Entscheidungsstichwort (Thema)

Unvollständigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung wegen fehlendem Hinweis auf Fristwahrung durch Beschwerdeeinlegung beim LSG

 

Orientierungssatz

1. Eine Rechtsmittelbelehrung, die nur darüber belehrt, dass die Beschwerde gegen einen Beschluss des SG bei diesem einzulegen ist, ist unvollständig, wenn nicht auf die Fristwahrung der Beschwerdeeinlegung beim LSG nach § 173 Abs. 2 SGG hingewiesen ist.

2. Trotz der umstrittenen Frage, ob bei der Rechtsbehelfsbelehrung auf die Fristwahrung nach § 173 Abs. 2 SGG hinzuweisen ist, muss dieser Hinweis zum Zweck der Gleichbehandlung erteilt werden, wenn die streitige Frage im betreffenden Bundesland überwiegend bejaht wird.

3. Die Entziehung von Leistungen der Grundsicherung nach § 66 SGB 1 wegen verweigerter Angaben über das Einkommen des Lebensgefährten ist ermessenswidrig, wenn in dem Bescheid keine Erwägungen über die Möglichkeit einer Aufklärung durch ein Auskunftsverlangen gegenüber dem Partner nach § 60 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB 2 angestellt werden.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Aachen vom 30. Juni 2006 geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid der Beklagten vom 18.08.2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.08.2006 wird angeordnet. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen. Die Antragsgegnerin hat der Antragstellerin 3/4 der außergerichtlichen Kosten des Verfahrens zu erstatten.

 

Gründe

I. Die Antragsgegnerin bewilligte der Antragstellerin mit Bescheid vom 16.02.2006 für die Zeit vom 02.02. bis 31.07.2006 Grundsicherungsleistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Nachdem die Antragsgegnerin zu der Auffassung gelangt war, dass die Antragstellerin in eheähnlicher Gemeinschaft lebe, begrenzte die Antragsgegnerin mit Bescheiden vom 28.02.2006 den Leistungsanspruch auf die Zeit bis zum 28.02.2006 und lehnte weitergehende Leistungen ab.

Dem widersprach die Antragstellerin, weil eine eheähnliche Gemeinschaft nicht bestehe, und hat am 12.05.2006 beim Sozialgericht Aachen beantragt, die Antragsgegnerin zu verpflichten, vorläufig Leistungen nach dem SGB II in voller Höhe zu bewilligen. Mit Beschluss vom 30.06.2006 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt, weil mehr für als gegen das Bestehen einer eheähnlichen Gemeinschaft zwischen der Antragstellerin und Herrn B (B.) spreche.

Gegen den ihr am 04.07.2006 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 07.08.2006 Beschwerde eingelegt.

Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin mit Schreiben vom 13.07.2006 aufgefordert, das Einkommen ihres Partners ab März 2006 nachzuweisen unter Androhung der Versagung der Geldleistung bei Nichtvorlage der entsprechenden Unterlagen bzw. Nachweise. Mit Bescheid vom 18.08.2006 hat die Antragsgegnerin Leistungen nach dem SGB II ab dem 01.03.2006 versagt und mit Widerspruchsbescheid vom 24.08.2006 die Bescheide vom 28.02.2006 aufgehoben und die Leistungen ab dem 01.03.2006 entzogen.

Hiergegen hat die Antragstellerin am 27.09.2006 Klage erhoben.

II. Die Beschwerde ist zulässig. Zwar ist sie nicht innerhalb der Monatsfrist des § 173 Sozialgerichtsgesetz (SGG) eingelegt worden, diese Frist hat jedoch nicht zu laufen begonnen, weil die Antragstellerin nicht über das Gericht, bei dem der Rechtsbehelf anzubringen ist, ordnungsgemäß belehrt worden ist (§ 66 Abs. 1 SGG).

Nach der Rechtsmittelbelehrung des angefochtenen Beschlusses, ist die Beschwerde "bei dem Sozialgericht Aachen ..." einzulegen. Nach § 173 Abs. 2 SGG kann die Beschwerde jedoch auch beim Landessozialgericht fristwahrend eingelegt werden. Der fehlende Hinweis auf letztere Möglichkeit führt zur Unvollständigkeit der Rechtsbehelfsbelehrung, auch wenn nach § 66 Abs. 1 SGG das Gericht zu bezeichnen ist, bei dem der Rechtsbehelf anzubringen ist, und dies nach § 173 Satz 1 SGG das Sozialgericht ist, während die Beschwerdeeinlegung beim Landessozialgericht nur fristwahrend erfolgen kann. Auch wenn hieraus geschlossen wird, dass es sich nicht um gleichwertige Alternativen handelt und daher nur die Bezeichnung ersteren Gerichts erforderlich ist (vgl. Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, Kommentar zum SGG, 8. Auflage, § 66 Rn 7a m.w.N.), wird dies nicht einheitlich beurteilt (vgl. die Nachweise bei Meyer-Ladewig, Kommentar zum SGG, 7. Auflage, § 66 Rn 7a). Für das Land Nordrhein-Westfalen ist sie dahingehend zu beantworten, dass die Angabe beider Möglichkeiten in der Rechtsbehelfsbelehrung von Beschlüssen der Sozialgerichte erforderlich ist.

Auch im Prozessrecht gilt der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz - GG -, (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, Kommentar zur Zivilprozessordnung - ZPO - 65. Auflage, Einl. III Rn. 36; Geimer in Zöller, Kommentar zur ZPO, 26. Auflage, Einl.Rn. 100), so dass der Zugang zu den Gerichten für alle Rechtssuchenden in gleicher Weise gewährleistet sein muss. Nach der für die Sozialgerichtsbarkeit des Landes Nordrhein-Westfalen entworfenen Rechtsbehelfsbelehrung wird auf be...

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