Entscheidungsstichwort (Thema)

Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung. planwidrige Regelungslücke

 

Orientierungssatz

1.Die Deckungslücke in den Beitragszahlungen der privat Krankenversicherten stellt eine Systemwidrigkeit im Gefüge des SGB II dar, die bei der Schaffung der Regelungen nicht in dieser Konsequenz gesehen wurde.

2.Solche Systemwidrigkeiten und die dadurch entstandenen Regelungslücken können durch Übertragung einer für einen anderen Tatbestand im Gesetz festgelegten Rechtsfolge geschlossen werden. Das setzt voraus, dass der lückenhaft geregelte Sachverhalt dem geregelten ähnlich ist und deshalb rechtlich gleichbehandelt werden muss und der Gesetzgeber, hätte er die Regelungslücke erkannt, die gebotene Regelung auch getroffen hätte (vgl. BSG, Urteil vom 21.10.1998, Az. B 9 V 7/98 R). Eine Gleichsetzung von Sachverhalten darf jedoch dann nicht erfolgen, wenn dadurch die Regelungsabsicht des Gesetzgebers vereitelt werden würde.

3.Es erscheint - bis zu einer Schließung der Regelungslücke durch den Gesetzgeber - möglich und geboten, die nach ihrem Wortlaut auf freiwillig Versicherte in der gesetzlichen Krankenversicherung zugeschnittene Vorschrift des § 26 Abs. 2 Nr. 2 SGB II entsprechend auf privat Krankenversicherte anzuwenden und auf diese Weise der Regelungsabsicht des Gesetzgebers (Krankenversicherungsschutz der Bezieher von Arbeitslosengeld II ohne Beitragstragung aus der Regelleistung) gerecht zu werden.

 

Tatbestand

Die Beklagte wird unter Abänderung der Bescheide vom 17.11.2009 und vom 29.12.2009 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.01.2010 verurteilt, dem Kläger für den Zeitraum vom 01.09.2009 bis 31.12.2009 monatlich weitere Leistungen in Höhe von 178,53 Euro und für den Zeitraum vom 01.01.2010 bis 31.01.2010 weitere Leistungen in Höhe von 183,09 Euro als Zuschuss zur Kranken- und Pflegeversicherung zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers dem Grunde nach zu vier Fünfteln.

 

Entscheidungsgründe

Die Kammer konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit übereinstimmend einverstanden erklärt haben, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet. Die angefochtenen Bescheide sind insoweit rechtswidrig und verletzten den Kläger in seinen Rechten, § 54 Abs. 2 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Der Kläger hat einen Anspruch auf Übernahme der tatsächlichen Beiträge zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung.

Die Beklagte hat zwar die einschlägigen gesetzlichen Regelungen ihrem Wortlaut nach zutreffend angewandt. Zur Überzeugung der Kammer liegt aber eine planwidrige Regelungslücke vor, die durch Übertragung einer für einen anderen Tatbestand vorgesehenen Rechtsfolge zu schließen ist. Sie schließt sich insofern der Auffassung insbesondere des 3. Senats des LSG Baden-Württemberg (vgl. LSG Baden-Württenberg, Beschluss vom 16.09.2009, Az. L 3 AS 3934/09 ER-B; hierauf sich stützend: SG Bremen, Beschluss vom 21.12.2009, Az. S 23 AS 2415/09 ER) und des SG Karlsruhe (Urteil vom 10.08.2009, Az. S 5 AS 2121/09) an.

1. Es liegt nach der Überzeugung der Kammer eine planwidrige Regelungslücke vor.

Im allgemeinen liegen Regelungs- bzw Gesetzeslücken nur dann vor, wenn das Gesetz, gemessen an der Regelungsabsicht des Gesetzgebers und der gesetzesimmanenten Zwecke, planwidrig unvollständig ist. Das kann ausnahmsweise auch dann der Fall sein, wenn das Gesetz zwar eine nach ihrem Wortlaut anwendbare Regelung enthält, diese aber nach ihrem Sinn und Zweck nicht passt oder sich in dem System, in dem sie als Teil enthalten ist, als Fremdkörper erweist (vgl. BSG, Urteil vom 21.10.1998, Az. B 9 V 7/98 R). Solche Systemwidrigkeiten können auch nachträglich durch Gesetzesänderungen eintreten.

a. Nach dem durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz - GKV-WSG) vom 26.03.2007 (BGBl. I S. 378) mit Wirkung vom 01.01.2009 neu eingefügten Absatz 5 a des § 5 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) ist der Kläger als Bezieher von Leistungen nach dem SGB II von der Versicherungspflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 a SGB V ausgenommen, weil er unmittelbar vor dem Bezug von ALG II privat krankenversichert war. Der Kläger ist also im Gegensatz zur bis dahin geltenden Rechtslage nicht mehr automatisch über den Bezug von Leistungen nach dem SGB II in der gesetzlichen Krankenkasse (GKV) pflichtversichert. Auch ein freiwilliger Beitritt in die gesetzliche Krankenversicherung ist dem Kläger gemäß § 9 Abs.1, Abs.2 SGB V nicht möglich. Die privaten Krankenversicherungsunternehmen sind vor diesem Hintergrund seit dem 01.01.2009 gemäß § 193 Abs. 5 Versicherungsvertragsgesetz (VVG) zur Bereitstellung eines uneingeschränkten Versicherungsschutzes (Basistarif) verpflichtet, der den Umfang und das Leistungsangebot der gesetzlichen Krankenversic...

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