Entscheidungsstichwort (Thema)

Elterngeld. Einkommensermittlung. vorgeburtliches Einkommen. Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit erst gegen Ende des letzten steuerlichen Veranlagungszeitraums. geringer Gewinn. Unterschied der Elterngeldhöhe je nach Bemessungszeitraum. 20%-Grenze. Verfassungsrecht. Typisierung. Gleichheitssatz

 

Leitsatz (amtlich)

Auch bei Berechtigten mit Einkünften aus selbständiger Tätigkeit ist das für die Elterngeldberechnung maßgebliche vorgeburtliche Erwerbseinkommen entsprechend der Grundregel des § 2b Abs 1 S 1 BEEG im Ausgangspunkt anhand der in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes erzielten Einkünfte zu bestimmen, sofern eine Heranziehung des letzten steuerlichen Gewinnermittlungszeitraumes nach Maßgabe des § 2b Abs 2 S 1 BEEG für den Berechtigten unzumutbar schwer wiegende Nachteile in Form einer Verkürzung des Elterngeldanspruchs um jedenfalls 20 % nach sich ziehen und damit die verfassungsrechtlichen Grenzen einer sachgerechten Typisierung überschritten würden.

 

Orientierungssatz

Die gesetzlichen Vorgaben sind so auszulegen, dass Ergebnisse vermieden werden, die mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art 3 Abs 1 GG unvereinbar sind (vgl BSG vom 3.12.2009 - B 10 EG 2/09 R = SozR 4-7837 § 2 Nr 5).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 27.10.2016; Aktenzeichen B 10 EG 4/15 R)

 

Tenor

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stade vom 17. Juli 2014 wird aufgehoben.

Der Bescheid des Beklagten vom 3. März 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2. April 2014 wird geändert.

Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin für die Betreuung ihres Kindes I.

a. bezogen auf den 2. Lebensmonat des Kindes über den bereits zuerkannten Betrag von 120,15 € hinaus weitere 28,51 € Elterngeld und

b. bezogen auf den 3. bis 12. Lebensmonat des Kindes über den bereits zuerkannten monatlichen Betrag von 931,19 € hinaus jeweils weitere 220,94 € Elterngeld

zu gewähren.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin aus beiden Rechtszügen.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Die Klägerin begehrt höheres Elterngeld für die Betreuung ihres am 18. November 2013 geborenen Sohnes I..

Hauptberuflich ist die Klägerin als abhängig beschäftigte Hebamme in einem Krankenhaus tätig. Neben dieser Haupttätigkeit nahm sie zum 1. November 2012 nebenberuflich eine selbständige Tätigkeit als Hebamme auf.

Die Einnahmen aus der selbständigen Tätigkeit flossen zeitversetzt: Während der ersten beiden Monate ihrer Ausübung, d.h. im November und Dezember 2012, war lediglich ein Verlust von 1.369 € zu verzeichnen. Einen Verlust in dieser Höhe weist auch der Einkommensteuerbescheid des Finanzamtes J. vom 6. September 2013 für das Jahr 2012 aus.

Für die tatsächlich in den Monaten November 2012 bis September 2013 ausgeübte selbständige Hebammentätigkeit flossen der Klägerin im Jahr 2013 Einnahmen insbesondere in Form entsprechender Honorarzahlungen der Krankenkasse in einer Gesamthöhe von 10.926,43 € zu, wobei ihr ein Teilbetrag in Höhe von 805,04 € erst im November bzw. Dezember 2013 ausgezahlt wurde. Ihre (bereits in den Monaten Januar bis September angefallenen) Betriebsausgaben beliefen sich für diese selbständige Nebentätigkeit im Jahr 2013 auf 2.730,41 €.

Vom 6. Oktober 2013 bis zum 13. Januar 2014 befand sich die Klägerin im Mutterschaftsurlaub und erhielt Mutterschaftsgeld einschließlich der ergänzenden Leistungen des Arbeitgebers. Für die ersten beiden Jahre nach der Geburt des Kindes nahm die Klägerin Elternzeit in Anspruch und übte keine Erwerbstätigkeit aus.

Mit Bescheid vom 3. März 2014 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 2. April 2014 bewilligte der Beklagte der Klägerin für den 3. bis 12. Lebensmonat ihres Kindes Elterngeld in Höhe eines monatlichen Betrages von 931,19 €. Unter Anrechnung der für die Dauer des Mutterschutzurlaubs bezogenen Leistungen ergab sich für den ersten Lebensmonat kein Auszahlungsbetrag und für den zweiten Lebensmonat lediglich ein noch auszuzahlenden Betrag von 120,16 €. Die genannten Beträge sind auf Antrag der Klägerin in Anwendung des § 4 Abs. 3 BEEG jeweils in zwei Teilbeträgen ausgezahlt worden, so dass der Klägerin für zwei Monate jeweils 60,07 bzw. 60,08 € und für zwanzig Monate jeweils 465,60 bzw. 465,59 € zugesprochen worden sind.

Bei der Berechnung des Elterngeldes hatte der Beklagte aufgrund der Ausübung einer selbständigen (Neben-)tätigkeit in den Monaten vor der Geburt des Kindes nicht die Erwerbseinkünfte der Klägerin im Jahr vor der Geburt des Kindes, sondern - unter Heranziehung des § 2b Abs. 2 BEEG - ihre Erwerbseinkünfte im Jahr 2012 als den letzten abgeschlossenen steuerlichen Veranlagungszeitraum vor der Geburt des Kindes berücksichtigt. Seinerzeit hatte die Klägerin noch keine Einkünfte aus der selbständigen Nebentätigkeit, so dass der Beklagte hierfür einen Betrag von 0 Euro angesetzt hat. In ihrer abhängigen Hauptbeschäftigung hatte die Klägerin 2012 ein durchschnittliches berücksichtigungsfähiges Bruttoeinkommen von monatlich...

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