Rz. 12

Wie bei Gesetzen üblich, enthalten die ersten Vorschriften des Ersten Kapitels die Ziele, Programmaussagen und Leistungsgrundsätze. Die Regelungen räumen den Leistungsberechtigten Rechte ein und legen ihnen Pflichten auf. Auf diese Pflichten kann zurückgegriffen werden, wenn keine gebundenen Entscheidungen zu treffen sind, sondern den Jobcentern (§ 6d) Beurteilungsspielräume eröffnet werden. Es ist folgerichtig, dass Ermessensentscheidungen den Zielen und Grundsätzen des Gesetzes folgen müssen. Dagegen kann aus Programmsätzen keine unmittelbare Rechtsfolge abgeleitet werden. Insbesondere können Leistungsberechtigte daraus keine Ansprüche für sich selbst unmittelbar erheben. Dass Leistungsberechtigte alle Möglichkeiten zur Beendigung ihrer Hilfebedürftigkeit ausschöpfen müssen (§ 2 Abs. 1), bedeutet nicht, dass die Grundsicherungsstellen immer dann, wenn nach ihrer Auffassung ein Hilfebedürftiger eine Möglichkeit nicht, nicht ausreichend oder nicht nachdrücklich genug wahrnimmt, entsprechende Leistungskürzungen vornehmen oder Sanktionen feststellen. Es ist vielmehr im Einzelfall zu prüfen, ob eine der Vorschriften mit materiellem Inhalt eine Obliegenheit des Leistungsberechtigten enthält, gegen die er verstößt oder verstoßen hat, und falls das zu bejahen ist, ob das Gesetz für dieses konkrete Verhalten Sanktionen oder andere Rechtsfolgen vorsieht. Hierbei ist insbesondere an die §§ 11 bis 13 (Anrechnung von Einkommen und Berücksichtigung von Vermögen nach dem Gesetz und der ­Alg II–V) sowie die §§ 31 ff. (Leistungskürzungen) und §§ 34 bis 34b (Ersatzansprüche) zu denken. Eine Besonderheit stellt in diesem Zusammenhang § 5 Abs. 3 dar, der es den Leistungsträgern ermöglicht, die Rechtsstellung des Hilfebedürftigen einzunehmen und Leistungen bei einer dritten Stelle für diesen zu beantragen. Seit dem 1.1.2017 dürfen Leistungen versagt oder entzogen werden, solange Leistungsberechtigte gegenüber dem Träger einer vorrangigen, vom Jobcenter beantragten Leistung nicht mitwirken (Ausnahme: Vorzeitige Rente wegen Alters).

 

Rz. 13

Leistungsentziehungen und Leistungsversagen i. S. d. § 66 SGB I sind auch im Übrigen nach dem SGB II zwar nicht grundsätzlich ausgeschlossen, aber in diesem Lichte zu betrachten. Das sinnvollere Instrument ist in diesem Zusammenhang die Eingliederungsvereinbarung (§ 15). Es ist nicht von vornherein von der Hand zu weisen, dass die Eingliederungschancen steigen, je unabhängiger der erwerbsfähige Hilfebedürftige von Leistungen zum Lebensunterhalt nach dem SGB II ist. Dies rechtfertigt es, die Inanspruchnahme von Möglichkeiten zur Verringerung der Hilfebedürftigkeit in die Eingliederungsvereinbarung aufzunehmen. Notfalls kann diese als Verwaltungsakt erlassen werden. Verstöße gegen die Eingliederungsvereinbarung können nach § 31 geahndet werden. Die Weigerung, eine Eingliederungsvereinbarung abzuschließen, stellt seit dem 1.1.2011 keine Pflichtverletzung mehr dar. Damit hat der Gesetzgeber auf die Rechtsprechung der Landessozialgerichte reagiert, die im Hinblick auf die Möglichkeit der Verwaltung, den Inhalt der Eingliederungsvereinbarung auch durch Verwaltungsakt festzulegen, auf Unverhältnismäßigkeit erkannt hatten.

 

Rz. 14

Aus den Leistungsgrundsätzen wird ersichtlich, dass dem Gesetzgeber an 3 Personengruppen besonders liegt, den Jugendlichen unter 25 Jahren, den älteren Erwerbsfähigen ab 58 Jahre und den Migranten, die noch keinen Integrationskurs besucht haben (vgl. § 3 Abs. 2 bis 2b, wobei Abs. 2b wohl zunächst nur durch ein Redaktionsversehen nicht aufgehoben worden ist). Nach wie vor bleibt ersichtlich, dass neben Jugendlichen und älteren Menschen vor allem die Alleinerziehenden in den Mittelpunkt der Bemühungen gerückt werden sollen. Die Grundsicherung für Arbeitsuchende war von Anfang an nicht allein auf die Betreuung Langzeitarbeitsloser ausgelegt. Diese Überlegung ergab sich nur daraus, dass Bezieher der Versicherungsleistung Arbeitslosengeld nach Erschöpfen ihres Anspruchs in die Grundsicherung übergehen. Durch das Gesetz zur Neuausrichtung der arbeitsmarktpolitischen Instrumente ist die Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit als eines der Hauptziele der Arbeitsförderung verankert worden. Damit soll insbesondere der Zugang zur Grundsicherung gebremst werden. Diese Motivation liegt auch dem Zuständigkeitswechsel zur vermittlerischen Betreuung der Alg-Aufstocker durch die Agenturen für Arbeit seit dem 1.1.2017 zugrunde.

 

Rz. 14a

Seit dem 1.8.2016 stellt die Beratung der Leistungsberechtigten das dritte Ziel für Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (neben Eingliederung in Arbeit und Sicherung des Lebensunterhaltes) dar. Die Beratung bezieht sich nicht nur auf die Eingliederung in eine Erwerbstätigkeit, sondern auch auf leistungsrechtliche Angelegenheiten (vgl. im Einzelnen § 14 Abs. 2). Das trägt der Erkenntnis Rechnung, dass viele Leistungsberechtigte sich Bemühungen zur Eingliederung in Arbeit erst zuwenden, wenn ihre leistungsrechtlichen Ansprüche geklärt und zuerkann...

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