Entscheidungsstichwort (Thema)

Zulässigkeit der Klage. unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung bei falscher Anschrift des Gerichts. vertragsärztliche Versorgung. Wirtschaftlichkeitsprüfung. keine Bildung verfeinerter Vergleichsgruppen bei Patienten mit überwiegend türkischer Herkunft

 

Leitsatz (amtlich)

1. Eine Rechtsbehelfsbelehrung, in der das anzurufende Gericht mit voller Anschrift angegeben wird, ist unrichtig erteilt, wenn die dort enthaltene Straßenbezeichnung nicht mehr zutrifft.

2. Zum Vorbringen eines Vertragsarztes im Rahmen einer Wirtschaftlichkeitsprüfung, die vermehrte Abrechnung der EBM-Ziffer 60 sei als Praxisbesonderheit anzuerkennen, weil er überwiegend Großfamilien türkischer Herkunft behandele.

 

Tenor

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 1. März 2006 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Kläger nur die Kosten des Beklagten zu erstatten hat und im Übrigen Kosten nicht zu erstatten sind.

Der Kläger hat die Kosten des Beklagten im Berufungsverfahren zu erstatten. Im Übrigen sind Kosten im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

Der Kläger ist als Arzt in F. niedergelassen und nimmt an der vertragsärztlichen Versorgung teil. Mit seiner Klage wendet er sich gegen Honorarkürzungen wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise in den Quartalen I und II/1996.

Der Prüfungsausschuss G. kürzte mit Bescheiden vom 22. Dezember 1998 sein Honorar für Leistungen nach der Nummer 60 des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs für vertragsärztliche Leistungen (EBM; Erhebung des Ganzkörperstatus, einschl. orientierender Untersuchung des ZNS und der Sinnesorgane, einschl. Befragung, Beratung und Dokumentation, für die Gebiete Allgemeinmedizin ≪Praktische Medizin≫, Innere Medizin, Kinderheilkunde, einmal im Behandlungsfall) im 1. Quartal 1996 um 67,703 % (215.784,6 Punkte) und im Quartal II/96 um 70,908 % (231.445,0 Punkte). Dem lag ein Vergleich des Klägers mit der Arztgruppe der Allgemeinärzte der Stadt G. und der Kreisstädte auf Bezirksstellenebene zu Grunde, die eine Überschreitung der durchschnittlichen Abrechnungshäufigkeit der Ziffer 60 der Vergleichsgruppe um 364,5 % (I/96) bzw. 415,7 % (II/96) ergab. Der Kläger hatte die EBM-Ziffer 60 im Quartal I/96 996mal (bei 1020 Fällen) und im Quartal II/96 1020mal (bei 1129 Fällen) abgerechnet.

Gegen diese Bescheide legte der Kläger mit Schreiben vom 11. Januar 1999 Widerspruch ein. Zur Begründung wies er auf Einsparungen bei Arzneikosten in den Quartalen I und II/96 und bei den Krankenhauseinweisungen im Quartal II/96 hin.

Der Gemeinsame Beschwerdeausschuss für Ersatz- und Primärkrankenkassen der Bezirksstelle G. der zu 1) beigeladenen Kassenärztlichen Vereinigung (als Rechtsvorgänger des Beklagten) erweiterte die Prüfung auf die gesamte Leistungssparte der diagnostischen Leistungen. Mit Bescheiden vom 30. August 2000 gab er den Widersprüchen des Arztes teilweise statt und wandelte die bisherigen Kürzungen der Nummer 60 in Kürzungen des Honorars für diagnostische Leistungen von 44,85 % (I/96, d.h.um 195.804,0 Punkte) bzw. 46,830 % (II/96, d.h. um 187.075,3 Punkte) um. Für das Quartal I/96 stellte er eine Überschreitung des spartenbezogenen Gesamtfallwerts der Vergleichsgruppe der Allgemeinärzte der Stadt G. und der Kreisstädte auf Bezirksstellenebene um 172,0 % (nach Rentneranteilen gewichtet: 187,2 %) und im Quartal II/96 eine solche von 182,2 % (gewichtet: 200,4 %) fest. Die Bildung einer verfeinerten Vergleichsgruppe sei nicht erforderlich, da die den Fallwert beeinflussenden Leistungen typische hausärztliche Leistungen seien. Geltend gemachte Besonderheiten (im Wesentlichen: 80 % türkische Patienten, 1/3 seiner Patienten seien Kinder) und kompensationsfähige Einsparungen seien keine nachvollziehbaren Gründe, die die exorbitante Abrechnung der EBM-Nummer 60 in den Quartalen I/96 und II/96 rechtfertigten. Als unwirtschaftlichen Mehraufwand nahm der Beschwerdeausschuss den Fallwert der Vergleichsgruppe zuzüglich einer 50 %igen Streubreite an. Da der Arzt keinen Anspruch auf Vergütung von unwirtschaftlichen Leistungen habe, ist der gesamte unwirtschaftliche Betrag als Honorarkürzung festgesetzt worden. Die Kürzung führte dazu, dass der Gesamtfallwert der Vergleichsgruppe um 28,4 % (I/96) bzw. um 33,4 % (II/96) unterschritten worden ist. In der Rechtsbehelfsbelehrung der Bescheide war ausgeführt, dass hiergegen Klage beim Sozialgericht Hannover, Nienburger Straße 14a, 30167 Hannover, eingereicht werden könne.

Mit Schriftsatz vom 16. November 2000, bei dem Sozialgericht (SG) Braunschweig eingegangen am 20. November 2000, hat der Kläger “gegen den Beschluss des Beschwerdeausschusses vom 30.08.2000„ Klage erhoben und die erste Seite des das Quartal II/96 betreffenden Bescheides in Kopie beigefügt. Nachdem das Verfahren an das SG Hannover verwiesen worden ist, hat sich der Kläger mit am 14. September 2001 eingegangenen Schriftsatz ausdrücklich auch gegen die Honorarkürzung betreffend das Quartal I/96 gew...

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