Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Anwendung nicht nur bei tatsächlichem Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche des Unionsbürgers. Europarechtskonformität des Leistungsausschlusses. Ausschluss auch von Sozialhilfeleistungen. Verfassungsmäßigkeit. Gewöhnlicher Aufenthalt. Erwerbsfähigkeit. Familienangehöriger. Existenzminimum

 

Leitsatz (amtlich)

Das Aufenthaltsrecht zur Arbeitsuche für Unionsbürger muss nicht tatsächlich (noch) zustehen, um den Ausschluss von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gem § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 zu begründen. Es reicht aus, dass der Betroffene als Arbeitsuchender Leistungen nach dem SGB 2 beantragt hat und ein Aufenthaltsrecht allein zur Arbeitsuche in Betracht kommt und sich nicht aus anderen Gründen ergeben kann.

 

Orientierungssatz

1. Der Leistungsausschluss des § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 ist europarechtskonform. Nach dem Urteil des EuGH vom 11.11.2014 - C 333/13 = NJW 2015, 145 können Unionsbürger, die kein Recht auf Aufenthalt im Aufnahmestaat nach der EGRL 38/2004 geltend machen können, sich schon nicht auf das Diskriminierungsverbot des Art 24 Abs 1 EGRL 38/2004 berufen. Art 7 EGRL 38/2004, wonach nicht erwerbstätige Unionsbürger ein Aufenthaltsrecht nur haben, wenn sie sich selbst unterhalten können, soll nicht erwerbstätige Unionsbürger daran hindern das soziale Sicherungssystem des Aufnahmemitgliedstaats zur Bestreitung des Lebensunterhalts in Anspruch zu nehmen. Eine unangemessene Inanspruchnahme der Sozialhilfeleistungen des Aufnahmestaats durch Unionsbürger, die Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten sind, soll verhindert werden.

2. Unabhängig von § 21 SGB 12 ist ein Anspruch auf Sozialhilfe für ausländische Staatsangehörige, die eingereist sind, um Sozialhilfe zu erlangen, oder deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, gem § 23 Abs 3 S 1 SGB 12 ausgeschlossen.

3. Ein Leistungsanspruch kann auch nicht aus dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums gem Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG hergeleitet werden.

 

Normenkette

SGB II § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2, § 8 Abs. 2; FreizügG/EU § 2 Abs. 1 Nr. 1a, Abs. 2 Nrn. 1, 6, § 3 Abs. 2 Nr. 1; RL 38/2004 Art. 24; SGB I § 30 Abs. 3 S. 2; SGB XII §§ 21, 23 Abs. 3 S. 1; GG Art. 1 Abs. 1; SGG § 86b Abs. 2

 

Tenor

Die Beschwerde wird zurückgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten. Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt K. bewilligt.

 

Gründe

I. Die Beteiligten streiten im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahrens darüber, ob die Antragstellerin Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende) SGB II - hat.

Die am .. 1996 geborene Antragstellerin ist tschechische Staatsangehörige. Sie stellte am 25. August 2014 bei dem Antragsgegner einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach SGB II. Sie legte eine Anmeldebescheinigung der Stadt H. vor, wonach sie am 19. August 2014 aus S.-B. nach H. verzogen war. Nach der Anmeldebestätigung der Stadt S.-B. hatte die Antragstellerin bei ihrer Anmeldung dort angegeben, am 6. Mai 2014 aus Tschechien zugezogen zu sein. Die Antragstellerin gab gegenüber dem Antragsgegner an, über keine Einkünfte und kein Vermögen zu verfügen. Weiter gab sie an, gesundheitlich in der Lage zu sein, eine Tätigkeit von mindestens drei Stunden täglich auszuüben.

Nach ihren Angaben lebt die Antragstellerin zusammen mit ihrer Schwester K. (die das Parallelverfahren L 2 AS 16/15 B ER geführt hat) derzeit provisorisch mit in der Wohnung einer weiteren Schwester, die in H. Leistungen zu Sicherung des Lebensunterhalts bezieht.

Der Antragsgegner lehnte den Antrag auf Leistungsgewährung mit Bescheid vom 13. November 2014 mit der Begründung ab, die Antragstellerin habe ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland alleine zu Zwecke der Arbeitsuche und sei deshalb von Leistungen zu Sicherung des Lebensunterhalts ausgeschlossen.

Hiergegen legte die Antragstellerin vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten am 26. November 2014 Widerspruch ein und führte aus, dass sie sich nicht zum Zweck der Arbeit-suche in Deutschland aufhalte. Deshalb falle sie nicht unter die Ausschlussregelung im SGB II.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27. November 2014 wies der Antragsgegner den Wider-spruch der Antragstellerin zurück.

Am 24. November 2014 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Halle (SG) einen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Zur Begründung hat sie darauf verwiesen, dass der Ausschlusstatbestand beim Aufenthalt zum Zwecke der Arbeitsuche auf sie keine Anwendung finde.

Mit Beschluss vom 22. Dezember 2014 hat das SG den Antrag abgelehnt: Es greife der gesetzliche Ausschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II. Die Antragstellerin habe nicht glaubhaft gem...

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