Entscheidungsstichwort (Thema)

Anwendbarkeit des RV/UVAbk POL. Wohnort. gewöhnlicher Aufenthalt. rechtswidrige Abschiebeverfügung. Unerheblichkeit einer möglichen Geschäftsunfähigkeit aufgrund einer diagnostizierten paranoiden Schizophrenie bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthaltes

 

Orientierungssatz

1. Zur Bestimmung des Wohnortbegriffes iS des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über Soziale Sicherheit (juris: SozSichAbk POL) bzw iS des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung (juris: RV/UVAbk POL) und zur damit verbundenen Ermittlung des "gewöhnlichen Aufenthaltes" (vgl BSG vom 9.5.1995 - 8 RKn 2/94, vom 4.11.1998 - B 13 RJ 9/98 R und vom 10.12.2013 - B 13 R 9/13 R).

2. Aufgrund der Maßgeblichkeit der tatsächlichen objektiven Umstände des Aufenthaltes bei der Bestimmung des "gewöhnlichen Aufenthaltes" ist es unerheblich, dass eine Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland durch eine rechtswidrige Abschiebeverfügung motiviert war und damit unfreiwillig erfolgte. Denn für die Frage, wo jemand seinen "gewöhnlichen Aufenthalt" hat, kommt es nicht auf den Domizilwillen des Betroffenen an.

3. Nicht erheblich ist ferner, dass der Versicherte durch ein bei ihm diagnostiziertes Krankheitsbild einer paranoiden Schizophrenie zum Zeitpunkt der Aufenthaltsänderung unter Umständen nicht geschäftsfähig gewesen ist. Denn die Geschäftsfähigkeit der betroffenen Person wird nicht zu den maßgeblichen tatsächlichen Umständen gezählt, die bei der Bestimmung des gewöhnlichen Aufenthalts zu berücksichtigen sind (vgl BSG vom 29.4.2010 - B 9 SB 2/09 R = BSGE 106, 101 = SozR 4-3250 § 2 Nr 2).

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 24.10.2013 wird zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Berechnung seiner Rente wegen voller Erwerbsminderung unter Berücksichtigung des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik Polen über Renten- und Unfallversicherung vom 09.10.1975 (im Folgenden: Abk. Polen RV/UV 1975).

Der am 00.00.1961 geborene, als Vertriebener anerkannte Kläger (Vertriebenenausweis A) siedelte am 27.04.1988 aus Polen in die Bundesrepublik Deutschland über. Am 13.01.1995 erhielt er die deutsche Staatsbürgerschaft.

Die Beklagte gewährte dem an paranoider Schizophrenie erkrankten Kläger mit Bescheid vom 19.08.1998 in der Fassung des Bescheides vom 11.07.2000 ab dem 01.08.1998 eine Rente wegen voller Erwerbsunfähigkeit befristet bis zum 30.09.2002 in Höhe von 1.589,19 DM. Bei der Berechnung dieser Rente wendete sie das Abk. Polen RV/UV 1975 mit der Maßgabe an, dass sowohl deutsche als auch polnische Versicherungszeiten vom 03.07.1979 bis 29.07.1979, 30.08.1979 bis 12.10.1984, 15.10.1984 bis 15.05.1987, 01.08.1987 bis 31.10.1987 und 23.12.1987 bis 30.04.1988 Berücksichtigung fanden.

In der Zeit vom 06.04.1999 bis zum 28.02.2002 befand sich der Kläger zunächst nach Maßgabe des Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten (PsychKG) und sodann aufgrund einer Verurteilung des Landgerichts C. vom 25.09.1996 gemäß § 63 Strafgesetzbuch (StGB) im Westfälischen Zentrum für Forensische Psychiatrie M.

Am 20.07.1999 beantragte er die Entlassung aus der deutschen Staatsangehörigkeit. Die Bezirksregierung E. händigte dem Kläger am 13.11.2000 eine Urkunde vom 03.11.2000 über den Verzicht der deutschen Staatsangehörigkeit aus.

Die Stadt E1. sprach gegenüber dem Kläger am 14.08.2001 eine unbefristete Ausweisungsverfügung aus. Am 28.02.2002 begab sich der Kläger nach Polen, um - nach eigenen Angaben - einer Abschiebehaft zu entgehen. Eine zwangsweise Durchsetzung der Abschiebeverfügung erfolgte nicht. In Polen befand sich der Kläger zunächst in einer psychiatrischen Anstalt in T. Ab April 2002 hielt er sich in H./Polen auf. Seinen Lebensunterhalt bestritt er dort durch deutsche und polnische Rentenleistungen.

Mit Bescheid vom 02.05.2002 hob die Beklagte - nach Anhörung im Schreiben vom 15.03.2002 - den Bescheid vom 24.08.1998 über die Gewährung einer Inlandsrente mit Wirkung ab dem 01.03.2002 mit der Begründung auf, dass der Kläger seinen gewöhnlichen Aufenthalt nach Polen verlegt habe. Gleichzeitig stellte sie eine Auslandsrente auf der Grundlage des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Polen über Soziale Sicherheit vom 08.12.1990 (im Folgenden: Abk. Polen SozSich. 1990) unter Beachtung der deutschen Auslandsvorschriften i.H.v. monatlich 257,02 EUR (01.03.2002-30.06.2002) bzw. 262,56 EUR (ab 01.07.2002) fest. Der Rentenberechnung lagen hierbei ausschließlich deutsche Versicherungszeiten zugrunde.

Mit Bescheid vom 02.04.2003 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25.07.2003 gewährte die Beklagte dem Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von monatlich 262,56 EUR für die Zeit vom 01.10.2002 bis 31.12.2004. Hierge...

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