Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen der Anerkennung eines durch Vinylchlorid verursachten Leberkarzinoms als Berufskrankheit nach Nr. 1302 BKV

 

Orientierungssatz

1. Die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1302 BKV setzt den Nachweis einer berufsbedingten Erkrankung durch Halogenkohlenwasserstoffe voraus.

2. Vinylchlorid ist ein Schadstoff i. S. der BK Nr. 1302 BKV. War der Versicherte im Einzelfall mehr als dreißig Jahre lang über mehrere Stunden arbeitstäglich den Einwirkungen von Vinylchlorid ausgesetzt, so sind die arbeitstechnischen Voraussetzungen zur Anerkennung der BK erfüllt.

3. Der hierdurch eingetretene Gesundheitsschaden muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bewiesen sein.

 

Tenor

Das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 5. Februar 2001 wird insoweit aufgehoben, als die Beklagte zur Erbringung von Leistungen an die Klägerin verurteilt worden ist.

Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

Die Beklagte hat der Klägerin die Kosten aller Rechtszüge zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Die Beteiligten streiten darüber, ob bei dem am ... 1929 geborenen und am ... 1996 verstorbenen H. S. (im Folgenden: der Versicherte) eine Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 1302 der Berufskrankheiten-Verordnung (BKV - Erkrankungen durch Halogenkohlenwasserstoffe) vorgelegen hat. Die Klägerin ist die Witwe des Verstorbenen; sie hat zum Zeitpunkt seines Todes mit ihm in einem Haushalt gelebt.

Der Versicherte war von April 1944 bis zum Ende März 1990 als Chemielaborjungwerker, Chemiefacharbeiter, Brigadier, Anlagenfahrer, Meister, Schichtleiter und Technologe im Kombinat VEB B in S. beschäftigt. Im Jahr 1984 war er an einem Kehlkopfkrebs an der rechten Stimmlippe erkrankt. Nach entsprechender Behandlung hatte er weitergearbeitet, bis er im Jahr 1990 wegen einer Herzerkrankung invalidisiert worden war.

1992 hatte der Versicherte die Verwaltungsstelle der Beklagten aufgesucht und die Anerkennung seiner damaligen Kehlkopfkrebserkrankung als Berufskrankheit mit der Begründung beantragt, er sei von 1944 bis 1985 im VEB B. Vinylchlorid ausgesetzt gewesen. Nach Beiziehung des Invalidisierungsgutachtens und der Krankenunterlagen von der B.-AG hatte die Beklagte die Anerkennung einer Berufskrankheit mit Schreiben vom 12. Mai 1992 abgelehnt und zur Begründung angeführt, der angeschuldigte Stoff verursache nach dem medizinischen Erkenntnisstand keinen Kehlkopfkrebs. Der Versicherte hatte diese Entscheidung nicht angefochten.

Von Juli 1996 an stellten sich bei dem Versicherten Oberbauchbeschwerden ein. Er wurde zunächst ambulant behandelt, da er eine stationäre Aufnahme ablehnte (Befundbericht Dr. P. vom 6. Dezember 1996). Am 24. Juli 1996 wurde eine ambulante, kontrastmittelgestützte Computertomographie des Oberbauches angefertigt, welche einen großen Herd im rechten Leberlappen zeigte. Die Assistenzärztin der Radiologie R. vermerkte, es komme differenzialdiagnostisch in erster Linie ein hepatozelluläres Karzinom in Betracht, da klinisch ein Hinweis auf ein entzündliches Geschehen fehle und es keinen Anhaltspunkt für einen Primärtumor anderer Entstehung gebe. Sie empfahl zur differentialdiagnostischen Bestimmung eine Leberbiopsie.

Vom 01. bis zum 24. Oktober 1996 wurde der Versicherte zur Diagnostik im Klinikum M. stationär aufgenommen. Dort wurden die Nieren, die Bauchspeicheldrüse und die Gallenblase mittels Ultraschall untersucht und als unauffällig bezeichnet. Die Leber hingegen wies unklare Herde auf (Befundbericht vom 24. Oktober 1996). Eine computertomographisch gestützte Leberbiopsie ergab ein komplett nekrotisches Gewebe, wobei der Pathologe einen Tumor als Ursache für möglich hielt, welcher aber anhand der Gewebeprobe nicht zu beweisen sei (Bericht des Pathologen Prof. Dr. M. vom 25. Oktober 1996).

Sowohl ambulant am 15. Juli und 22. August 1996 als auch während des Klinikaufenthaltes waren außerdem Magenspiegelungen vorgenommen worden. Der Befund vom 15. Juli 1996 zeigte einzelne Erosionen in der Magenhöhle und im ersten Abschnitt des Zwölffingerdarms. Eine Biopsie der Magenschleimhaut ergab eine feinfleckige Besiedelung durch Helicobacter pylori und eine geringgradig chronisch-aktive Gastritis mit beginnender Gewebeumbildung ohne Anzeichen einer Wucherung (intestinale Metaplasie ohne proliveraten Prozess, Befundbericht des Pathologen Dipl. Med. T. vom 17. Juli 1996). Der Befund vom 22. August 1996 zeigte eine geringgradig vernarbte Magenschleimhaut ohne bösartigen Befund und ohne Nachweis von Helicobacter pylori. Die Gastroskopie in der Klinik am 4. Oktober 1996 ergab keinen von der Vorbeurteilung abweichenden Befund.

Nachdem der Versicherte vorübergehend nach Hause entlassen worden war, wurde er am 25. November 1996 wegen einer zunehmenden Gelbsucht, Kräfteverfalls und einer Bauchwassersucht erneut in demselben Krankenhaus aufgenommen (Befundbericht vom 10. Januar 1997). Es zeigte sich im Ultraschall eine von einer vergrößerten Leber ausgehende Gallengangsstauu...

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