Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Auskunftspflicht des Partners. keine Pflicht zur Ausfüllung der Anlage WEP oder zur Vorlage von Einkommensnachweisen. Auskunftsverlangen als einheitlicher Verwaltungsakt. keine Teilrechtswidrigkeit. Bedarfsgemeinschaft. Mitwirkungspflicht. Informationelle Selbstbestimmung. Anhörung. Geltungserhaltende Reduktion

 

Leitsatz (amtlich)

1. Aus § 60 Abs 4 S 1 Nr 1 SGB 2 ergibt sich keine Grundlage dafür, Auskünfte von dem Partner des Antragstellers oder Leistungsberechtigten abzuverlangen, die in keinem Zusammenhang zu seinem Einkommen oder Vermögen stehen. Deshalb kann von dem Partner nicht verlangt werden, den Vordruck für die Anlage WEP zum Leistungsantrag auszufüllen und beim Träger der Grundsicherungsleistungen einzureichen.

2. § 60 Abs 4 S 1 SGB 2 ermächtigt nicht zur Abforderung von Unterlagen (wie Belegen über die Höhe der Einkünfte), sondern nur zur Einholung von Auskünften durch den Partner.

3. Auskunftsverlangen sind in der Regel als einheitliche Verwaltungsakte anzusehen, bei denen eine Teilrechtswidrigkeit ausscheidet. Somit scheidet in der Regel auch eine geltungserhaltende Reduktion aus, wenn zum Teil Auskünfte oder Handlung ohne gesetzliche Grundlage verlangt werden.

 

Normenkette

SGB II § 60 Abs. 4 S. 1 Nr. 1, § 7 Abs. 3 Nr. 3, § 9 Abs. 1, 2 S. 1, § 44b Abs. 1 S. 2; SGB X § 21 Abs. 1, § 24 Abs. 1, § 40 Abs. 4, § 41 Abs. 1 Nr. 3; SGB XII § 43 Abs. 3, § 117 Abs. 1; SGB III § 315; GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1; SGG § 197a

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 3. August 2012 und der Bescheid des Beklagten vom 3. Februar 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 28. Juli 2011 werden aufgehoben.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Verpflichtung des Klägers, dem Beklagten Auskunft zu erteilen und Nachweise über sein Einkommen vorzulegen.

Der 1984 geborene Kläger wohnte in der Zeit vom 1. August 2008 bis zum 27. Oktober 2011 zusammen mit der 1988 geborenen Zeugin M. X. (im Folgenden: Zeugin).

Die Zeugin hatte am 18. August 2008 die Gewährung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) bei dem Rechtsvorgänger des Beklagten beantragt. Dem Antrag beigefügt war ein Mietvertrag mit Mietbeginn am 1. August 2008 für eine 60 qm große Zwei-Raum-Wohnung unter der Adresse W. 29 in N. Ausweislich der Angaben im Mietvertrag waren Mieter die Zeugin (mit vormaliger Wohnung in der J. 49 in N.) und der Kläger (mit vormaliger Wohnung in der N. Straße 4 in F.). In die nicht gesondert unterschriebene "Anlage HG-Feststellung des Umfangs der Hilfebedürftigkeit bei Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft" waren Name und Geburtsdatum des Klägers eingetragen. Die Zeugin verfügte über Einkommen aus Kindergeld in Höhe von monatlich 154,00 EUR sowie seit Dezember 2006 über Einkommen aus Erwerbstätigkeit in monatlich unterschiedlicher Höhe aus einer geringfügig entlohnten Beschäftigung. Sie hatte zum 1. August 2008 eine Rentenversicherung als Altersvorsorgevertrag im Sinne des Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetzes abgeschlossen. Bezugsberechtigte sollten die Zeugin oder ihre Erben sein. Der Rechtsvorgänger des Beklagten bewilligte der Zeugin mit Bescheid vom 24. September 2008 wegen des schwankenden Einkommens vorläufig Leistungen nach dem SGB II für die Zeit ab dem 18. August 2008 bis zum 28. Februar 2009.

Am 17. November 2008 nahm die Klägerin eine Beschäftigung als Nageldesignerin/Kosmetikerin auf. Die Auszahlung des Lohns von 500,00 EUR brutto/423,41 EUR netto erfolgte im Folgemonat. Ab dem 1. März 2009 erzielte die Klägerin aus dieser Tätigkeit einen monatlichen Lohn von 630,00 EUR brutto/517,96 EUR netto. Die Kündigung erfolgte zum 31. August 2009. Am 7. September 2009 schloss die Zeugin einen bis zum 18. Dezember 2009 befristeten Arbeitsvertrag als Nageldesignerin. Die Tätigkeit sollte als Minijob mit einem Festlohn von 390,40 EUR/monatlich erfolgen. Die Auszahlung der Vergütung war für den Folgemonat vereinbart. Ab dem 1. Dezember 2009 war die Zeugin nicht mehr abhängig beschäftigt, sondern selbständig mit einem mobilen Kosmetik- und Nagelstudio tätig. In diesem Zusammenhang erwarb die Zeugin mit von dem Beklagten ausgereichten Mitteln einen Pkw, der am 12. Dezember 2009 auf den Kläger zugelassen wurde.

In ihrem Weiterbewilligungsantrag auf Leistungen nach dem SGB II gab die Zeugin am 22. Januar 2009 an, der Kläger lebe mit ihr in einer Bedarfsgemeinschaft. Daraufhin forderte der Rechtsvorgänger des Beklagten die Zeugin unter anderem auf, Nachweise zum Einkommen des Klägers einzureichen. Die Zeugin erklärte am 26. März 2009, sie wohne zwar mit dem Kläger zusammen, eine Beziehung führe sie mit ihm aber nicht mehr. Jeder verdiene sein eigenes Geld und gebe es auch für sich aus. Mit Bescheid vom 3. April 2009 bewilligte der Rechtsv...

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