Entscheidungsstichwort (Thema)

Sozialhilfe für Deutsche im Ausland. Leistungsausschluss. Ausnahme bei unabweisbarer außergewöhnlicher Notlage. Unzumutbarkeit der Rückkehr. Anforderungen an den Ausnahme- bzw Hinderungsgrund. Verfassungsmäßigkeit

 

Leitsatz (amtlich)

1. Gesundheitliche Beeinträchtigungen stehen einer Rückführung nur entgegen, wenn eine wegen der Schwere der Erkrankung erforderliche längerfristige Aufnahme in eine stationäre Einrichtung oder aber das Ausmaß der Pflegebedürftigkeit eine Heimkehr objektiv unmöglich oder unzumutbar machen. Allein eine - vorliegend ohnehin nicht nachvollziehbar begründete - Reiseunfähigkeit reicht mithin als Hinderungsgrund iS des § 24 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 12 nicht aus.

2. Den schützenswerten Interessen des Hilfesuchenden wird dadurch Rechnung getragen, dass § 24 Abs 1 S 2 Nrn 1 bis 3 SGB 12 Ausnahmegründe statuiert, bei deren vorliegen eine Rückkehr ins Inland nicht zugemutet wird. Selbst wenn aber diese Hinderungsgründe eng formuliert sind und deshalb Fälle denkbar sein könnten, in denen über diese Gründe hinaus dennoch eine Heimreise zunächst unmöglich oder unzumutbar erscheint, wird der Hilfesuchende im Ausland in seiner Not nicht allein gelassen, weil insoweit - freilich zeitlich begrenzt - Hilfeleistungen nach § 5 Konsulargesetz (juris: KonsG) in Betracht kommen können.

 

Orientierungssatz

Verfassungsrecht ist durch die gesetzgeberische Entscheidung, Sozialhilfe an Deutsche im Ausland nur noch in unabweisbaren außergewöhnlichen Notlagen zu gewähren, nicht verletzt (vgl LSG Stuttgart vom 25.2.2010 - L 7 SO 5106/07 = ZFSH/SGB 2010, 353).

 

Tenor

I. Der Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 3. November 2010 wird aufgehoben. Der Antrag des Antragstellers vom 27. Oktober 2010, den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller ab dem 01. November 2010 bis vorläufig 30. April 2011 Sozialhilfe im Ausland zu gewähren, wird abgelehnt.

II. Außergerichtliche Kosten in beiden Rechtszügen sind nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Die Beteiligten streiten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes um die Gewährung von Sozialhilfe für einen in Costa Rica lebenden deutschen Staatsangehörigen.

Der 1953 geborene Antragsteller und Beschwerdegegner (im Folgenden: Antragsteller) lebt seit 1999 in Costa Rica. Seit Anfang 2000 leidet er an einer schweren Herzerkrankung, wegen der er sich im April 2003 in Deutschland behandeln ließ. Anschließend kehrte er wieder nach Costa Rica zurück. Am 21.08.2009 beantragte er bei der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in San José, Costa Rica Sozialhilfe für Deutsche im Ausland. Den Antragsunterlagen waren mehrere ärztliche Zeugnisse/Stellungnahmen beigefügt, wonach ein Verbleib des Antragstellers in Costa Rica gesundheitsfördernd und lebensverlängernd sei.

Der Antragsgegner lehnte den Antrag mit Bescheid vom 05.11.2009 unter Hinweis auf § 24 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) ab. Der Antragsteller sei nicht gehindert, das Aufenthaltsland zu verlassen und nach Deutschland zurückzukehren. Den dagegen eingelegten Widerspruch wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 15.03.2010 zurück.

Am 03.05.2010 hat der Antragsteller beim Sozialgericht Leipzig (SG) Klage erhoben sowie einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Zunächst habe er von seinen Ersparnissen gelebt. Diese seien aber im Sommer 2009 zur Neige gegangen. Dann habe er seine Möbel verkauft und im August 2009 noch ca. 600,00 US-Dollar besessen. Seit Herbst 2009 habe er keinen festen Wohnsitz mehr und wohne teilweise bei Bekannten für wenige Tage, teilweise campiere er im Freien. Er sei in der sozialen Hilfskasse Costa Ricas krankenversichert. Darüber werde aber nur eine ärztliche Grundversorgung gewährleistet. Der Antragsteller hat ein ärztliches Attest vom 09.04.2010, unterzeichnet von Dr. A1, vorgelegt, wonach er an erweiterter Myokardiopathie ischämischer Genese leide, weshalb ihm in Deutschland ein Herzdefibrillator eingesetzt worden sei. Die Herzleistung sei um 15 % gemindert. Er sei dadurch stark behindert und leide infolge seiner Krankheit unter einer starken Minderung seiner Lebensqualität sowie unter Depressionen und konstanten Angstzuständen. Ihm sei bereits eine Herztransplantation nahegelegt worden, doch auf Grund seines gegenwärtig bestehenden Herzleidens und seiner beeinträchtigten emotionalen Verfassung könne er mit keinem Verkehrsmittel in sein Heimatland Deutschland reisen.

Mit Beschluss vom 10.05.2010 hat das SG den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller ab 03.05.2010 bis vorläufig 31.10.2010 Sozialhilfe im Ausland zu gewähren. Zwar sei eine längerfristige stationäre Betreuung in einer Einrichtung oder Schwere der Pflegebedürftigkeit im Sinne des § 24 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII nicht gegeben. Die Vorschrift sei jedoch grundrechtsorientiert auszulegen. Weil vorliegend ein Transport des Antragstellers nach Deutschland lebensbedrohlich sei, sei der Antragsteller auf Grund der Schwere der Pflegebedürftigkeit nicht...

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