Entscheidungsstichwort (Thema)

Bewilligung von Grundsicherungsleistungen für einen Unionsbürger durch einstweiligen Rechtsschutz

 

Orientierungssatz

1. Die Vereinbarkeit der Vorschrift des § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 mit dem europäischen Gemeinschaftsrecht ist in der Rechtsprechung umstritten. Weil darüber hinaus die Wirksamkeit der Vorbehaltserklärung der Bundesrepublik Deutschland zum Europäischen Fürsorgeabkommen (EFA) ungeklärt ist, ist eine abschließende Klärung des Leistungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 SGB 2 bei einem Unionsbürger, der in den ersten drei Monaten nach seiner Einreise in die BRD noch über keinen Arbeitnehmerstatus verfügt, im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nicht möglich, vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 B 14 AS 23/10 R.

2. In einem solchen Fall ist aufgrund einer Folgenabwägung zu entscheiden. Hat der Antragsteller vier Monate nach seiner Antragstellung zu Leistungen des SGB 2 eine - wenngleich geringfügig entlohnte - Arbeitsstelle angetreten und der Grundsicherungsträger von diesem Zeitpunkt an ergänzende Leistungen der Grundsicherung gewährt, so ist es zumutbar, die Frage der Rechtmäßigkeit der Leistungsverweigerung durch den Grundsicherungsträger für die Zeit vor der Arbeitsaufnahme in einem Hauptsacheverfahren klären zu lassen, vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. Mai 2005 - 1 BvR 569/05.

3. Ist die ergänzende Leistungsbewilligung für die Zeit nach der Arbeitsaufnahme vom Grundsicherungsträger zugesichert worden, so fehlt es von diesem Zeitpunkt an für eine Leistungsbewilligung durch einstweiligen Rechtsschutz am erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis.

 

Tenor

Auf die Beschwerde der Antragstellerinnen wird der Beschluss des Sozialgerichts Detmold vom 11.04.2012 abgeändert. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin zu 1) für die Zeit ab dem 15.06.2012 bis zum 30.08.2012 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts in Höhe von monatlich 374,00 EUR zu gewähren. Den Antragstellerinnen wird für das erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe ab Antragstellung bewilligt und Rechtsanwalt L, C, beigeordnet. Im Übrigen werden die Beschwerden zurückgewiesen.

Kosten sind auch im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Den Antragstellerinnen wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ab Antragstellung bewilligt und Rechtsanwalt L, C, beigeordnet.

 

Gründe

I.

Bei den Antragstellerinnen handelt es sich um griechische Staatsangehörige. Die im Jahr 1963 geborene Antragstellerin zu 1) ist die Mutter der im Jahr 1993 geborenen Antragstellerin zu 2). Die Antragstellerin zu 2) reiste im Juli 2011 in die Bundesrepublik Deutschland ein und zog zu ihrem hier lebenden Vater.

Die Antragstellerin zu 1) reiste - nachdem sie nach eigenen Angaben zuletzt bis 2003 im Gebiet der Bundesrepublik gearbeitet hatte - am 00.00.2012 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Sie beantragte am 19.01.2012 bei dem Antragsgegner Leistungen nach dem Zweiten Buch des Sozialgesetzbuches - Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II).

Am 07.02.2012 zog die Antragstellerin zu 2) nach ihren Angaben in die von der Antragstellerin zu 1) angemietete Wohnung. Auch für die Antragstellerin zu 2) wurden nunmehr Leistungen nach dem SGB II beantragt.

Mit Schreiben vom 21.02.2012 bat der Antragsgegner um Vorlage von Unterlagen der Antragstellerin zu 2).

Mit Bescheid vom 28.02.2012 lehnte der Antragsgegner die Gewährung von Leistungen an die Antragstellerin zu 1) ab. Es stehe insoweit der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II entgegen. Während der ersten drei Monate nach Einreise in die Bundesrepublik seien Ausländer vom Bezug von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, sofern kein Arbeitnehmerstatus vorliege.

Gegen die Ablehnung legte die Antragstellerin zu 1) am 12.03.2012 Widerspruch ein.

Am selben Tag haben die Antragstellerinnen die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz beim Sozialgericht beantragt. Sie haben die Auffassung vertreten, der Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB II sei europarechtswidrig und daher nicht anwendbar. Die Norm verstoße gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 4 der Verordnung 883/2004/EG.

Sie haben beantragt,

den Antragsgegner zu verpflichten, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ab dem 19.01.2012 zu bewilligen.

Darüber hinaus haben sie beantragt,

ihnen Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt L, C, zu bewilligen.

Der Antragsgegner hat beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abzulehnen.

Der Leistungsausschluss sei europarechtskonform und daher anzuwenden. Eine Leistungsbewilligung an die Antragstellerin zu 1) komme nicht in Betracht. Hinsichtlich der Antragstellerin zu 2) seien erforderliche Unterlagen bislang nicht vorgelegt worden.

Das Sozialgericht hat die Antragstellerin zu 2) mehrfach um Darlegung gebeten, weswegen Unterlagen nicht vorgelegt worden seien. Mit Beschluss vom 11.04.2012 hat das Sozialgericht den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung...

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