Entscheidungsstichwort (Thema)

Grundsicherung für Arbeitsuchende. Leistungsausschluss für Ausländer bei Aufenthalt zur Arbeitsuche. gewöhnlicher Aufenthalt im Bundesgebiet seit mindestens fünf Jahren. Verlustfeststellung. Widerspruch. vorläufige Entscheidung nach § 41a Abs 7 SGB 2. Ermessensentscheidung. Ermessensreduzierung auf Null

 

Leitsatz (amtlich)

1. Zum Anspruch auf SGB II-Leistungen nach § 7 Abs 1 S 4 SGB II, wenn die zuständige Ausländerbehörde den Verlust der Freizügigkeitsberechtigung festgestellt hat. Auch wenn gegen den Bescheid der Ausländerbehörde Widerspruch eingelegt worden ist und damit eine Durchsetzung der Ausreisepflicht nicht erfolgen kann, begründet allein die bloße Verlustfeststellung eine Ausreisepflicht.

2. Dass nach § 41a Abs 7 SGB II dem Leistungsträger eingeräumte Auswahl- und Entschließungsermessen ist nicht allein aufgrund des existenzsichernden Charakters der Leistungen nach dem SGB II stets "auf Null" reduziert.

 

Tenor

Auf die Beschwerde des Antragsgegners hin wird der Beschluss des Sozialgerichts Bremen vom 3. März 2017 aufgehoben, soweit der Antragsgegner verpflichtet worden ist, den Antragstellerinnen zu 1. und 2. vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch zu gewähren. Insoweit wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu 3. zu tragen. Im Übrigen sind Kosten nicht zu erstatten.

Den Antragstellerinnen wird für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt J. zu ihrer Vertretung beigeordnet.

 

Gründe

Die Beschwerde des Antragsgegners ist zulässig (§§ 172, 173 Sozialgerichtsgesetz). Soweit sich der Antragsgegner gegen seine Verpflichtung zur Erbringung vorläufiger Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) an die Antragstellerin zu 3. für die Zeit vom 7. Februar bis 31. August 2017 wendet, ist die Beschwerde unbegründet (dazu unter 1.). Im Übrigen ist die Beschwerde begründet (dazu unter 2.).

1.) Zu Recht hat das Sozialgericht (SG) Bremen den Antragsgegner im Rahmen einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, der Antragstellerin zu 3. vorläufig Leistungen nach dem SGB II zu erbringen. Die Antragstellerin zu 3. erfüllt die Anspruchsvoraussetzungen nach § 7 Abs. 1 S. 1 SGB II, sie ist insbesondere hilfebedürftig, hat ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Bremen und ist erwerbsfähig.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners ist die Antragstellerin zu 3. auch nicht nach § 7 Abs. 1 S. 2 Nr. 2 lit. b) SGB II vom Leistungsbezug nach dem SGB II ausgeschlossen. Ausgenommen von unterhaltssichernden Leistungen nach dem SGB II sind hiernach Ausländer, deren Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, sowie ihre Familienangehörigen. Die Antragstellerin gehört zwar als bulgarische Staatsangehörige zu diesem Personenkreis. Sie hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass ihr für ein Aufenthaltsrecht nach dem Gesetz über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (FreizügG/EU) oder nach dem begrenzt subsidiär anwendbaren Aufenthaltsgesetz - AufenthG - (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 30. Januar 2013 - B 4 AS 54/12 R) zusteht. Die Antragstellerin zu 3. hat für die hinsichtlich der Vermittlung eines Aufenthaltsrechts allein in Frage kommenden Tätigkeit als Verkäuferin bei der Firma Pyramide in Bremen eine Ausübung einer Erwerbstätigkeit, aus der eine zum Aufenthalt berechtigende Arbeitnehmereigenschaft i.S. des § 2 Abs. 2 Nr. 1 FreizügG/EU folgen könnte, nicht glaubhaft gemacht.

Die Arbeitnehmereigenschaft ist gestützt auf objektive Kriterien und in einer Gesamtbetrach-tung aller Umstände, die die Art der in Rede stehenden Tätigkeiten und des fraglichen Ar-beitsverhältnisses betreffen, festzustellen (Europäischer Gerichtshof- EuGH -, Urteile vom 6. November 2003 - C-413/01 und vom 21. Februar 2013 - C-46/12). Um Arbeitnehmer zu sein, muss die betreffende Person während einer bestimmten Zeit für einen anderen nach dessen Weisung Leistungen erbringen, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Auch bei "geringfügig Beschäftigten" ist zu prüfen, ob die Tätigkeit aufgrund einer Gesamtbewertung trotz der geringen Arbeitszeiten als "tatsächlich und echt" angesehen werden kann. Dabei sind nicht nur Gesichtspunkte wie die Arbeitszeit und die Höhe der Vergütung zu be-rücksichtigen, sondern auch solche wie der Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Geltung von Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, die Anwendung des Tarifvertrags in der jeweils gültigen Fassung auf den Arbeitsvertrag sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses.

Betrachtet man das erzielte Einkommen und die vertraglich vereinbarte wöchentliche Arbeitszeit, so lässt sich die Tätigkeit - wie bereits zutreffend vom SG ausgeführt - nur als völlig untergeordnet und unwesentlich charakterisieren. Die wöchentliche Arbeitszeit (Monatsverdienst zu...

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