Entscheidungsstichwort (Thema)

Wirtschaftlichkeitsprüfung. Arzneimittelregress. Unzulässigkeit der Verordnung von Wobe Mugos E. vorgängige Beratung. Verschuldenserfordernis. Ermessensausweitung. Vertrauenstatbestand. Erweiterung. Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung

 

Orientierungssatz

1. Eine Verordnung von Wobe Mugos E ist nicht zulässig, denn dieses Arzneimittel darf nicht im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordnet werden; insoweit besteht weder eine Leistungspflicht der Krankenkassen noch ein Versorgungsanspruch der Versicherten.

2. Das Erfordernis vorgängiger Beratung stellt gemäß § 106 Abs 5 S 2 SGB 5 nur eine "Soll"-Vorgabe dar, wobei von der Rechtsprechung bereits klargestellt worden ist, dass entsprechend dem Sinn und Zweck dieser Bestimmung der Vorrang einer Beratung nicht für den Fall unzweifelhafter Unwirtschaftlichkeit gilt. Dies gilt bei statistischen Durchschnittsprüfungen ebenso wie bei Regressen aufgrund von Einzelfallprüfungen, wenn schon die Verordnungsfähigkeit fehlt.

3. Ein Verschuldenserfordernis besteht im Rahmen von Honorarkürzungen und Verordnungsregressen gemäß § 106 SGB 5 nicht.

4. Für eine Ermessensausübung ist beim Verordnungsregress aufgrund des § 106 SGB 5 kein Raum.

5. Werden unterschiedliche Ansichten - hier zur Verordnungsfähigkeit eines Arzneimittels - vertreten, gibt es keine tragfähige Grundlage für die Bildung eines Vertrauenstatbestandes, wonach die vorgenommene Verordnung zulässig sei.

6. Eine Erweiterung des gesetzlichen Leistungskatalogs der GKV kommt im Einzelfall nur nach Ausschöpfung der schulmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten in Betracht. Das gilt im Übrigen auch dann, wenn nicht zugelassene Arzneimittel nach der subjektiven Einschätzung des behandelnden Arztes möglicherweise positivere Einwirkungen auf den Krankheitsverlauf haben könnten.

 

Nachgehend

BSG (Beschluss vom 20.10.2010; Aktenzeichen B 6 KA 26/10 B)

 

Tenor

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 30.01.2007 wird zurückgewiesen. Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

I. Die Klägerin, die als niedergelassene Ärztin für Allgemeinmedizin im Bezirk der Beigeladenen zu 7) an der vertragsärztlichen Versorgung teilnimmt, wendet sich gegen einen Regress wegen Verordnung des Präparates Wobe Mugos E.

In den Quartalen I/2001 bis III/2001 und II/2002 verordnete sie ihrer Patientin T zu Lasten der Mitgliedskassen der Beigeladenen zu 6) - hier der Barmer GEK, zuvor Barmer Ersatzkasse (BEK) - Wobe Mugos E in Tablettenform.

Dieses Arzneimittel war seit Mitte der 1970er Jahre entsprechend den damaligen arzneimittelrechtlichen Bestimmungen - damals noch unter anderer Bezeichnung - im Verkehr. Der seinerzeitige pharmazeutische Hersteller teilte aus Anlass der Neuordnung des Arzneimittelrechts von 1976 in seiner Anzeige vom Juni 1978 dem damals zuständigen Bundesgesundheitsamt mit, dass dieses Arzneimittel bereits Mitte 1976 und auch noch Anfang 1978 auf dem deutschen Markt gewesen sei und dass das Anwendungsgebiet die Langzeitbehandlung maligner Tumore und die Metastasenprophylaxe im Wege rektaler Darreichung sei. Die spätere neue Herstellerin, die N Pharma GmbH & Co KG, beantragte im Dezember 1989 die Verlängerung der Zulassung, wobei sie als Anwendungsform die orale Darreichung angab. Das nunmehr zuständige Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 09.06.1998 ab, weil wegen des Wechsels der Darreichungsform zwischen dem 1978 angezeigten und dem zur Nachzulassung anstehenden Arzneimittel keine Identität bestehe; eine Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit erfolgte nicht. Im Klageverfahren blieb die Herstellerin ohne Erfolg (Oberverwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 07.04.2005 - 5 B 8.03 -). Zum 01.09.2005 nahm die Herstellerin das Arzneimittel aus dem Verkehr. Das Bundessozialgericht (BSG) hat mit Urteil vom 27.09.2005 entschieden, dass gesetzlich Versicherte die Versorgung mit Wobe Mugos E bereits nicht mehr beanspruchen konnten, nachdem der Zulassungsantrag abgelehnt worden war (BSG, Urteil vom 27.09.2005 - B 1 KR 6/04 R -). In diesem Urteil ist ausgeführt, für einen Versorgungsanspruch reiche nicht aus, dass mangels Anordnung sofortiger Vollziehung noch eine Zulassungsfiktion bestanden habe. Aufgrund der aufschiebenden Wirkung sei zwar die Verkehrsfähigkeit im Sinne des Arzneimittelgesetzes erhalten geblieben. Dies habe aber Versorgungsansprüche der Versicherten und Leistungspflichten der Krankenkassen gemäß dem Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) nicht begründen können, weil diese eine Überprüfung von Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit nach dem allgemeinen Stand der medizinischen Erkenntnisse auf der Grundlage zuverlässiger wissenschaftlich nachprüfbarer Aussagen voraussetzten. Seit der Ablehnung der Verlängerung der Zulassung durch den Bescheid vom 09.06.1998 sei ein Versorgungsanspruch zu verneinen.

Zu den wegen der Verordnung von Wobe ...

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