Entscheidungsstichwort (Thema)

Verfahren zur Feststellung der Prozessunfähigkeit eines Prozessbeteiligten

 

Orientierungssatz

1. Für einen nicht prozessfähigen Beteiligten ohne gesetzlichen Vertreter ist nach § 72 Abs. 1 SGG bis zum Eintritt eines Vormunds, Betreuers oder Pflegers für das Verfahren ein besonderer Vertreter zu bestellen.

2. Prozessunfähigkeit liegt dann vor, wenn sich der Betroffene in einem Zustand krankhafter Störung der Geistestätigkeit befindet.

3. Wird dies in einem geeigneten Sachverständigengutachten bejaht und trägt der Betroffene durch sein weiteres Verhalten dazu bei, dass unklar bleibt, ob Prozessfähigkeit gegeben ist, so trifft ihn das Risiko der Nichterweislichkeit seiner Prozessfähigkeit i. S. einer objektiven Beweislast.

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 29.03.2010 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

 

Gründe

I.

Der Kläger führt vor dem Sozialgericht Münster zahlreiche Verfahren, in denen er um die Gewährung von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) XII streitet.

Aufgrund der Anzahl der anhängig gemachten Hauptsacheverfahren und Verfahren auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (52 Verfahren allein im Jahre 2009), des Inhalts und der Art der Äußerungen des Klägers in diesen Verfahren, seiner Bezeichnung der Mitglieder des Gerichts und der übrigen Beteiligten als "Nazis", seines geäußerten Verdachts, das Gericht sei nicht unparteiisch, sondern arbeite mit den übrigen Beteiligten zusammen, um die Ansprüche des Klägers abzuwehren, seines mangelnden Vertrauens in die von ihm selbst genannten Rechtsanwälte und letztlich seiner Uneinsichtigkeit hinsichtlich der Rücknahme von Verfahren, die mehrfach anhängig gemacht wurden bzw. erneut anhängig gemacht wurden, nachdem der Kläger sie zuvor für erledigt erklärt hatte, sah das Sozialgericht hierin Anhaltspunkte, die Zweifel an der Prozessfähigkeit des Klägers aufkommen ließen. Aus diesem Grunde beabsichtigte es in einem Erörterungstermin am 16.11.2009, den Kläger hierzu anzuhören. Zu diesem Termin ist der Kläger nicht erschienen, obwohl ihm die Ladung am 12.10.2009 zugestellt worden war. Nachdem das Sozialgericht daraufhin dem Kläger die Hinweise auf die Zweifel an seiner Prozessfähigkeit schriftlich dargelegt und übersandt hatte, gab es, nachdem zwischenzeitlich ein Verfahren wegen Besorgnis der Befangenheit der zuständigen Richterin durchgeführt wurde, mit Beweisanordnung vom 17.02.2010 die Einholung eines psychiatrischen Gutachtens nach Aktenlage bei Prof. Dr. T in Auftrag. In seinem Gutachten vom 01.03.2010 gelangte der Sachverständige zu der Feststellung, beim Kläger liege eine hochgradige Auffälligkeit im Denkablauf, in der Auffassungsgabe und in der Kritik- und Urteilsfähigkeit sowie in der praktischen Lebensgestaltung vor. Auf bestimmte Reizworte komme es immer wieder zu wahrscheinlich früher erlernten Reaktionen, die keinen wirklich logischen Bezug aufweisen würden und in ihrem Diskurs letztendlich keine Argumentationslinie erkennen ließen. Seit dem Jahre 2006 sei eine Progredienz zu bemerken. Die Art der Störung sei aufgrund der Unterlagen nicht sicher festzustellen, in Frage komme eine Psychose aus dem schizophrenen Formenkreis, welche mit Denkstörungen einhergehen könne und unbehandelt zu einem prozesshaften Fortschreiten führe, andere Erkrankungen seien jedoch nicht sicher auszuschließen. Letztlich sei jedoch die diagnostische Zuordnung des Krankheitsbildes weniger von Bedeutung als sein Schweregrad, der aus dem umfangreichen Aktenmaterial erkennbar werde. Eindeutig lasse sich feststellen, dass der Kläger nicht in der Lage sei, einer Sachargumentation mit sachlichen Argumenten zu begegnen, kritisch abwägend sich für bestimmte Gedankeninhalte ein Urteil zu bilden und entsprechend diesem Urteil zu argumentieren, vielmehr sei er offenbar in eine Gedankenwelt eingesponnen, die letztlich sich immer mehr auf Protest und Gegnerschaft einstelle und dabei den Bezug zur Realität weitgehend verloren habe. Da sich dieser Zustand über mehrere Jahre progredient entwickelt habe, sei er offensichtlich nicht nur vorübergehender Natur. Der Kläger sei wegen der Erkrankung geschäfts- und prozessunfähig. Letzteres gelte sowohl in Bezug auf sozialgerichtliche Verfahren als auch in Bezug auf sozialhilferechtliche Prozesse.

Das Gutachten wurde dem Kläger mit Postzustellungsurkunde vom 05.03.2010 zur Stellungnahme bis 22.03.2010 zugeleitet. Nachdem der Kläger am 22.03.2010 mitgeteilt hatte, seine Stellungnahme werde sich gesundheitlich bedingt einige Tage verspäten, bestellte das Sozialgericht Münster mit Beschluss vom 29.03.2010 für den Kläger bis zum Eintritt eines Vormundes, Betreuers oder Pflegers Herrn Rechtsanwalt N, N, als besonderen Vertreter, dem alle Rechte außer dem Empfang von Zahlungen zustünden. Der Kläger sei zu dem Termin, anlässlich dessen die Frage seiner Prozessfähigkeit erörtert werden sollte, unentschuldigt nicht erschienen. Er h...

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