Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewilligung von Leistungen der Grundsicherung für einen Unionsbürger durch einstweiligen Rechtsschutz

 

Orientierungssatz

1. Der EuGH hat die Wirksamkeit und Reichweite des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 im Urteil vom 11. 11. 2014 nicht abschließend geklärt.

2. Bei dem Staatsangehörigen eines Mitgliedsstaates der EU, der sich seit mehr als drei Monaten im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedsstaates aufhält und dort eine Beschäftigung ausgeübt hat, ist eine Unwirksamkeit des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 offen.

3. Diesem sind wegen des existenzsichernden Charakters der Leistungen des SGB 2 bei Vorliegen der weiteren gesetzlichen Voraussetzungen Leistungen der Grundsicherung durch einstweiligen Rechtsschutz zu gewähren.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 26.03.2015 geändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin für die Zeit ab dem 01.03.2015 bis zum 31.08.2015, längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens, vorläufig Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs in Höhe von monatlich 399,00 EUR sowie vorläufig Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von monatlich 383,00 EUR nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu zahlen. Der Antragstellerin wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt L, I, bewilligt.

Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin für beide Rechtszüge zu erstatten.

Der Antragstellerin wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt L, I, bewilligt.

 

Gründe

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Verpflichtung des Antragstellers zur Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Die am 00.00.1986 geborene Antragstellerin ist polnische Staatsangehörige. Die Antragstellerin ist seit März 2012 in dem Zuständigkeitsbereich des Antragsgegners gemeldet. Aktuell bewohnt sie eine Wohnung in der H-straße 00 in S. Hierfür zahlt sie monatlich eine Grundmiete in Höhe von 245,00 EUR, Vorauszahlungen auf die Betriebskosten in Höhe von monatlich 80,00 EUR sowie Vorauszahlungen für die Heizkosten in Höhe von monatlich 58,00 EUR (insgesamt 383,00 EUR).

Die Antragstellerin stand zunächst vom 01.01.2012 bis 31.08.2012 in einem Beschäftigungsverhältnis. Der monatliche Brutto-/Nettoverdienst belief sich auf 320,00 EUR. Von Mai 2013 bis Juli 2013 stand sie erneut in einem Beschäftigungsverhältnis, wobei sich der Bruttoverdienst auf 600,00 EUR belief. Seit dem 01.08.2013 ist war sie nicht mehr beschäftigt.

Am 13.01.2012 wurde die Antragstellerin während ihrer Arbeit Opfer eines Überfalls, wobei sie mit einem Messer bedroht wurde. Hieraus resultierten eine posttraumatische Belastungsstörung sowie eine depressive Episode. Die Antragstellerin war 2015 für ca. 3 Monate in der LWL Klinik in I1 untergebracht. Die die Klägerin behandelnden Ärzte regten mit Schreiben vom 21.01.2015 auf Grund des psychischen Zustandes der Antragstellerin die Einrichtung einer gesetzlichen Betreuung nach § 1896 Abs. 1 BGB an. Mit Beschluss vom 11.02.2015 bestellte das Amtsgericht S für Wohnungsangelegenheiten, Vermögensangelegenheiten, Vertretung bei Behörden und Ämtern, der Befugnis zum Empfang von Post und sozialrechtlichen Angelegenheiten eine Betreuerin.

Auf Grund eines gerichtlichen Vergleichs in einem Verfahren vor dem Sozialgericht Gelsenkirchen (Az.: S 31 AS 2415/14 ER) bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin mit Bescheid vom 05.11.2014 für die Zeit vom 01.09.2014 bis zum 28.02.2015 vorläufig Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs in Höhe von 391,00 EUR.

Am 02.02.2015 beantragte die Antragstellerin die Weiterbewilligung der Leistungen. Diesen Antrag lehnte der Antragsgegner mit Bescheid vom 12.02.2015 ab. Die Antragstellerin sei von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, da sie sich nur zur Arbeitsuche in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte. Hiergegen legte die Antragstellerin am 23.02.2015 Widerspruch ein, über den bisher noch nicht entschieden worden ist.

Am 16.03.2015 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Gelsenkirchen einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sowie die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt L gestellt.

Mit Beschluss vom 26.03.2015 hat das Sozialgericht den Antrag abgelehnt. Die Antragstellerin sei von den Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Sie halte sich nach eigenen Angaben zur Arbeitsuche in Deutschland auf. Nach dem Urteil des EuGH vom 11.11.2014 in der Rechtssache E stünden weder das Gleichbehandlungsgebot noch die Grundfreiheiten nach Art. 18 und 20 AEUV dem Leistungsausschluss entgegen. Die Antragstellerin habe nicht glaubhaft gemacht, dass sie trotz ihres Aufenthaltsstatus als arbeitsuchende Unionsbürgerin eine tatsächliche Ve...

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