Entscheidungsstichwort (Thema)

Voraussetzungen eines Anspruchs auf Gewährung von Rente wegen voller Erwerbsminderung

 

Orientierungssatz

1. Kann der Versicherte auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leichte Arbeiten sechs Stunden täglich unter qualitativen Leistungseinschränkungen verrichten, so hat er keinen Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung nach § 43 SGB 6.

2. Liegt weder eine spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, so ist der Rentenversicherungsträger nicht verpflichtet, einen konkreten Arbeitsplatz zu benennen.

3. Der Katalogfall der Wegeunfähigkeit des Versicherten liegt nicht vor, wenn dieser noch eine Wegstrecke von jeweils 500 m viermal täglich in weniger als 20 Minuten zurücklegen kann.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 18.07.2019; Aktenzeichen B 13 R 219/18 B)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I.

Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob die Klägerin einen Anspruch auf Weitergewährung einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit über den 31. Dezember 2012 hinaus nach dem Sechsten Buch des Sozialgesetzbuches (Gesetzliche Rentenversicherung - SGB VI) hat.

Die am ... 1959 geborene Klägerin absolvierte nach ihrer zehnjährigen Schulausbildung von 1976 bis 1978 eine nicht abgeschlossene Lehre zur Facharbeiterin für Automatisierte Produktion. Anschließend arbeitete sie bis 1981 in der Produktion in einer Zuckerfabrik, danach von 1982 bis 2003 als Postfacharbeiterin bei der Deutschen Post, anschließend von 2004 bis 2009 als Tierpflegerin in einem Tierheim und schließlich von 2009 bis 2013 fünf bis sechs Stunden täglich als Servicekraft in einem Altenheim.

Nachdem die Klägerin mehrfach erfolglos Anträge auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit gestellt hatte, bewilligte ihr die Beklagte schließlich nach einem Gutachten der Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Dr. G. vom 28. Februar 2011 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung auf Zeit vom 1. Januar 2011 bis zum 31. Dezember 2012.

Vom 15. Februar bis zum 7. März 2012 war die Klägerin zur stationären Behandlung in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie im H.-Klinikum W. GmbH. In der diesbezüglichen Epikrise vom 19. April 2012 sind folgende Diagnosen genannt:

Rezidivierend depressive Störung, gegenwärtig schwere Episode.

Anpassungsstörung.

Abhängigkeitssyndrom durch Opioide.

Die Klägerin sei mit einem Einweisungsschein ihrer behandelnden Fachärztin für Nervenheilkunde Dr. K. auf die Station gekommen, weil sie dort suizidale Gedanken geäußert habe. Während der letzten zwei ambulanten Behandlungen habe Dr. K. bemerkt, dass Suizidgedanken vorhanden seien und auf die stationäre Aufnahme gedrängt. Beim letzten Termin sei die Tochter der Klägerin mit anwesend gewesen und gemeinsam habe man die Klägerin von der stationären Behandlung überzeugen können. Während der stationären Behandlung habe sich der psychische Zustand gebessert, so dass größere Belastungserprobungen hätten durchgeführt werden können. Diese seien gut gemeistert worden, was das Selbstwertgefühl der Klägerin gestärkt habe. Bezüglich der Opiatabhängigkeit hätten sich Problembewusstsein und Abstinenzmotivation gebessert. Die Klägerin habe einer beginnenden Entgiftungstherapie zugestimmt. Sie habe die Opiate schrittweise reduziert. Die Entlassung aus der stationären Behandlung sei am 7. März 2012 in einem psychisch und körperlich gebesserten Zustand zurück in die Häuslichkeit erfolgt.

Am 31. August 2012 beantragte die Klägerin die Weiterzahlung der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Die Beklagte veranlasste ein Gutachten durch den Facharzt für Neurologie/Psychiatrie Dr. E., der die Klägerin am 10. Dezember 2012 untersuchte. In seinem Gutachten vom 12./13. Dezember 2012 stellte Dr. E. folgende Diagnosen:

Leichtgradige rezidivierende depressive Episode.

Panikattacken.

Cervicocephales Syndrom.

Lendenwirbelsäulen-Syndrom.

Die Klägerin sei grundsätzlich in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt. Sie arbeite aber als Servicekraft sechs Stunden täglich, so dass er - der Gutachter - meine, dass die Klägerin diese Tätigkeit zum gegenwärtigen Zeitpunkt weiter fortführen könne. Beim Betrachten der Langzeitanamnese müsse gesagt werden, dass es bei der Klägerin immer wieder zu einer Verschlechterung der depressiven Symptomatik kommen könne und somit auch zu einer zunehmenden Beeinträchtigung des Leistungsvermögens. Andererseits sei die Klägerin zum gegenwärtigen Zeitpunkt aber nicht in ständiger nervenärztlicher Behandlung. Die Beklagte hat darüber hinaus einen Befundbericht des behandelnden Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. G. vom 11. Juni 2013 eingeholt und den Weitergewährungsantrag schließlich mit Bescheid vom 1. Februar 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Januar 2014 abgelehnt.

Dagegen hat die Klägerin am 10. Februar 2014 Klage beim Sozialgericht Magdeburg erhoben und ihr Begehren weiterverfolgt.

Vom 5. März bis zum 9. April 2...

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