Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialgerichtliches Verfahren. Berufungszulassung im schriftlich niedergelegten Urteilstenor mit nachfolgender Bekanntgabe des Urteils ohne Zulassung der Berufung. Belehrung über nicht statthaftes Rechtsmittel. keine Umdeutung einer Nichtzulassungsbeschwerde in Berufung. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Jahresfrist. höhere Gewalt. Bindung an Rechtsauffassung des Landesverfassungsgerichts. Divergenz. Revisionszulassung

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann nicht in eine Berufung umgedeutet werden.

2. Ist über ein nicht statthaftes Rechtsmittel belehrt worden, steht dies dem Fall gleich, dass fälschlich darüber belehrt worden ist, es sei kein Rechtsbehelf gegeben; die Jahresfrist findet keine Anwendung (§ 66 Abs 2 S 1 SGG; Anschluss an BVerwG vom 25.6.1985 - 8 C 116.84 = BVerwGE 71, 359; BFH vom 31.1.2005 - VII R 33/04 = BFHE 208, 350; BSG vom 14.12.2006 - B 4 R 19/06 R = SozR 4-3250 § 14 Nr 3).

3. Ist die Nichtzulassungsentscheidung des LSG durch eine Entscheidung eines Landesverfassungsgerichts wegen Willkür aufgehoben worden, ist das LSG an die darin zum Ausdruck gekommene Rechtsauffassung, die Berufung sei vom SG zugelassen worden, auch dann gebunden, wenn die Auffassung des Landesverfassungsgerichts von einem Urteil des BSG abweicht. Das LSG ist aber in diesem Fall verpflichtet, die Revision zuzulassen.

4. Ein gefällter, aber nicht bekanntgegebener Tenor (hier: Berufungszulassung) bleibt ein nach außen unbeachtliches Internum (Anschluss an BSG vom 14.12.1978 - 2 RU 23/77 = SozR 1500 § 124 Nr 5). Eine nachträgliche Abänderung des bekanntgegeben Tenors ist ausgeschlossen.

5. Soweit eine offenbare Unrichtigkeit iS des § 138 SGG in Betracht kommt, darf im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren das LSG die Korrektur nicht von Amts wegen vornehmen, weil ansonsten § 144 Abs 2 Nr 3 SGG umgangen würde, wonach ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensfehler vom Beschwerdeführer geltend zu machen ist.

 

Tenor

I. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Chemnitz vom 19. November 2007 sowie der Bescheid der Beklagten vom 22. März 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26. August 2005 abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger entsprechend ihrem Anerkenntnis durch Schreiben vom 07. Juni 2010 und 22. September 2010 sowie in der mündlichen Verhandlung vom 03. November 2010 einen Betrag in Höhe von 157,25 EUR zu zahlen.

II. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

III. Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen.

IV. Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger verlangt von der Beklagten die Erstattung von Reise- und Bewerbungskosten für ein Vorstellungsgespräch in Großbritannien.

Der am … geborene Kläger absolvierte nach Ablegung der Reifeprüfung eine Ausbildung als medizinisch-technischer Radiologieassistent. Nach Beendigung eines befristeten Arbeitsverhältnisses in der Schweiz meldete er sich bei der Beklagten ab 01.01.2005 arbeitslos. Er verfügte zu diesem Zeitpunkt in seinem erlernten Beruf sowohl über Berufserfahrung als auch über eine Zulassung, seinen Beruf in Großbritannien und der Schweiz auszuüben.

Am 17.02.2005 stellte der Kläger bei der Beklagten einen “Antrag auf Gewährung von Reisekosten„ zu einem Vorstellungsgespräch am 24./25.02.2005 im H… H…, ... Road, U., Middlesex, UK. Seinem am 25.02.2005 unterzeichneten und am 10.03.2005 bei der Beklagten eingegangenen förmlichen Antrag fügte er Nachweise über die ihm entstandenen Fahrkosten bei:

1. einen Nachweis über Kosten von 82,10 EUR für einen Flug mit Ryanair von Berlin Schönefeld nach London Stansted und zurück,

2. einen Zahlungsbeleg über 6,00 GBP für die Benutzung eines öffentlichen Verkehrsmittels am 24.02.2005 vom Flughafen zum Ort des Vorstellungsgesprächs,

3. einen Zahlungsbeleg über 10,00 GBP für die Benutzung eines Taxis für eine am 25.02.2005 um 04.05 Uhr durchgeführte Fahrt vom Ort des Vorstellungsgesprächs zum Flughafen.

Ferner machte er einen Betrag von 20,00 EUR für eine Mitfahrgelegenheit für den Weg von seiner damaligen Wohnung in R… nach Berlin und zurück geltend. Die Reise habe am 24.02.2005 um 5.00 Uhr begonnen und am 25.02.2005 um 14.00 Uhr geendet.

Mit Bescheid vom 22.03.2005 lehnte die Beklagte den Antrag auf Erstattung von Reisekosten mit der Begründung ab, die §§ 45 und 46 Drittes Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) böten keine rechtliche Grundlage für die Gewährung von Reisekosten ins Ausland. Hiergegen legte der Kläger bei der Beklagten am 11.04.2005 Widerspruch ein, den er mit E-Mail vom 25.06.2005 begründete. Der Anwendungsbereich der §§ 45 und 46 SGB III sei nicht auf das Bundesgebiet beschränkt. Mit Widerspruchsbescheid vom 26.08.2005 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Die Gewährung von Reisekosten nach § 45 SGB III komme nicht in Betracht, da diese Leistung nur gezahlt werden könne, wenn die Arbeitsaufnahme im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches er...

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