Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. Unionsbürger. kein anderes Aufenthaltsrecht. mehr als sechsmonatiger Aufenthalt im Inland. kein Sozialhilfeanspruch nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12. keine Ermessensreduzierung auf Null

 

Orientierungssatz

Unterliegt ein Unionsbürger dem Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs 1 S 2 Nr 2 SGB 2 aF, weil kein anderes Aufenthalts- bzw Freizügigkeitsrecht nach FreizügG/EU 2004 oder AufenthG 2004 in Betracht kommt, besteht auch bei einem über sechs Monate hinaus andauernden Aufenthalt im Inland kein Sozialhilfeanspruch nach § 23 Abs 1 S 3 SGB 12 im Wege der Ermessensreduzierung auf Null, wenn keine Anhaltspunkte vorgetragen oder ersichtlich sind, die die Anwendung der Ausnahmevorschrift rechtfertigen würde (entgegen BSG vom 3.12.2015 - B 4 AS 44/15 R = BSGE 120, 149 = SozR 4-4200 § 7 Nr 43).

 

Nachgehend

BSG (Urteil vom 12.05.2021; Aktenzeichen B 4 AS 34/20 R)

 

Tenor

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

Streitig sind Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bzw - hilfsweise - nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für den Zeitraum vom 23. Dezember 2013 bis zum 15. April 2014.

Die Kläger sind rumänische Staatsangehörige. Die in O., P., am Q. geborene Klägerin zu 1 und der ebenfalls in O., P., am R. geborene Kläger zu 2 sind nicht miteinander verheiratet. Sie sind Eltern der S. und T. geborenen Klägerinnen zu 3 und 4 und lebten mit diesen zusammen in der U., V. in einer 63 qm großen Dreizimmerwohnung. Hierfür zahlten sie eine Grundmiete i.H.v 260 € sowie eine Nebenkostenvorauszahlung inklusive der Heizkosten (78 €) von 170 €. Den Mietvertrag für diese Wohnung hatten am 29. April 2013 die Klägerin zu 1 und ihr Bruder, W., mit Wirkung zum 1. März 2013 abgeschlossen. Die Klägerin zu 1 hielt sich laut Aktenlage des Beklagten seit dem 20. September 2009, die Klägerin zu 3 seit dem 22. November 2013 und die Klägerin zu 4 seit ihrer Geburt in der Bundesrepublik Deutschland auf. Für den Kläger zu 2 lag eine Meldebestätigung an der Adresse in der X. in V. zum 1. August 2013 vor. Laut Auszug aus dem Melderegister (Meso, Bl. 67 Gerichtsakte), war der Kläger zu 2 am 1. Oktober 2009 erstmals in V. an der Adresse „Y.“ gemeldet. Zum 28. Juni 2010 war er an die Adresse „Z.“ umgezogen, zum 1. Dezember 2010 an die Adresse „AA.“, wo er am 10. Januar 2013 auszog. Nach einer Bescheinigung über eine Gewerbeabmeldung des Magistrats der Stadt V. hatte er bereits am 24. Mai 2011 ein Gewerbe als selbstständiger Gerüstbauhelfer unter der Adresse „AA.“, V., angemeldet, das er mit Wirkung zum 31. Dezember 2013 abmeldete.

Am 23. Dezember 2013 beantragten die Klägerin zu 1 und der Kläger zu 2 für sich und ihre Kinder erstmals unterhaltssichernde Leistungen nach dem SGB II. Die Klägerin zu 1 war zuvor lediglich in der Zeit vom 7. September 2010 bis zum 7. Oktober 2010 als Küchenhelferin sozialversicherungspflichtig beschäftigt gewesen. Seither hatte sie keine Beschäftigung mehr ausgeübt. Die Kläger gaben an, bisher von den Einnahmen des Klägers zu 2 aus der Tätigkeit als Gerüstbauhelfer gelebt zu haben. Nunmehr sei dieses „Arbeitsverhältnis“ seitens des Arbeitgebers „gekündigt“ worden. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 13. Januar 2014 ab, weil die Kläger ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland lediglich zum Zweck der Arbeitssuche hätten.

Die Kläger legten am 3. Februar 2014 Widerspruch ein, den die Klägerin zu 1 damit begründete, als Unionsbürgerin stehe ihr ein Aufenthaltsrecht in der Bundesrepublik Deutschland ohne jede Begründung zu. Sie selbst lebe bereits seit dem 5. Oktober 2009 in V. Mit dem Kläger zu 2 lebe sie bereits seit neun Jahren zusammen. Bisher seien sie nicht auf Leistungen nach dem SGB II angewiesen gewesen. Zurzeit sei der Kläger zu 2 jedoch ohne Arbeit. Voraussichtlich werde er ab März 2014 wieder Einkommen erzielen. Bisher habe er ca. 800 € monatlich verdient. Zusätzlich hätten sie unregelmäßiges Einkommen, das sie mit Mini-Jobs erziele. Es gehe somit lediglich um Aufstockungsleistungen. Das SGB II stelle kein neues Gesetz im Sinne des Art. 16 des Europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) dar. Außerdem bestehe nicht nur ein Aufenthaltsrecht zur Arbeitssuche, sondern auch ein solches wegen des Zusammenlebens von Partnern mit einem gemeinsamen Kind.

Nachdem der Beklagte um Unterlagen zu den vorgetragenen geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen der Klägerin zu 1 sowie um Nachweise zu der selbständigen Tätigkeit des Klägers zu 2 gebeten hatte, legten die Kläger Abrechnungen des Klägers zu 2, gerichtet an die Firma AB., V., für die Monate März bis November 2013 vor. Diese enthielten unter den laufenden Rechnungsnummern 001 bis 009 sowie der Angabe des monatlichen Ausführungszeitraums und der Steuernummer jeweils die Abrechnung eines Festpreises für diverse Gerüstarbeiten 800 € zuzüglich der Mehrwertste...

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