Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsversagung wegen fehlender Hilfebedürftigkeit. Anspruch auf vorrangige Leistungen. Pflicht zur Inanspruchnahme der vorzeitigen Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres

 

Leitsatz (amtlich)

1. § 9 Abs 1 SGB 2 bringt zum Ausdruck, dass - steuerfinanzierte - Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB 2 nicht für denjenigen erbracht werden sollen, der sich nach seiner tatsächlichen Lage selbst helfen kann. Leistungsansprüche gegenüber Dritten, insbesondere Trägern anderer Sozialleistungen, schließen die Hilfebedürftigkeit daher dann aus, wenn sie tatsächlich bestehen, ihre Inanspruchnahme zumutbar ist und sie in angemessener Zeit durchsetzbar sind. Dies ist bei einem Anspruch auf vorzeitigen Bezug von Altersrente jedenfalls dann der Fall, wenn der Betroffene das 63. Lebensjahr vollendet hat (§ 12a S 2 Nr 1 SGB 2) und infolge der Abschläge beim vorzeitigen Rentenbezug nicht hilfebedürftig bleibt.

2. "Erhalten" der erforderlichen Hilfe von Trägern anderer Sozialleistungen iS des § 9 Abs 1 SGB 2 setzt keinen tatsächlichen Zufluss voraus. Vielmehr verwendet das SGB 2 den Begriff "erhalten", um den Anspruch auf eine Sozialleistung zu bezeichnen.

3. Verzögert sich die Auszahlung einer vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente durch Umstände, die der Rentenberechtigte nicht zu vertreten hat, kommt zur Sicherung des Lebensunterhalts die Überbrückung durch ein Darlehen des SGB II-Leistungsträgers in Betracht.

 

Normenkette

SGB II § 5 Abs. 3 S. 1, § 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 3, § 9 Abs. 1, § 11 Abs. 1 S. 1, § 12a Sätze 1, 2 Nr. 1, § 24 Abs. 4; SGG § 86b Abs. 2 Sätze 1, 4, Abs. 3; ZPO § 920 Abs. 2; GG Art. 19 Abs. 4

 

Tenor

1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluss des Sozialgerichts Mainz vom 15.7.2015 aufgehoben und der Antrag insgesamt abgelehnt.

2. Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Antragsteller begehrt die Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Erbringung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in bisheriger Höhe über den 28.2.2015 hinaus im Wege der einstweiligen Anordnung.

Der am 1951 geborene Antragsteller erhielt vom Antragsgegner bis zum 28.2.2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II - zuletzt monatlich in Höhe der Regelleistung von EUR 399 nebst einem Mehrbedarf für die Warmwasserbereitung in Höhe von EUR 9,18 (zusammen EUR 408,18) zuzüglich jeweils im Einzelnen nachgewiesener Kosten der Unterkunft und Heizung (z. B. im Januar 2015 EUR 31, d. h. monatlich insgesamt EUR 439,18).

Einen am 11.2.2015 gestellten Antrag auf Weiterbewilligung der Leistungen lehnte der Beklagte durch Bescheid vom 11.6.2015 ab, da der Antragsteller nach Erreichen des 63. Lebensjahrs am 13.11.2014 wegen der Möglichkeit, Altersrente vorzeitig in Anspruch zu nehmen, nicht mehr hilfebedürftig sei. Zuvor hatte der Antragsgegner den Antragsteller mit Schreiben vom 3.12.2014 erfolglos aufgefordert, bei der Deutschen Rentenversicherung Rheinland-Pfalz Altersrente wegen Arbeitslosigkeit zu beantragen und den Antrag dann am 13.1.2015 selbst gestellt. Die Deutsche Rentenversicherung Rheinland-Pfalz versagte die Rentenzahlung mit Bescheid vom 9.6.2015 nach § 66 SGB I wegen einer Verletzung der Mitwirkungspflicht des Antragstellers, nachdem dieser zuvor - sowohl von der Rentenversicherung (Schreiben vom 21.4.2015), als auch vom Antragsgegner (Schreiben vom 3.3.2015), jeweils unter Fristsetzung und Hinweis auf die Folgen einer Verletzung der Mitwirkungspflicht - erfolglos zur Mitwirkung (Einreichung eines ausgefüllten Renten-Antragsformulars nebst dort genannter Unterlagen) aufgefordert worden war. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Altersrente wegen Arbeitslosigkeit und auf Altersrente für langjährig Versicherte sind nach der dem Antragsteller erteilten Rentenauskunft vom 1.10.2014 mit Abschlägen zum 1.12.2014 erfüllt. Die Höhe der Altersrente ab dem 1.5.2017 war dem Kläger mit EUR 622,85 mitgeteilt worden, wobei bei der vorzeitigen Inanspruchnahme zum 1.12.2014 auf die Altersrente wegen Arbeitslosigkeit ein Abschlag von 7,2 % und auf die Altersrente für langjährig Versicherte ein Abschlag von 8,7 % erfolgen würde. Das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen des Rentenanspruchs bestätigte die Deutsche Rentenversicherung dem Antragsgegner nochmals telefonisch am 3.3.2015.

Der Antragsteller lehnte die Mitwirkung an der Rentenantragstellung mehrmals ausdrücklich ab und beantragte stattdessen am 15.6.2015 die Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Weiterzahlung der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II über den 28.2.2015 hinaus.

Nachdem ein Vergleichsvorschlag des Sozialgerichts Mainz vom Antragsteller abgelehnt worden war, verpflichtete das Sozialgericht den Antragsgegner durch Beschluss vom 15.7.2015 im Wege der einstweiligen Anordnung, "dem Antragsteller Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zei...

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