehlung vom 6. Januar 2012 erweiterte das BfArM die Risikobewertung und empfahl nunmehr als Vorsichtsmaßnahme die Entfernung der betroffenen Implantate. Wie dringend eine Entnahme im Einzelfall sei, hänge wesentlich davon ab, wie lange die Patientin das Implantat bereits trage.

Mit Schreiben vom 22. Februar 2012 beantragte die Klägerin die Übernahme der Kosten für die Explantation der PIP-Implantate sowie die Implantation neuer Implantate submuskulär mit einer Neuformung und einer entsprechenden Straffung des Hautmantels. Dabei gab sie an, dass die schadhaften Implantate seinerzeit aus ästhetischen/psychischen Grünen auf eigene Kosten eingesetzt worden seien. Als jetzt 27-jährige Frau könne sie es nicht verkraften, wenn nach der notwendigen Entfernung der jetzigen Implantate ihre Brüste nicht wieder in einen für sie psychisch annehmbaren Zustand gebracht würden. Da sie mittellos sei und ein 16 Monate altes Kleinkind allein erziehe, sei es ihr persönlich nicht möglich, die anfallenden Kosten zu übernehmen. Dem Antrag war ein Kostenvoranschlag des Facharztes für Plastische und Ästhetische Chirurgie, Handchirurgie Prof. Dr. Dr. med. J. C. B. beigefügt. Darin heißt es, für die geplante Explantation der PIP-Implantate würde das Kra...

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