Tenor

Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 13.10.2022 geändert. Die aufschiebende Wirkung der Klage zum Az. Sozialgericht Gelsenkirchen, S 36 AS 1638/22, gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 2.8.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.12.2022 wird angeordnet.

Der Antragsgegner trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragsteller zu 1) bis 6) für beide Rechtszüge.

 

Gründe

Die § 172 Abs. 1 SGG zulässige Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 13.10.2022 ist begründet.

1. Die Antragsteller haben in dem einstweiligen Rechtsschutzverfahren vor dem Sozialgericht (SG) Gelsenkirchen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid vom 2.8.2022, mit welchem der SGB II-Bewilligungsbescheid vom 25.4.2022 (Bewilligungszeitraum 1.5.2022 bis 31.10.2022) für die Zeit ab dem 1.9.2022 aufgehoben worden ist, begehrt. Inzwischen hat der Antragsgegner am 6.12.2022 einen Widerspruchsbescheid erlassen, gegen welchen die Antragssteller bei dem SG zu dem im Tenor genannten Aktenzeichen Klage erhoben haben.

2. Der Antrag nach § 86b Abs. 1 Satz 1 SGG ist statthaft, da mit dem Aufhebungsbescheid ein belastender Verwaltungsakt vorliegt, der aufgrund des Widerspruchs bzw. der Klage der Antragsteller nicht formell bestandskräftig und auch nicht erledigt ist (siehe zu diesen Anforderungen etwa Keller, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 2020, § 86b Rn. 7). Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag in den Fällen, in denen Widerspruch und Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Nach § 39 Nr. 1 SGB II haben Widerspruch und Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt, der Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende aufhebt, zurücknimmt, widerruft, entzieht, die Pflichtverletzung und die Minderung des Auszahlungsanspruchs feststellt oder Leistungen zur Eingliederung in Arbeit oder Pflichten erwerbsfähiger Leistungsberechtigter bei der Eingliederung in Arbeit regelt, keine aufschiebende Wirkung.

Der Antrag der Antragsteller nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist begründet.

In Verfahren nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG entscheidet das Gericht über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung auf der Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen sind das private Interesse des Antragstellers, vom Vollzug des Verwaltungsaktes bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verschont zu bleiben, und das öffentliche Interesse an der Vollziehung einer behördlichen Entscheidung. Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt der Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache eine wesentliche, allerdings nicht die alleine Bedeutung zu. Dabei ist die Wertung des § 39 Nr. 1 SGB II zu berücksichtigen, wonach der Gesetzgeber aufgrund einer typisierenden Abwägung dem öffentlichen Interesse am Sofortvollzug prinzipiell den Vorrang gegenüber entgegenstehenden privaten Interessen einräumt. Eine Abweichung von diesem Regel- und Ausnahmeverhältnis kommt nur in Betracht, wenn dafür überwiegende Interessen des Antragstellers sprechen. Dies ist vor allem dann der Fall, wenn ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheids bestehen oder wenn besondere private Interessen überwiegen (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig u.a., SGG, 2020, § 86b Rn. 12c m.w.N.).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sind in diesem Einzelfall die Voraussetzungen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erfüllt, weil zur Überzeugung des Senates hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheides vom 2.8.2022 Bedenken bestehen (dazu unter 3) und zugleich private Interessen von erheblichem Gewicht zu berücksichtigten sind (dazu unter 4).

3) Hinsichtlich der Rechtmäßigkeit des Aufhebungsbescheides vom 2.8.2022 bestehen Bedanken.

Der Antragsgegner hat den SGB II-Bewilligungsbescheid aufgehoben, nachdem mit Bescheiden der Ausländerbehörde vom 12.7.2022 und 18.7.2022 der Verlust der Freizügigkeit der Antragsteller festgestellt wurde. Diese Bescheide sind vor dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen im Klageverfahren (8 K 3171/22) und einstweiligen Rechtsschutzverfahren (8 L 999/22 und 8 L 1270/22) angegriffen; ein Sofortvollzug der ausländerrechtlichen Entscheidung ist inzwischen nicht mehr angeordnet.

Die Auswirkungen einer solchen - nicht vollziehbaren - Verlustfeststellung auf den SGB II-Leistungsanspruch werden in der Rechtsprechung recht unterschiedlich beurteilt.

Zur Überzeugung des Senates entfällt durch die Feststellung des Verlustes der Freizügigkeit, wenn- wie hier - kein Sofortvollzug besteht, nicht der gewöhnliche Aufenthalt nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II; die Auswirkungen auf das Aufenthaltsrecht nach § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II sind umstritten.

a) Zur Überzeugung des Senats entfällt mit der (nicht vollziehbaren) Verlustfeststellung nach § 5 Abs. 4 FreizügG/EU nicht der gewöhnliche ...

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