Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss nach § 7 Abs 4 S 2 SGB 2. Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB

 

Orientierungssatz

§ 7 Abs 4 S 2 SGB 2 findet auch auf Strafgefangene Anwendung, die eine Ersatzfreiheitsstrafe nach § 43 StGB verbüßen.

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 21.06.2011; Aktenzeichen B 4 AS 128/10 R)

 

Tatbestand

Der Kläger wendet sich mit seiner Klage gegen einen Aufhebungsbescheid der Beklagten, womit die Bewilligung von Arbeitslosengeld II (ALG II) wegen der Vollstreckung einer Ersatzfreiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt (JVA) rückwirkend aufgehoben wurde.

Der im Jahr 1983 geborene Kläger bezog von der Beklagten seit Jahren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch 2. Buch -Grundsicherung für Arbeitsuchende- (SGB II). Zuletzt bewilligte ihm die Beklagte mit Bescheid vom 30. April 2009 Leistungen für die Zeit vom 01. Juni bis 30. November 2009 in Höhe von 641,00 € monatlich. Durch Mitteilung der JVA J. vom 13. Juli 2009 erfuhr die Beklagte, dass der Kläger dort in der Zeit vom 07. Juli bis 07. Oktober 2009 eine Ersatzfreiheitsstrafe (geschlossener Vollzug) verbüßte. Mit Schreiben vom 20. Juli 2009 hörte sie ihn dazu an, ihm die Leistungen mit Wirkung ab 07. Juli 2009 zu entziehen. Zur Begründung führte sie an, der Kläger habe nach seiner Antragstellung Einkommen bzw. Vermögen erzielt, dass zum Wegfall bzw. zur Minderung des Anspruchs geführt habe, außerdem habe er wissen müssen oder gewusst, dass der sich aus dem Bewilligungsbescheid ergebende Anspruch kraft Gesetzes aufgrund der Haft zum Ruhen gekommen sei oder ganz oder teilweise weggefallen sein.

Mit selbem Datum erließ sie einen entsprechenden Aufhebungsbescheid. Der Widerspruch des Klägers vom 03. August 2009 wurde mit Widerspruchsbescheid vom 19. August 2009 als unbegründet zurückgewiesen. Aus einer Mitteilung der JVA J. folgt, dass der Kläger dort lediglich eine Haft vom 07. Juli bis 01. September verbüßt hat und den Rest der Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit tilgen werde.

Mit seiner Klage vom 03. September 2009 hat der Kläger sein Begehren weiterverfolgt.

Mit Gerichtsbescheid vom 05. Januar 2010 hat das Sozialgericht (SG) Bremen den angefochtenen Bescheid der Beklagten mit der Begründung aufgehoben, diese sei nicht berechtigt gewesen, die Leistungsbewilligung nach dem SGB II wegen der Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe aufzuheben. Es hat auf einen Beschluss der 26. Kammer des SG vom 26. Juni 2009 (Az: S 26 AS 1118/09 ER) und einen Gerichtsbescheid des Verwaltungsgerichtes Bremen vom 08. April 2009 (Az: S 3 K 2721/07) Bezug genommen.

Mit ihrer vom Senat (per Beschluss vom 11. Mai 2010) für zulässig erklärten Berufung macht die Beklagte im Wesentlichen geltend, es erscheine nicht schlüssig, im Rahmen des § 7 Abs. 4 S. 2 SGB II zwischen Freiheitsstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen zu unterscheiden. Auch die Ersatzfreiheitsstrafe stelle eine echte Freiheitsstrafe dar und beruhe wie jede Art der Freiheitsentziehung gemäß § 104 Abs. 2 Grundgesetz (GG) auf einer richterlichen Entscheidung. Diese werde stets gleichzeitig mit der Verhängung einer Geldstrafe nach Tagessätzen getroffen, denn damit werde zugleich über die Zulässigkeit der Freiheitsstrafe entschieden, falls die Geldstrafe nicht eingebracht werden könne (§ 43 Strafgesetzbuch - StGB). Die häufig nur kurze Dauer von Ersatzfreiheitsstrafen rechtfertige keine andere Beurteilung, da Grundsicherungsleistungen während des Aufenthaltes in stationären Einrichtungen - mit Ausnahme von Krankenhausaufenthalten - unabhängig von deren Dauer ausgeschlossen seien. Soweit die Ersatzfreiheitsstrafe in der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 16/1410, Seite 20) nicht erwähnt werde, ergebe sich aus den dortigen Formulierungen, dass die Aufzählung nicht abschließend sei.

Die Beklagte beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichtes Bremen vom 05. Januar 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend und bezieht sich zur Begründung auf aktuelle Beschlüsse der 21. und 22. Kammer des SG Bremen (Az: S 21 AS 313/10 ER und S 22 AS 673/10 ER).

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes sowie der von den Beteiligten gewechselten Schriftsätze wird auf die Gerichtsakten und die Verwaltungsakten verwiesen, die dem Senat vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und der Entscheidungsfindung gewesen sind.

 

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

Der angefochtene Aufhebungsbescheid vom 20. Juli 2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheid vom 19. August 2009 ist rechtmäßig und unterliegt damit entgegen der Auffassung des SG nicht der Aufhebung.

Die Beklagte war berechtigt, ihren Bewilligungsbescheid vom 30. April 2009 für die Zeit ab dem 07. Juli 2009 wegen Änderung der Verhältnisse nach § 48 SGB X aufzuheben.

§ 48 Abs. 1 S. 1 SGB X trifft folgende Regelung: S...

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