Entscheidungsstichwort (Thema)

Arbeitnehmerüberlassung. Beitragsforderung im Rahmen der Entleiherhaftung. Beweislast für bestehende Beitragsforderung. Befreiung von der Bürgschaftsverpflichtung nach Aufgabe einer Sicherheit. Verpflichtung zur Prüfung der Seriosität des Verleihers

 

Orientierungssatz

1. § 28e Abs 2 S 1 SGB 4 setzt die bestehende Beitragsforderung als ungeschriebene Voraussetzung für die Bürgenhaftung des Entleihers voraus. Damit handelt es sich zwar um ein forderungsbegründendes Tatbestandsmerkmal, für das nach den allgemeinen Beweislastregeln grundsätzlich die Einzugsstelle die Beweislast trägt. Ist ein derartiges Tatbestandsmerkmal auch nach Ausschöpfen aller Ermittlungsmöglichkeiten nicht feststellbar, geht dies regelmäßig zu Lasten dessen, der sich auf das bestehende Tatbestandsmerkmal beruft (vgl BSG vom 29.4.1976 - 12/3 RK 66/75 = SozR 2200 § 1399 Nr 4).

2. Bereits nach den zivilrechtlichen Bestimmungen des § 776 BGB besteht keine allgemeine Sorgfaltspflicht des Gläubigers gegenüber dem Bürgen in dem Sinne, dass er besonders frühzeitig Vermögen verwerten oder Sicherheiten schaffen oder realisieren müsse. Dies gilt in gleicher Weise für die Bürgenhaftung des Entleihers nach dem AÜG.

3. Der Entleiher hat eine Verpflichtung, stets die Seriosität des Verleihers zu überprüfen (vgl BSG vom 7.3.2007 - B 12 KR 11/06 R = SozR 4-2400 § 28e Nr 1). Dem widerspricht es, wenn er einseitig der Einzugsstelle Pflichtverletzungen vorwirft, nach seinem eigenen Vorbringen jedoch keinerlei Maßnahmen getroffen und keinen Versuch unternommen hat, einen Überblick über die wirtschaftlichen Verhältnisse des Verleihers zu erhalten und im Blick zu behalten.

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Lübeck vom 7. März 2007 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 2.762,94 EUR festgesetzt.

 

Tatbestand

Die Klägerin wendet sich gegen eine Beitragsforderung, die die Beklagte im Rahmen der Entleiherhaftung bei einer Arbeitnehmerüberlassung erhebt.

Die Klägerin hatte in der Zeit vom 27. August 2002 bis 30. April 2003 die Beschäftigte N. E. von der Verleiharbeitsfirma A. Zeitarbeit GmbH (Verleiherin) entliehen. Die Verleiherin hatte die Gesamtsozialversicherungsbeiträge seit August 2002 (Beiträge für Juli) nicht oder verspätet gezahlt. Insgesamt stehen Forderungen in Höhe von ca. 50.000,00 EUR aus. Die Beklagte hatte mit zwei Bescheiden vom 29. November 2002 die Beiträge für Juli, August und Oktober 2002 angemahnt, mit zwei Bescheiden vom 2. Mai 2003 die Beiträge für März 2003, mit zwei Bescheiden vom 7. Mai 2003 die Beiträge für August, Oktober, November und Dezember 2002 sowie Januar und März 2003 und mit zwei Bescheiden vom 19. Mai 2003 die Beiträge für April 2003. Mit Beschluss vom 1. Juni 2003 hatte das Amtsgericht München das Insolvenzverfahren über das Vermögen der A. Zeitarbeit GmbH eröffnet. Nach Angaben der Beklagten hatte die Verleiherin die Beiträge für September 2002 am 7. November 2002 gezahlt und am 8. August 2002 mit der Beklagten eine Tilgungsvereinbarung über wöchentlich 2.000,00 EUR zusätzlich zu den laufenden Beiträgen abgeschlossen.

Die Beklagte meldete die ausstehende Beitragsforderung zur Insolvenztabelle an. Mit Haftungsbescheid vom 20. August 2004 nahm sie die Klägerin im Rahmen der Entleiherhaftung in Anspruch und forderte die Gesamtsozialversicherungsbeiträge für die Arbeitnehmerin E. für den Zeitraum vom 1. Oktober 2002 bis 30. April 2003 in Höhe von 3.188,86 EUR. Mit ihrem Widerspruch vom 30. August 2004 machte die Klägerin geltend, die Höhe der Beitragsforderung sei nicht nachgewiesen, insbesondere fehlten Angaben über Tilgungen durch Zahlungen des Arbeitgebers und durch Verrechnung von Forderungen anderer Schuldner. Die Forderungsaufstellung sei nicht ordnungsgemäß. Sie mache die Einreden geltend, die jedem Bürgen einer Forderung zuständen. Die Klägerin ging davon aus, dass ein Eintrag der Forderung zur Insolvenztabelle nicht erfolgt sei und führte hierzu aus, die Beklagte habe bewusst auf den Rangvorbehalt und damit ein Recht verzichtet, das auf sie - die Klägerin - übergegangen wäre. Damit sei sie von ihrer Haftung befreit. Im Übrigen seien die Mahnungen nicht belegt und der Ablauf der Mahnfrist nicht nachgewiesen.

Mit Schreiben vom 20. Oktober 2004 reduzierte die Klägerin die Beitragsforderung auf 2.762,94 EUR und berücksichtigte damit Beitragszahlungen der Verleiherin für Februar 2003. Die Beitragsforderung beziehe sich nur auf das Entgelt der Arbeitnehmerin E..

Die Klägerin rügte weiterhin, dass trotz der vorgelegten Unterlagen die Forderung und die Tilgungen nicht erkennbar seien. Solange die Mahnungen und der Ablauf der Mahnfrist nicht nachgewiesen seien, habe sie ein Leistungsverweigerungsrecht. Im Übrigen habe die Beklagte die ausstehenden Beitragsforderungen verspätet geltend gemacht und angemahnt, daraus stehe ihr eine Einrede zu. Die Beklagte hätte zeitnah das Ins...

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